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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 979

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 59/25, Beschluss v. 17.06.2025, HRRS 2025 Nr. 979


BGH 5 StR 59/25 - Beschluss vom 17. Juni 2025 (LG Berlin I)

Teileinstellung.

§ 154 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

Das Verfahren wird hinsichtlich der Fälle 17, 30 und 36 der Urteilsgründe eingestellt. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin I vom 8. Juli 2024 im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 19 Fällen, davon in 14 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, sowie des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 20 Fällen, davon in 16 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, schuldig ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 19 Fällen, davon in 14 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 23 Fällen, davon in 19 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Sachrüge sowie auf Verfahrensbeanstandungen gestützten Revision.

1. Der Senat hat das Verfahren hinsichtlich der Fälle 17, 30 und 36 der Urteilsgründe auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen eingestellt. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

Das Verfahren kann in den Fällen 17, 30 und 36 gemäß § 154 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt werden. Die Verurteilung des Angeklagten in diesen Fällen wegen eines jeweils tateinheitlich zusammentreffenden sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 31. Oktober 2008) und eines sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 2 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003) begegnet Bedenken. Beide Tatbestände verlangen die Vornahme sexueller Handlungen „vor“ dem Kind. Das würde nach § 184g Nr. 2 StGB in der Fassung vom 31. Oktober 2008 voraussetzen, dass das Kind die sexuelle Handlung tatsächlich wahrgenommen hätte.

(…) Zwar soll die sexuelle Handlung in den Fällen 17 und 30 jeweils „vor den Augen“ (UA S. 10, 12) und im Fall 36 „im Beisein“ (UA S. 13) des Kindes erfolgt sein. Dass es diese wahrgenommen hätte, bleibt jedoch insbesondere deshalb fraglich, weil das Kind in den Fällen 17 und 30 anderweitig beschäftigt gewesen war (UA S. 10, 12) und im Fall 36 zu dessen Verhalten keine näheren Feststellungen getroffen sind (UA S. 13). Damit lässt sich zugleich nicht ersehen, ob der Angeklagte das Kind in der Weise in das jeweilige sexuelle Geschehen einbezogen hatte, dass für ihn gerade die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Kind von Bedeutung gewesen wäre (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 3 StR 427/18, Rn. 4).

Dem schließt sich der Senat an. Die Einstellung des Verfahrens zieht die aus der Beschlussformel ersichtliche Umstellung des Schuldspruchs nach sich. Die Einstellung führt zum Wegfall der in den Fällen 17, 30 und 36 verhängten Einzelstrafen, lässt aber die Gesamtstrafe unberührt, da angesichts der verbleibenden Einzelstrafen - darunter jeweils fünf Freiheitsstrafen von sechs, fünf und vier Jahren - und des engen Zusammenzugs der Einzelstrafen bei der Bildung der Gesamtstrafe auszuschließen ist, dass das Landgericht ohne die weggefallenen Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts angeführten Gründen nicht durch. Ergänzend bemerkt der Senat, dass die Strafzumessung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keinen Rechtsfehler aufweist:

Es stellt keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar (§ 46 Abs. 3 StGB), dass die Strafkammer in den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs die Umstände des ungeschützten Oralverkehrs und einer Ejakulation (vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 177 Rn. 143) sowohl bei der Prüfung eines minder schweren Falls nach § 176a Abs. 4 StGB aF als auch bei der konkreten Strafbemessung berücksichtigt hat.

Die für eine Nebenklägerin und die Angehörigen der Opfer belegten Tatfolgen durften zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden. Denn diese waren vorhersehbar und nicht Ergebnis eines atypischen Kausalverlaufs (vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06, NStZ-RR 2006, 372).

Sie sind allein bei der Bildung der Gesamtstrafe eingestellt worden. Das Landgericht hat diese Folgen nach den für die Bemessung der Einzelstrafen relevanten Umständen abschließend erwähnt. Es hat diese mithin - entgegen ihrem sonstigen Vorgehen bei der Darstellung strafzumessungsrelevanter Umstände - nicht den einzelnen Taten zugeordnet; daraus ergibt sich, dass es diese Erwägung allein bei der anschließenden Gesamtstrafenbildung berücksichtigt hat.

Die Strafzumessung im Fall 4 der Urteilsgründe erweist sich als rechtsfehlerfrei. Die Prüfung des Vorliegens eines minder schweren Falls ist nicht zu beanstanden. Zwar hat die Strafkammer durch die von ihr gewählte Darstellungsform allein für den Angeklagten sprechende Umstände angeführt. Sie hat zuvor aber ausdrücklich ausgeführt, die Tat weiche nicht so erheblich von den üblicherweise vorkommenden Fällen des schweren Kindesmissbrauchs ab, dass die Anwendung des Regelstrafrahmens unangemessen sei. Weitere Ausführungen zur Abwägung waren angesichts der fernliegenden Annahme eines minder schweren Falls nicht angezeigt.

3. Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 979

Bearbeiter: Christian Becker