Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 618/91, Urteil v. 14.01.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Mai 1991 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die hiergegen gerichtete, mit der Sachrüge begründete Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Der Angeklagte entwich aus der Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel. Er wußte, daß er von Justizvollzugsbediensteten verfolgt wurde, und rechnete mit deren Schußwaffengebrauch. In Sichtweite seiner Verfolger faßte er den Entschluß, ihnen dadurch zu entkommen, daß er sich eines der Personenkraftwagen bemächtigte, die vor einer Straßenkreuzung wegen roten Ampellichtes hielten. Er riß die Fahrertür eines solchen Fahrzeugs auf, zog den Zündschlüssel aus dem Zündschloß und forderte die allein im Fahrzeug befindliche Fahrerin mit der Behauptung, er sei Polizeibeamter und benötige den Wagen für eine Verfolgungsfahrt, zum Verlassen des Fahrzeugs auf. Zur Unterstützung seiner Behauptung Polizeibeamter zu sein, zeigte er seinen Gefangenenausweis. Die Fahrerin verhielt sich zögerlich. Darauf öffnete der Angeklagte, erst jetzt zur Gewaltanwendung bereit, das Schloß des Sicherheitsgurtes der Fahrerin und zog sie an ihrem Handgelenk aus dem Fahrzeug. Als es der Fahrerin anschließend gelang, den Zündschlüssel wieder an sich zu nehmen, riß der Angeklagte ihn ihr aus den Händen. Er floh mit dem Fahrzeug und stellte es in der Stadt ab, wo es Wochen später aufgefunden wurde.
Zu Recht beanstandet die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision, daß die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht auch unter dem Gesichtspunkt des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gewürdigt hat.
Die Vorschrift des § 316 a Abs. 1 Satz 1 StGB setzt u.a. voraus, daß das Angriffsunternehmen des Täters unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs erfolgt. Allerdings wird dieses Merkmal nicht schon dadurch erfüllt, daß Gegenstand des Raubes ein fahrbereites Kraftfahrzeug ist (BGHSt 24, 320, ausführlicher NJW 1972, 913) oder daß darüber hinaus der Täter das Fahrzeug als Fluchtmittel nutzen will (BGHSt 22, 114, 117 m.N. der früheren teilweise weitergehenden Rechtsprechung; BGH NJW 1969, 1679). Erforderlich ist vielmehr, daß der Täter sich eine Gefahrenlage zunutze macht, die dem fließenden Straßenverkehr eigentümlich ist und gerade deshalb so für den Teilnehmer am Kraftfahrzeugverkehr entsteht (BGHSt 6, 82, 84; 13, 27, 30; 18, 170, 171; 37, 256, 258; BGH NJW 1971, 765; BGH VRS 55, 262, 263). Diese Gefahrenlage findet sich in erster Linie in der Beanspruchung des Fahrers durch das Lenken eines Kraftfahrzeugs (BGHSt 5, 280, 281; BGHR StGB § 316 a Abs. 1 Straßenverkehr 4), nämlich in der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung sowie in der hieraus folgenden Erschwerung einer Gegenwehr. Diese Gesichtspunkte gelten auch dann, wenn das Kraftfahrzeug während der Fahrt verkehrsbedingt hält und der Fahrer darauf wartet, seine Fahrt sogleich nach Veränderung der Verkehrssituation fortsetzen zu können, wenn das Fahrzeug sich also - trotz des vorübergehenden Haltes - weiterhin im fließenden Verkehr befindet.
Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof wiederholt im Überfall auf einen Kraftfahrer bei einem "fahrtechnisch bedingten Halt im Verlauf einer noch andauernden Fahrt" (BGHR StGB § 316 a Abs. 1 Straßenverkehr 1; vgl. auch BGHSt 37, 256, 258) oder bei sonstigem vorübergehenden Anhalten (BGHSt 14, 386, 391; BGH bei Dallinger MDR 1975, 725; BGH bei Holtz MDR 1977, 638) ein Verbrechen gemäß § 316 a Abs. 1 Satz 1 StGB gefunden. Diejenigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, in denen bei einem Angriff auf den Fahrer eines haltenden oder parkenden Kraftfahrzeugs ein räuberischer Angriff auf Kraftfahrer verneint worden ist (BGHSt 24, 320, ausführlicher NJW 1972, 913; 37, 256, 258 mit ausdrücklicher Ausnahme der Fälle eines fahrtechnisch bedingten Halts; BGH GA 1979, 466; BGH Urteil vom 2. April 1980 - 2 StR 94/80 - knapp wiedergegeben bei Holtz MDR 1980, 629; BGH Beschluß vom 21. Juli 1983 - 2 StR 260/83 -), stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Denn in den zitierten Fällen war das Fahrzeug auf einem Parkplatz, am Fahrziel oder an einem Zwischenziel zur Ruhe gekommen, war die Fahrt zumindest vorerst beendet. Es lag jeweils ruhender, nicht aber fließender Verkehr vor.
Hier ist ein Überfall auf die Fahrerin eines verkehrsbedingt im fließenden Verkehr haltenden Kraftfahrzeugs gegeben: Die Fahrerin wartete vor der Kreuzung auf den Wechsel des Ampelsignals, um ihre Fahrt fortsetzen zu können. Eine für das Ergebnis bedeutsame Besonderheit ergibt sich auch nicht daraus, daß der Angeklagte zunächst versuchte, durch das Ansichnehmen des Zündschlüssels und eine begleitende Täuschungshandlung sich das Fahrzeug zu verschaffen, und erst dann, als die Täuschung nicht zu gelingen schien, sich zur Gewaltanwendung entschloß und Gewalt anwendete. Denn die spezifische Gefahrenlage, die dem fließenden Straßenverkehr eigen ist, bestand auch zum letztgenannten Zeitpunkt fort. Dies gilt selbst angesichts des Umstandes, daß in dem Augenblick der Gewaltanwendung, als der Angeklagte die Fahrerin aus dem Fahrzeug zog, der Zündschlüssel nicht mehr im Zündschloß steckte, der Motor also nicht mehr lief. Daß dies die situationsspezifische Gefahr nicht entscheidend minderte, zeigt sich schon darin, daß die Fahrerin danach trachtete, den Zündschlüssel wieder an sich zu bringen, was ihr für kurze Zeit sogar gelang, bevor der Angeklagte ihr den Schlüssel schließlich aus den Händen riß. Die Voraussetzungen eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer nach § 316 a Abs. 1 Satz 1 StGB sind danach in objektiver Hinsicht gegeben.
Die Sache bedarf deshalb neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung. Eine Schuldspruchänderung durch den Senat scheidet schon deshalb aus, weil ein Vorwurf aus § 316 a StGB dem Angeklagten bis zum tatrichterlichen Urteil nicht bekanntgegeben worden ist (vgl. § 265 Abs. 1 StPO).
Auf die Beanstandung der Revision, die Voraussetzungen eines minder schweren Falles im Sinne des § 249 Abs. 2 StGB seien zu Unrecht angenommen worden, kommt es danach nicht an.
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten sind bei der umfassenden sachlich-rechtlichen Überprüfung des Urteils nicht zutage getreten.
Externe Fundstellen: BGHSt 38, 196; NJW 1992, 989; NStZ 1992, 279; StV 1993, 173
Bearbeiter: Rocco Beck