HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 802
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 407/21, Beschluss v. 09.06.2022, HRRS 2022 Nr. 802
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Februar 2021 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
1. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die im Rahmen der „Firmenbestattungen“ vorgenommenen Handlungen den Tatbestand des Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StBG erfüllen.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen erwarb der als gewerblicher Firmenabwickler tätige, in Deutschland für etwaige Gläubiger nicht greifbare Angeklagte G. von dem nicht revidierenden Mitangeklagten K. über eine zu diesem Zweck gegründete GmbH i.G. zum Schein die Geschäftsanteile der Alleingesellschafterin der inmitten stehenden (zahlungsunfähigen) Reiseunternehmensgesellschaften; dadurch wurde er deren mittelbarer Alleingesellschafter. Er bestellte sich zudem zum Alleingeschäftsführer der Reiseunternehmen, deren Geschäftssitze schon zuvor - ohne die Absicht, die Unternehmen fortzuführen - von H. nach N. verlegt worden waren. Tatsächlich wurden die Gesellschaften von H. aus geleitet, wobei der Mitangeklagte K. intern die Entscheidungshoheit behielt. Es sollte so nach außen - unter anderem durch Verhandlungen mit Gläubigern - eine Sanierung der Gesellschaften vorgetäuscht werden, um insbesondere für K. eine möglichst kostengünstige und geräuschlose Abwicklung („milde“ Insolvenz) der Gesellschaften zu erreichen und für ihn „zu retten, was zu retten war“.
b) Danach liegt eine Verschleierung der wirklichen geschäftlichen Verhältnisse im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB vor.
Mit dem Merkmal der „geschäftlichen Verhältnisse“ sind über die Vermögensverhältnisse im engeren Sinn hinaus diejenigen Umstände angesprochen, die für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit des in der Krise befindlichen Schuldners erheblich sind. Da der Tatbestand mit Blick auf die Gläubigerinteressen auszulegen ist, geht es bei der Tathandlung des Verschleierns zwar in erster Linie um die unrichtige Darstellung der Vermögensverhältnisse. Zu den geschäftlichen Verhältnissen zählt aber auch die (geplante) zukünftige Entwicklung des Unternehmens (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2012 - 3 StR 199/12, NJW 2013, 1892, 1893; LK/Tiedemann, 12. Aufl., StGB, § 283 Rn. 173).
Darüber wurden die Gläubiger hier getäuscht. Denn durch den Wechsel des Gesellschafters und des Geschäftsführers verbunden mit der Verlegung des Geschäftssitzes ohne die Absicht, die Unternehmen fortzuführen, wurde verschleiert, dass die Gesellschaften tatsächlich von den Angeklagten liquidiert wurden und mangels jeglicher weiterer unternehmerischer Tätigkeit bereits feststand, dass sie die entstandenen Verbindlichkeiten auf keinen Fall würden begleichen können und dies auch nicht wollten. Maßnahmen, wie sie hier im Rahmen von „Firmenbestattungen“ vorgenommen wurden, unterfallen mithin dem Verschleierungstatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. November 2012 - 3 StR 199/12 aaO; vom 24. März 2009 - 5 StR 353/08, NStZ 2009, 635, 636; MüKoStGB/Petermann, 3. Aufl., § 283 Rn. 64; SSWStGB/Bosch, 5. Aufl., § 283 Rn. 32; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 283 Rn. 49; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 283 Rn. 30b).
c) Auch die übrigen Tatbestandsmerkmale liegen vor. Insbesondere waren die Handlungen grob wirtschaftswidrig, weil sie nicht lediglich Bagatellverstöße, sondern einen groben Widerspruch gegen die Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft darstellten und mit ihnen das Ziel der Gläubigerbenachteiligung verfolgt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2012 - 3 StR 199/12 aaO; GJW/Reinhardt, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 283 StGB, Rn. 62). Entgegen der Auffassung des Angeklagten L. ist es für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB rechtlich ohne Belang, ob die Zahlungen vor oder nach den im Rahmen der „Firmenbestattungen“ verübten Verschleierungshandlungen eingestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2018 - 5 StR 381/18, BGHR StGB § 283 Abs. 6 Zahlungseinstellung 1).
2. Die Verurteilung des Angeklagten L. wegen Beihilfe zum Bankrott und zur Insolvenzverschleppung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung auch in subjektiver Hinsicht stand. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen beriet der spätere Insolvenzverwalter die Angeklagten bereits vor der Stellung der Insolvenzanträge. Er stellte eine „milde“ Insolvenz in Aussicht, wodurch er den Entschluss des Mitangeklagten K. verstärkte und verfestigte, die fälligen Insolvenzanträge nicht innerhalb der gesetzlichen Frist zu stellen. Da ihn der nicht revidierende Mitangeklagte J. in Vorgesprächen umfassend über die finanzielle Situation der Gesellschaften und daher über deren Zahlungsunfähigkeit in Kenntnis gesetzt hatte, war ihm schon zu diesem Zeitpunkt „bewusst“, dass die Gesellschaften nicht mehr in der Lage waren, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten im Wesentlichen zu erfüllen. Er wusste auch, dass die Insolvenzanträge in Umsetzung des geplanten Vorgehens „absichtlich“ nicht sofort und auch nicht innerhalb der nächsten drei Wochen gestellt werden würden. Er war sich ferner „im Klaren“, dass trotz der formellen Sitzverlegungen nach N. die Geschäfte tatsächlich weiter in H. geführt und die Gesellschaften kontrolliert auf die Durchführung des Insolvenzverfahrens hingesteuert werden sollten, wodurch Dritte betriebswirtschaftlich und rechtlich unvertretbar irregeführt werden würden. Das Landgericht ist in der rechtlichen Würdigung deshalb rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer bei seinen Tatbeiträgen in Form von Beratungsleistungen „Kenntnis“ von der bestehenden Insolvenzantragspflicht hatte und „wusste“, dass die bereits umgesetzten und geplanten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen die Gläubiger und Geschäftspartner täuschen sollten.
Danach wusste der Angeklagte positiv, dass das Handeln der mitangeklagten Haupttäter auf die Begehung von Insolvenzstraftaten abzielte. Auch an sich berufstypische „neutrale“ Beratungshandlungen verlieren dann ihren - einen Gehilfenvorsatz ausschließenden - „Alltagscharakter“ (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2000 - 3 StR 454/99, wistra 2000, 459; Beschluss vom 20. September 1999 - 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers steht der Verwirklichung der inneren Tatseite nicht entgegen, dass das Langericht festgestellt hat, der Angeklagte habe dies auch „billigend in Kauf“ genommen. Denn weiß der Gehilfe wie hier positiv, dass das Handeln der Haupttäter auf die Begehung von Straftaten abzielt, ist der Beihilfevorsatz auch bei berufstypischen „neutralen“ Handlungen gegegeben.
Es kann daher dahinstehen, ob überhaupt eine berufstypische „neutrale“ Handlung des Angeklagten vorlag. Hiergegen könnten die konkreten Beratungsleistungen gegenüber den Schuldnern im Vorfeld der Insolvenzantragstellung sprechen, in deren Rahmen der Angeklagte auch einen Weg aufzeigte, wie der Bestellung anderer Insolvenzverwalter vorgebeugt werden konnte, um selbst als solcher bestellt zu werden, und bei deren Kenntnis das Insolvenzgericht Zweifel an seiner notwendigen Unabhängigkeit im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO hätte hegen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2016 ? IX AR (VZ) 1/15, NZI 2016, 508, 511 f., Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl., § 56 Rn. 25).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 802
Bearbeiter: Christian Becker