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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 42

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 271/22, Beschluss v. 07.12.2022, HRRS 2023 Nr. 42


BGH 5 StR 271/22 - Beschluss vom 7. Dezember 2022 (LG Hamburg)

Keine Bewertung der Gründe für das Aussageverhalten des Zeugen (Zeugnisverweigerungsrecht); strafschärfende Berücksichtigung des Prozessverhaltens des Angeklagten.

§ 52 StPO; § 46 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Weder aus der durchgehenden noch aus der nur anfänglichen Zeugnisverweigerung dürfen dem Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden. Der unbefangene Gebrauch des Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn ein verweigerungsberechtigter Zeuge die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste.

2. Die bloße Hinnahme einer Falschaussage stellt keinen Strafschärfungsgrund dar, weil der Angeklagte kein Garant der staatlichen Rechtspflege ist.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 5. Januar 2022 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Zutreffend hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt, dass das Landgericht die Bekundungen des Bruders des Angeklagten aufgrund von tatsachenbasierten Umständen ohne Rechtsfehler als „Gefälligkeitsaussage“ werten durfte. Soweit es in diesem Zusammenhang allerdings auch darauf abgestellt hat, dass das „Zögern vor seiner Aussage“ mit dem „letztlich sehr unverfänglichen Inhalt […] nicht zu vereinbaren“ sei, stellte sich dies als nicht rechtsbedenkenfrei dar, wenn damit eine - grundsätzlich unzulässige - Verknüpfung der Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht und der Prüfung der Glaubhaftigkeit seiner Aussage verbunden sein könnte. Der unbefangene Gebrauch des Schweigerechts gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO wäre aber nicht gewährleistet, wenn ein verweigerungsberechtigter Zeuge die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der nur anfänglichen Zeugnisverweigerung dem Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 - 3 StR 462/15, NStZRR 2016, 117 mwN). Auf einem etwaigen Rechtsfehler würde das Urteil angesichts der im Übrigen sehr dichten Beweislage indes nicht beruhen, zumal da die Strafkammer die Angaben des Bruders des Angeklagten auch deshalb für unglaubhaft erachtet hat, weil sie - wie im Einzelnen dargelegt - in sich widersprüchlich und mit objektiven Beweismitteln nicht in Einklang zu bringen waren.

Die bei der Strafzumessung zulasten des Angeklagten berücksichtigte „Initiierung bzw. jedenfalls die Hinnahme von Falschaussagen“ durch den Zeugen S. und den Bruder des Angeklagten, erweist sich mit Blick auf die Aussage des Bruders als rechtsfehlerfrei, denn dieser hat selbst angegeben, seine (falsche) Aussage auf Bitten des Angeklagten gemacht zu haben. Vergleichbares ist zwar für den Zeugen S. nicht festgestellt; die bloße Hinnahme einer Falschaussage stellt keinen Strafschärfungsgrund dar, weil der Angeklagte kein Garant der staatlichen Rechtspflege ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2019 - 5 StR 231/19, NStZ 2019, 537 mwN). Das Urteil beruht aber nicht auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann angesichts der - wie dargelegt - im Übrigen rechtsfehlerfreien strafschärfenden Berücksichtigung des Prozessverhaltens des Angeklagten sowie der sonstigen Strafzumessungsgründe ausschließen, dass das Landgericht ohne den genannten Rechtsfehler auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 42

Bearbeiter: Christian Becker