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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 785

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 3/22, Beschluss v. 21.06.2022, HRRS 2022 Nr. 785


BGH 5 StR 3/22 - Beschluss vom 21. Juni 2022 (LG Hamburg)

Entscheidung des Revisionsgerichts nach Änderung des Schuldspruchs.

§ 354 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5. Juli 2021 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen sowie der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen sowie wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 156.000 Euro angeordnet. Die in Spanien erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis 1:1 auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet. Die Revision des Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und Verfahrensbeanstandungen erhebt, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen erweist sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich seines schriftlichen Widerspruchs gegen die Verwertung von Encrochat-Daten und darin enthaltener Anträge auf Vernehmung von Zeugen die fehlerhafte Durchführung des Selbstleseverfahren rügt, weil das Landgericht die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO verletzt habe, verkennt er, dass Verfahrensfragen nicht dem Streng-, sondern dem Freibeweisverfahren unterliegen. Eine Rüge mit der Angriffsrichtung einer Verletzung des § 257a StPO hat er nicht erhoben. Eine solche Verfahrensbeanstandung wäre indes auch unbegründet, weil ausgeschlossen werden könnte, dass das Urteil auf einem Verstoß gegen § 257a StPO beruht (§ 337 Abs. 1 StPO) oder die Verteidigung hierdurch in einem wesentlichen Punkt beschränkt wurde (§ 338 Nr. 8 StPO). Denn das Landgericht hat den Verwertungswiderspruch in der Hauptverhandlung zurückgewiesen und die Anträge auf Zeugenvernehmung mit einem - von der Revision allerdings entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht mitgeteilten - Gerichtsbeschluss abgelehnt (vgl. zur Rüge der Verletzung von § 257a StPO BGH, Beschluss vom 16. März 2005 - 5 StR 514/04; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257a Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 257a Rn. 13; KKStPO/Diemer, 8. Aufl., § 257a Rn. 7; BeckOK StPO/Eschelbach, 43. Ed., § 257a Rn. 13; MüKoStPO/Cierniak/Niehaus, § 257a Rn. 18).

2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils hat ergeben, dass das Landgericht hinsichtlich der Fälle 5 und 6 der Urteilsgründe von einer unzutreffenden konkurrenzrechtlichen Einordnung ausgegangen ist, aus deren Korrektur die Änderung des Schuldspruchs und der Wegfall einer Einzelstrafe resultieren; im Übrigen hat sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lassen.

a) Nach den insoweit relevanten Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Mitglied einer Bande, die mit Marihuana im bis zu dreistelligen Kilogrammbereich handelte. Am 30. Mai 2019 wirkte er an der Übernahme von 100 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 Prozent THC, dessen teilweiser Übergabe an einen Abnehmer der Gruppierung und der Zwischenlagerung des Restes der gelieferten Betäubungsmittel mit (Fall 5). Am 6. Juni 2019 wurden auf Anweisung des Angeklagten zwei Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 200 Gramm THC an einen Abnehmer der Gruppierung übergeben. Den Kaufpreis nahm der Angeklagte entgegen (Fall 6).

b) Aufgrund der konkreten Umstände des Vorgehens der Bande ist danach belegt, dass auch die am 6. Juni 2019 gehandelten Betäubungsmittel (Fall 6) aus den am 30. Mai 2019 gelieferten - und nur teilweise an diesem Tag weiterverkauften - 100 Kilogramm Marihuana (Fall 5) stammten. Das Handeltreiben bezog sich mithin auf einen einheitlichen Verkaufsvorrat, der damit zu einer Bewertungseinheit verbunden war (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2022 - 5 StR 133/22 mwN).

Der Senat hat deshalb den Schuldspruch wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich geändert. Die Regelung des § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

c) Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der für die Tat vom 6. Juni 2019 (Fall 6) verhängten Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Der Senat setzt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die für die Tat vom 30. Mai 2019 (Fall 5) verhängte Strafe als neue Einzelstrafe fest, weil auszuschließen ist, dass das Landgericht für das Geschehen am 30. Mai und 6. Juni 2019 bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung eine niedrigere Einzelstrafe festgesetzt hätte. Der Gesamtstrafausspruch wird hierdurch nicht berührt. Angesichts der Einsatzstrafe in Höhe von sechs Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe sowie dreier weiterer Einzelfreiheitsstrafen von fünf Jahren und vier Monaten bis sechs Jahren und sechs Monaten ist auszuschließen, dass das Landgericht allein aufgrund der geänderten Konkurrenzverhältnisse und des Wegfalls einer Einzelstrafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal eine unterschiedliche konkurrenzrechtliche Beurteilung bei - wie hier - unverändertem Schuldumfang regelmäßig kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 - 3 StR 91/20 Rn. 9 mwN).

3. Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 785

Bearbeiter: Christian Becker