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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 500/92, Urteil v. 24.11.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 500/92 - Urteil vom 24. November 1992 (LG Stade)

BGHSt 39, 49; Unzulässige Ablehnung eines Beweisantrags auf Anhörung eines "weiteren" Sachverständigen; Geeignetheit eines Sachverständigen bei überschneidenden Fachrichtungen.

§ 244 Abs. 4 StPO

Leitsätze

1. In Bereichen, in denen sich die jeweilige Kompetenz von Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen zur Beurteilung eines Sachverhalts überschneidet und das Gericht deshalb bei der Entscheidung über die Fachrichtung des zu bestellenden Gutachters frei ist, kann "weiterer" Sachverständiger im Sinne des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO auch der Angehörige einer anderen Fachrichtung sein (BGHSt 34, 355, 357). (Bearbeiter)

2. Ein Blutgruppensachverständiger ist in gleichem Maße kompetent wie ein DNA-Sachverständiger, soweit es darum geht, eine Person als Verursacher von Blutspuren auszuschließen (im Anschluß an BGH, 21. April 1987, 1 StR 77/87, BGHSt 34, 355). (BGHSt)

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 20. Mai 1992 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision rügt mit Erfolg, das Landgericht habe § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts reiste der Angeklagte im Sommer 1990 in die Bundesrepublik ein und beantragte Asyl. Da er Deutschland auf keinen Fall wieder verlassen wollte, suchte er eine deutsche Frau. Auf einen Zeitungsbericht meldete sich Frau H. Da der Angeklagte kaum deutsch sprach, dolmetschte der mit ihm befreundete P., der zeitweise im Zimmer des Angeklagten in der Sammelunterkunft lebte. Frau H. fühlte sich nach kurzer Zeit zu P. hingezogen. Aus Wut, daß P. ihm die Freundin "ausgespannt" hatte, tötete der Angeklagte ihn. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Mitte August schlug er mit einem Beil mehrfach auf Kopf und Hals des P. ein, der im Zimmer des Angeklagten auf dem Bett lag. Die Leiche des P. warf der Angeklagte in die Hauskläranlage, wo sie am 23. September 1991 gefunden wurde.

2. Das Landgericht stützt seine Überzeugung, daß der Angeklagte den P. in seinem Zimmer mit einem später auf dem Spitzboden des Hauses gefundenen Beil erschlagen hat, u.a. darauf, daß das gefundene Beil seiner Beschaffenheit nach die Verletzungen des P. verursacht haben kann. An dem Beil waren Blutspuren und schwarze krause Haare, wie sie P. gehabt hatte. Ebenfalls wurden auf dem Spitzboden ein mit Blut durchtränkter Matratzenbezug vom Bett des Angeklagten und ein mit Blut bespritztes T-Shirt gefunden. Die Blutgruppe des Getöteten konnte nicht vollständig ermittelt werden; die Blutspuren an den aufgefundenen Gegenständen können von ihm stammen, aber nicht vom Angeklagten. Dies gilt auch für Blutspuren an einem Ledersessel und an einem Fußbodenbrett im Zimmer des Angeklagten. Eine DNA-Analyse hat ergeben, daß die Blutspuren am Beil, am Matratzenbezug und am T-Shirt auf dieselbe Person hindeuten, aber nicht vom Angeklagten stammen können. Ob diese Spuren vom Getöteten stammen, hat mit dem Mittel der DNA- Analyse nicht erwiesen werden können. Denn aus dem Muskel- und Nierengewebe des Getöteten konnte DNA nicht in ausreichender Menge gewonnen werden.

Der Verteidiger des Angeklagten hatte daraufhin beantragt, ein Sachverständigengutachten einzuholen: Der Vergleich der DNA, die einerseits aus den Blutspuren am Beil, am Bezugsstoff und am T-Shirt und andererseits aus Körpersubstanzen des Leichnams, insbesondere aus den mazerierten Knochen und asservierten Haaren zu gewinnen sei, werde ergeben, daß alle Blutspuren von einer anderen Person als dem Getöteten stammen.

Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen und dazu ausgeführt: "Der Sachverständige Dr. Hi. hat in der Hauptverhandlung sowohl das asservierte Beil als auch den von ihm präparierten Schädel wie die oberen Halswirbel in Augenschein genommen. Nach seinen Ausführungen hat er unter Berücksichtigung der bei der Obduktion am Schädel vorgefundenen Wunde, bei der es sich um zwei Einzelverletzungen von 8 bzw. 6 cm Länge handelte, keinen Zweifel, daß dem Toten die Schädelverletzungen mit dem asservierten Beil, dessen Schneide 7,5 cm breit ist, zugefügt werden konnten. Der ebenfalls anwesende Sachverständige Dr. B. hat sich dem angeschlossen. Dieser Sachverständige hat nach seinen Bekundungen in der Hauptverhandlung am von ihm untersuchten Beil schwarze, krause, kurze Haare sichergestellt. Außerdem wurde durch ihn am Beil Blut sichergestellt und anschließend untersucht mit dem Ergebnis, daß dieses Blut vom Toten stammen kann. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G. hat er ein DNS- Fingerprinting an Blutspuren vom T-Shirt, vom Bezugsstoff und von der Axt durchgeführt. Danach kommt als Urheber der Spuren an den genannten Objekten dieselbe Person in Betracht ... Hinzu kommt, daß nach den Bekundungen des Sachverständigen Dr. Sch. bisher noch nicht versucht wurde, wie vom Verteidiger beantragt, aus mazerierten Knochen DNA zu gewinnen. Das Gericht ist nicht gehalten, sich auf derartig unerprobte und unerforschte Untersuchungsmethoden einzulassen ...".

3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß es sich bei dem von der Verteidigung gestellten Antrag um einen Beweisantrag handelt, der auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen gerichtet ist.

aa) Allerdings lag es fern, daß nach dem 13. August 1991 ein anderer als P. mit einer zumindest ähnlichen Blutgruppe und kurzem, schwarzem, krausem Haar im Zimmer des Angeklagten mit dem Beil am Kopf verletzt worden ist. Da sich das Landgericht selbst bemüht hatte, die Blutspuren an den gefundenen Gegenständen auf ihre Herkunft untersuchen zu lassen, und da diese Frage durch die vom Landgericht gehörten Sachverständigen nicht abschließend geklärt worden war, läßt sich indessen seitens des Revisionsgerichts nicht feststellen, es liege lediglich eine aus der Luft gegriffene Behauptung und damit ein nach Maßgabe von § 244 Abs. 2 StPO zu behandelnder Beweisermittlungsantrag (vgl. Beschluß des Senats vom 10. November 1992 - 5 StR 474/92 - m.w.N., zur Veröffentlichung bestimmt) vor.

bb) Der Beweisantrag der Verteidigung war nach dem Beweisthema ein Antrag auf Anhörung eines "weiteren" Sachverständigen im Sinne des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO. Er betraf die Beweisfrage, von wem die Blutspuren am Beil, am Bezugsstoff, am T-Shirt und im Zimmer des Angeklagten stammten. Zu dieser Frage hatte das Landgericht durch die Anhörung von drei Sachverständigen (Dr. B., Dr. G., Dr. Sch.) Beweis erhoben. Daß sich der Antrag der Verteidigung auf ein anderes Untersuchungsmaterial vom Getöteten bezog, ändert nichts an der Beweisfrage.

Unerheblich ist auch, daß der Sachverständige Dr. B. die Beweisfrage mit einer Blutgruppenbestimmung zu beantworten versucht hat. In Bereichen, in denen sich die jeweilige Kompetenz von Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen zur Beurteilung eines Sachverhalts überschneidet und das Gericht deshalb bei der Entscheidung über die Fachrichtung des zu bestellenden Gutachters frei ist, kann "weiterer" Sachverständiger im Sinne des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO auch der Angehörige einer anderen Fachrichtung sein (BGHSt 34, 355, 357). Soweit es darum geht, eine Person als Verursacher von Blutspuren auszuschließen, ist ein Blutgruppensachverständiger in gleichem Maße kompetent wie ein DNA-Sachverständiger.

b) Fehlerhaft ist aber die Ablehnung des Beweisantrags.

aa) Mit der Begründung, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei durch die früheren Gutachten bewiesen, darf die Einholung eines weiteren Gutachtens nur abgelehnt werden, wenn allein durch frühere Gutachten zu demselben Beweisthema das Gegenteil der behaupteten Tatsache bewiesen ist (Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. S. 721 Fn. 10; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 244 Rdn. 308; Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. § 244 Rdn. 75; G. Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens 5. Aufl. Rdn. 848). Das ist hier nicht der Fall. Das Landgericht entnimmt vielmehr seine Auffassung einer Gesamtwürdigung aller eingeholten Gutachten und der sonstigen Beweisumstände.

Der Sachverständige Dr. B. konnte die Blutgruppe des Getöteten nur unvollständig bestimmen; nach seinem Gutachten kann das Blut vom Getöteten stammen. Damit ist aber nicht bewiesen, daß es sich um Blut vom Getöteten handelt. Der Sachverständige Dr. G. konnte nur feststellen, daß die Spuren am Beil, am Bezugsstoff und am T-Shirt auf dieselbe Person hindeuten, indes keine Angaben zu der eigentlichen Beweisfrage machen, weil er die DNA des Getöteten nicht aus dessen Muskel- und Nierengewebe extrahieren konnte. Das Landgericht berücksichtigt bei seiner Wertung, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bewiesen, daher ausdrücklich außer diesem Gutachten auch das des Sachverständigen Dr. Hi. und weitere Bekundungen des Sachverständigen Dr. B. Dies ist im Rahmen des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO unzulässig. Der Sachverständige Dr. Hi. hat lediglich bekundet, daß das fragliche Beil geeignet war, die beim Getöteten festgestellten Verletzungen zu verursachen. Er ist deshalb kein "weiterer" Sachverständiger im Sinne dieser Vorschrift, da Gegenstand seines Gutachtens nicht die Herkunft des Blutes an dem Beil und den sonstigen Gegenständen waren (vgl. BGH VRS 35, 207). Die vom Landgericht bei der Ablehnung des Beweisantrags ebenfalls herangezogene Aussage des Sachverständigen Dr. B., er habe am Beil kurze, schwarze, krause Haare sichergestellt, war, soweit das Landgericht daraus Schlußfolgerungen auf die Übereinstimmung des Blutes an dem Beil mit dem Blut des Getöteten gezogen hat, nur eine Zeugenaussage, die nicht zum Beweis des Gegenteils der behaupteten Tatsache verwertet werden durfte.

bb) Auch die Hilfserwägung des Landgerichts, es sei nicht gehalten, sich auf unerprobte und unerforschte Untersuchungsmethoden einzulassen, trägt die Ablehnung des Beweisantrags nicht. Zwar ist eine Untersuchungsmethode, die deshalb nicht zu verwertbaren Ergebnissen kommt, weil sie unausgereift ist und als solche nicht zuverlässig arbeitet, völlig ungeeignet, im Strafverfahren Beweis zu erbringen (BGH NStZ 1985, 515). So liegt es hier aber nicht. Der Senat hat sich im Freibeweisverfahren durch eine gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. med. Hu. davon überzeugt, daß es seit Ende 1991 eine erfolgreiche Typisierung von DNA aus Knochengewebe gibt.

cc) Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Urteil auf dem Mangel beruht. Ergäbe die beantragte Untersuchung, daß das Blut an dem Beil, dem Bezugsstoff und dem T-Shirt nicht vom Getöteten stammen kann, würde dies möglicherweise zu einer anderen Bewertung der den Angeklagten belastenden sonstigen Indizien führen.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 49; NJW 1993, 866; NStZ 1993, 199

Bearbeiter: Rocco Beck