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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1164

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 221/22, Beschluss v. 14.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1164


BGH 5 StR 221/22 - Beschluss vom 14. September 2022 (LG Hamburg)

Rechtsfehlerhaft unterbliebene Erörterung der Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts.

§ 24 Abs. 1 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28. Januar 2022 im Schuldspruch im Fall II.3 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Einheitsjugendstrafe aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen, gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Diebstahl, versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts ge 3 - stützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Mit Blick auf die Schuldsprüche in den Fällen II.1, 2, 4 bis 6 zeigt die Revision - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen Rechtsfehler nicht auf.

2. Im Fall II.3 kann der Schuldspruch hingegen keinen Bestand haben. Denn das Landgericht hat es versäumt, sich in den Urteilsgründen mit der sich aufdrängenden Frage zu befassen, ob der Angeklagte in diesem Fall vom Versuch der räuberischen Erpressung zurückgetreten ist.

a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen versuchte der Angeklagte im Zeitraum vom 25. Januar bis zum 11. Februar 2021, einen ihm bereits zuvor bekannten 16-Jährigen zur Herausgabe von dessen neuen Turnschuhen zu bringen. Am 25. Januar 2021 sah er ihn erstmals mit den neuen Schuhen und forderte deren Herausgabe; der Geschädigte ging darauf indes nicht ein und verweigerte dies. Auch mehrere Anrufe des Angeklagten bei dem Geschädigten, in denen er an seiner - wie er wusste unberechtigten - Forderung festhielt und für den Fall der Nichterfüllung Schläge androhte, bewegten den Geschädigten nicht zur Herausgabe der Schuhe.

Am 11. Februar 2021 trafen beide an einer U-Bahn-Haltestelle zufällig aufeinander; der Geschädigte ergriff aus Angst sofort die Flucht, der Angeklagte verfolgte ihn jedoch und stellte ihn an einem Kinderspielplatz. Der Angeklagte forderte erneut die Herausgabe der Schuhe, die der Geschädigte verweigerte. Um seiner Forderung mit Gewalt Nachdruck zu verleihen, schlug und trat der Angeklagte nun mehrfach auf den Geschädigten ein, unter anderem mit Schlägen ins Gesicht und auf den Hinterkopf, einem Tritt gegen den Hals und weiteren Schlägen gegen den Körper; zudem bedrohte er ihn, zog ihn am Ohr und an den Haaren und rammte dem vor Schmerzen wimmernden Geschädigten sein Knie in den Bauch. Ein Freund des Angeklagten filmte das Geschehen. Der Angeklagte drohte nun das Video, in dem er den Geschädigten als Drogenkonsumenten beschimpfte, auf Instagram hochzuladen; auch dadurch sollte der Druck auf ihn erhöht werden, dem Angeklagten die Turnschuhe zu überlassen, was der Geschädigte gleichwohl nicht tat. Alsdann ließ der Angeklagte schließlich von ihm ab.

b) Die Urteilsgründe weisen einen Erörterungsmangel auf, weil sie die naheliegende Frage eines strafbefreienden Rücktritts nicht in den Blick nehmen. Insbesondere hat die Strafkammer keine Feststellungen zu der Vorstellung des Angeklagten im Zeitpunkt nach seiner letzten Ausführungshandlung getroffen (sogenannter Rücktrittshorizont, vgl. dazu etwa BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2019 - 5 StR 235/19 mwN; vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.). So bleibt offen, ob er davon ausging, er könne das von ihm angestrebte Nötigungsziel durch weitere Aufrechterhaltung oder gegebenenfalls Verschärfung seines Bedrohungsszenarios noch erreichen. Es bleibt vielmehr gänzlich unklar, warum er die Herausgabe der Schuhe in der Tatsituation gegen den „wimmernden“ und auf dem Boden hockenden Geschädigten nicht gewaltsam durchsetzte. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob der Versuch der räuberischen Erpressung unbeendet, beendet oder aufgrund Fehlschlags nicht mehr rücktrittsfähig war. Da im Falle eines unbeendeten Versuchs der Angeklagte mit Ablassen von dem Geschädigten nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 StGB durch freiwilliges Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen vom Versuch der räuberischen Erpressung strafbefreiend zurückgetreten sein könnte, durfte dies nicht offenbleiben.

3. Die danach erforderliche Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.3 der Urteilsgründe erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichter Körperverletzung und bedingt zudem die Aufhebung der - für sich genommen maßvollen - Einheitsjugendstrafe.

Zur Frage des Vorstellungsbilds des Angeklagten bei Aufgabe der Tat sind - wie dargelegt - im neuen Rechtsgang nunmehr Feststellungen zu treffen. Die Feststellungen zum Schuldund diejenigen zum Strafausspruch können bestehen bleiben, weil sie rechtsfehlerfrei zustande gekommen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können durch neue ergänzt werden, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1164

Bearbeiter: Christian Becker