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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 347

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 276/24, Beschluss v. 06.11.2024, HRRS 2025 Nr. 347


BGH 5 StR 276/24 - Beschluss vom 6. November 2024 (LG Kiel)

Berücksichtigung des milderen Gesetzes im Revisionsverfahren.

§ 2 Abs. 3 StGB; § 354a StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 27. November 2023

im Schuldspruch hinsichtlich der Fälle 264 bis 273 der Urteilsgründe dahin neu gefasst, dass der Angeklagte schuldig ist des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften (Fälle 271 bis 273) und in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und dem Herstellen kinderpornographischer Schriften (Fall 270), des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften (Fall 264) und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, die tateinheitlich in jeweils zwei Fällen zusammentreffen, jeweils in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften (Fälle 265 bis 269),

im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen 275 bis 278 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Er hat die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die den Neben- und Adhäsionsklägern in der Revisionsinstanz durch sein Rechtsmittel erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen schuldig gesprochen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 130 Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte und in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte, weiter des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 131 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte und in einem Fall in Tateinheit mit einem sexuellen Übergriff und dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte, ferner des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwölf Fällen, die tateinheitlich in jeweils zwei Fällen zusammentreffen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Inhalte, sowie schließlich des Verbreitens kinderpornographischer Inhalte in drei Fällen und des Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Es hat gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verhängt und Entscheidungen im Adhäsionsverfahren getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts nutzte der Angeklagte über viele Jahre hinweg in zahlreichen Fällen die regelmäßig an den Wochenenden stattfindenden Besuche mehrerer Kinder aus der entfernteren Verwandtschaft (den Nebenklägerinnen und Nebenklägern) sowie in einem Fall aus seiner Nachbarschaft dazu aus, um die Kinder sexuell zu missbrauchen. Bei insgesamt 31 derartiger Taten im Zeitraum von 2011 bis 2019 (Fälle 243 bis 273) filmte oder fotografierte der Angeklagte das Geschehen oder bestimmte eines der beteiligten Kinder dazu, dies zu tun. Neben Anal- und wechselseitigem Oralverkehr kam es bei einzelnen dieser Taten auf Veranlassung des Angeklagten auch dazu, dass zwei Kinder untereinander Anal- und Oralverkehr oder beischlafähnliche Handlungen vollzogen. Im Zeitraum Juni bis November 2022 lud der Angeklagte ferner insgesamt 72 kinderpornographische Bilddateien ins Internet hoch (Fälle 275 bis 277). Am 15. Dezember 2022 verwahrte der Angeklagte zudem in seinem Haus mehrere Datenträger, auf denen unter anderem 54 kinderpornographische Bilder gespeichert waren (Fall 278).

2. In den Fällen 264 bis 273 der Urteilsgründe, in denen die Taten nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht verjährt sind, war der Schuldspruch an die gesetzliche Überschrift (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften) der zur Tatzeit geltenden und vom Landgericht zutreffend als milderes Recht im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB angewandten Fassung des § 184b StGB vom 21. Januar 2015 anzupassen. Der Begriff der „Schriften“ wurde dort durch den Gesetzgeber erst mit der Änderung zum 1. Januar 2021 durch den Begriff der „Inhalte“ ersetzt (vgl. Art. 1 Nr. 25 a des 60. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland vom 30. November 2020, BGBl. I S. 2600).

3. In den Fällen 275 bis 278 der Urteilsgründe können die Einzelstrafen keinen Bestand haben, weil sie das Landgericht dem Strafrahmen der zur Tatzeit und auch noch im Zeitpunkt des Urteils geltenden Fassung des § 184b Abs. 1 StGB entnommen hat. Der Strafrahmen dieser Vorschrift wurde jedoch zum 28. Juni 2024 geändert und weist nunmehr eine niedrigere Mindeststrafe auf (BGBl. I 2024 Nr. 213). Die Neufassung erweist sich bei der gebotenen konkreten Betrachtung als das mildere Gesetz (§ 2 Abs. 3 StGB), was der Senat im Revisionsverfahren zu berücksichtigen hat (§ 354a StPO, vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. August 2024 - 2 StR 280/24). Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Strafkammer bei Anwendung des neuen Strafrahmens zu einer milderen Strafe gekommen wäre (vgl. auch BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 10. September 2024 - 2 BvR 618/24 Rn. 23).

4. Die Feststellungen können bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

5. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen, da sein Rechtsmittel in Bezug auf die Nebenklagedelikte erfolglos blieb (vgl. LR/Kurtze, StPO, 27. Aufl., § 473 Rn. 75 mwN). Die Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich des Adhäsionsverfahrens folgt aus § 472a Abs.1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 347

Bearbeiter: Christian Becker