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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 673

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 4/21, Urteil v. 12.05.2021, HRRS 2021 Nr. 673


BGH 5 StR 4/21 (alt: 5 StR 111/20) - Urteil vom 12. Mai 2021 (LG Berlin)

Besitz im waffenrechtlichen Sinne; bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Mitsichführen einer Schusswaffe); durch das Revisionsgericht aufrechterhaltene Feststellungen (Unbeachtlichkeit widersprechender Beweisergebnisse).

§ 52 Abs. 3 Nr. 2 WaffG; § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 353 Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Waffe oder Munition „besitzt“ i.S.d. § 52 Abs. 3 Nr. 2 WaffG, wer die tatsächliche Gewalt darüber ausübt. Der Besitz im waffenrechtlichen Sinn entspricht daher grundsätzlich dem unmittelbaren Besitz des § 854 BGB. Neben der objektiven Sachherrschaft ist ein Herrschaftswille und somit die Kenntnis vom Entstehen der (objektiven) Sachherrschaft erforderlich. Bei Gegenständen, die sich in der eigenen Wohnung befinden, ist hierfür nicht notwendig, dass der Herrschaftswille stets aktuell vorhanden ist. Es genügt vielmehr ein genereller Herrschaftswille über die Gegenstände, die sich im eigenen Herrschaftsbereich befinden.

2. Ein bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln setzt voraus, dass der Täter die Schusswaffe oder sonstige, ähnlich gefährliche Gegenstände bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer in irgendeinem Stadium des Tathergangs jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann.

3. Hebt das Revisionsgericht ein Urteil auf, erhält es die Feststellungen aber in Anwendung des § 353 Abs. 2 StPO aufrecht, weil diese nicht von dem Rechtsfehler betroffen sind, ist das Tatgericht im weiteren Verfahren an diese Feststellungen gebunden. Er darf sie zwar noch ergänzen; die ergänzenden Feststellungen dürfen den bindend gewordenen jedoch nicht widersprechen. Beweisergebnisse, die im Widerspruch zu bindenden Feststellungen stehen, haben außer Betracht zu bleiben.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. August 2020

im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe und von Munition schuldig ist,

im Straf- und Maßregelausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen hat die rechtliche Nachprüfung des Urteils weder Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten noch zu dessen Lasten (§ 301 StPO) ergeben.

I.

Im ersten Rechtsgang hatte das Landgericht den Angeklagten am 9. Januar 2020 wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe und von Munition zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem hatte es eine - der Anordnung im angefochtenen Urteil entsprechende - Einziehungsentscheidung getroffen. Von einer Unterbringung des ausreisepflichtigen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hatte es im Hinblick auf das Fehlen einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis abgesehen. Auf die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat der Senat das Urteil mit Beschluss vom 12. Mai 2020 aufgehoben, weil er anhand der Urteilsgründe nicht hatte nachprüfen können, ob der Angeklagte die sichergestellte Schusswaffe bei dem Betäubungsmittelhandel im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG mit sich führte, da der zeitliche Aufwand zur Herstellung ihrer Einsatzbereitschaft unklar war. Der Rechtsfehler hat die Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe und von Munition nach sich gezogen. Die Feststellungen hat der Senat aufrechterhalten.

1. Das Landgericht hatte im ersten Rechtsgang folgende Feststellungen zur Tat getroffen:

Der Angeklagte lagerte gut 1 Kilogramm eines ursprünglichen Vorrats von 11 Kilogramm Cannabis zum gewinnbringenden Verkauf in einer Nische des Balkons seiner Einzimmerwohnung. Zum Verpacken der Betäubungsmittel nutzte er ein in der Küche stehendes Laminiergerät. In der Wohnung verwahrte er einen funktionsfähigen Revolver und Patronen verschiedener Kaliber. Die Schusswaffe und die in einem verknoteten Zellophanbeutel eingewickelte Revolver- und Pistolenmunition befanden sich in einer Tüte hinter dem losen und leeren Waschbeckenunterschrank im Badezimmer. Sowohl vom Balkon als auch aus der Küche war das Badezimmer „mit wenigen Schritten binnen Sekunden“ zu erreichen. Der Angeklagte hätte die Schusswaffe daher, wie er wusste, bei dem Betäubungsmittelhandel jederzeit „ohne nennenswerten Zeitaufwand“ laden und einsetzen können. Revolver und Munition hatten zwei flüchtige Bekannte des Angeklagten („I.“ und „L. “) mit dessen Zustimmung in der Wohnung deponiert.

2. In dem nunmehr angefochtenen Urteil hat das Landgericht Folgendes ergänzend festgestellt:

Das Abziehen des Waschtischunterschranks, das Hervorholen des Revolvers, das Heraussuchen der passenden Munition und das Laden des Revolvers war für einen Waffenexperten in etwa 14 Sekunden zu bewältigen. Der waffenunkundige, mit dem Unterschied von Revolverund Pistolenmunition nicht vertraute Angeklagte hätte hierfür hingegen mehrere Minuten benötigt.

Die Strafkammer hat nicht feststellen können, dass „der Angeklagte mitbekam, wo ‚I. ‘ und ‚L. ‘ den Revolver und die Munition deponiert hatten oder … später von dem Versteck, im Bad erfuhr“.

3. Das Landgericht hat zum Schuld- und Maßregelausspruch - abweichend vom ersten Rechtsgang - nunmehr folgende Wertungen getroffen:

a) Angesichts des zur Herstellung der Gebrauchsbereitschaft des Revolvers erforderlichen Zeitaufwands von mehreren Minuten sei der Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht verwirklicht. Mangels Kenntnis vom Aufbewahrungsort der Schusswaffe und der Munition habe der Angeklagte sich nicht wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe und von Munition im Sinne des § 52 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a und b WaffG strafbar gemacht.

b) Die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB seien gegeben. Insbesondere bestehe eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht. Der aufenthaltsrechtliche Status des Angeklagten stehe dem nicht entgegen, da der Behandlungserfolg auch ohne Ausgänge in der Lockerungsphase erreicht werden könne. Ungeachtet dessen „dürfte die Verpflichtung des Angeklagten, sich dem Maßregelvollzug zu stellen“, einen Anspruch auf eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG und „gegebenenfalls“ die Möglichkeit der Teilnahme an Lockerungsmaßnahmen begründen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist überwiegend begründet.

1. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht von einer Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe und von Munition (§ 52 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a und b WaffG) abgesehen hat.

a) Die Vorgehensweise des Landgerichts begegnet insoweit mit Blick auf die innerprozessuale Bindungswirkung der aufrechterhaltenen Feststellungen des Urteils im ersten Rechtsgang durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Hebt das Revisionsgericht ein Urteil auf, erhält es die Feststellungen aber in Anwendung des § 353 Abs. 2 StPO aufrecht, weil diese nicht von dem Rechtsfehler betroffen sind, ist das Tatgericht im weiteren Verfahren an diese Feststellungen gebunden. Er darf sie zwar noch ergänzen; die ergänzenden Feststellungen dürfen den bindend gewordenen jedoch nicht widersprechen. Beweisergebnisse, die im Widerspruch zu bindenden Feststellungen stehen, haben außer Betracht zu bleiben (vgl. BGH, Urteile vom 27. November 1959 - 4 StR 394/59, BGHSt 14, 30, 36 f.; vom 14. Januar 1982 - 4 StR 642/81, BGHSt 30, 340, 342 f.; vom 12. Juni 2014 ? 3 StR 139/14, NStZ 2015, 182, 183; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 353 Rn. 21; KK/Gericke, StPO, 8. Aufl., § 353 Rn. 34).

bb) Gemessen daran hat das Landgericht seiner rechtlichen Bewertung eine ergänzende Feststellung zugrunde gelegt, die im Widerspruch zu den nach § 353 Abs. 2 StPO aufrechterhaltenen und damit innerprozessual bindenden steht. Nach den Feststellungen im ersten Rechtsgang „wusste“ der Angeklagte, dass er die am Tag seiner Festnahme im Badezimmer aufbewahrte Schusswaffe „jederzeit“ hätte einsetzen können. Dies setzt die Kenntnis des Aufenthaltsortes voraus. Das Landgericht hatte mithin im ersten Rechtszug bindend festgestellt, dass der Angeklagte den Aufbewahrungsort der Waffe und der Munition kannte. Dies ist aber nicht mit der nunmehr getroffenen Feststellung vereinbar, wonach ihm zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen sei, wo die Waffe deponiert worden war.

b) Das Landgericht ist zudem zugunsten des Angeklagten von einem zu engen Besitzbegriff des § 52 Abs. 3 Nr. 2 WaffG ausgegangen.

Gemäß Anlage 1 Abschnitt 2 Nr. 2 zu § 1 Abs. 4 WaffG besitzt eine Waffe oder Munition, wer die tatsächliche Gewalt darüber ausübt. Der Besitz im waffenrechtlichen Sinn entspricht daher grundsätzlich dem unmittelbaren Besitz des § 854 BGB (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1974 - 1 StR 5/74, NJW 1975, 226, 227; Pauckstadt-Maihold/Lutz in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 234. EL. Januar 2021, Waffengesetz, § 1 Rn. 22). Neben der objektiven Sachherrschaft ist ein Herrschaftswille und somit die Kenntnis vom Entstehen der (objektiven) Sachherrschaft erforderlich. Bei Gegenständen, die sich in der eigenen Wohnung befinden, ist hierfür nicht notwendig, dass der Herrschaftswille stets aktuell vorhanden ist. Es genügt vielmehr ein genereller Herrschaftswille über die Gegenstände, die sich im eigenen Herrschaftsbereich befinden (vgl. MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., WaffG, § 1 Rn. 164; Pauckstadt-Maihold/Lutz, aaO; siehe auch Palandt/Herrler, BGB, 80. Aufl., § 854 Rn. 4).

Gemessen daran hält die Ablehnung einer Verurteilung wegen einer Straftat nach § 52 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a und b WaffG der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn der Angeklagte übte die tatsächliche Gewalt über Waffe und Munition danach dadurch aus, dass er - wie im ersten Rechtsgang und damit bindend festgestellt - die von seinen flüchtigen Bekannten „mit seiner Zustimmung“ in seiner Wohnung deponierten Gegenstände „verwahrte“.

c) Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO geändert. Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, weil der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei zutreffender Rechtsanwendung zu einer höheren Strafe gelangt wäre (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Einziehungsentscheidung nach §§ 73, 73c StGB kann hingegen bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht berührt und bei der Strafbemessung nicht zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 - 5 StR 623/17 und 5 StR 624/17).

2. Soweit sich das Landgericht aufgrund der ergänzend getroffenen Feststellungen an einer Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG gehindert gesehen hat, weist der Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.

a) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht mit den insoweit ergänzend getroffenen Feststellungen nicht in durchgreifender Weise gegen die innerprozessuale Bindungswirkung der aufrechterhaltenen Feststellungen des Urteils im ersten Rechtsgang verstoßen.

Hinsichtlich des Mitsichführens einer Schusswaffe im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG war lediglich die Feststellung bindend geworden, dass das Badezimmer (in dem sich die Schusswaffe und die Munition befand) sowohl vom Balkon (auf dem der Angeklagte die Betäubungsmittel lagerte) als auch von der Küche (wo er die Drogen verpackte) „mit wenigen Schritten binnen Sekunden“ zu erreichen war. Die darauf fußende Annahme des Landgerichts im ersten Rechtsgang, der Angeklagte hätte die Waffe „ohne nennenswerten Zeitaufwand“ einsetzen können, hatte sich hingegen als ein nicht tragfähig begründeter Schluss erwiesen, weshalb insoweit keine innerprozessuale Bindungswirkung eingetreten war.

Danach durfte und musste die Strafkammer ergänzende Feststellungen treffen. Denn ein bewaffnetes Handeltreiben liegt nur dann vor, wenn der Täter die Schusswaffe oder sonstige, ähnlich gefährliche Gegenstände bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer in irgendeinem Stadium des Tathergangs jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2020 - 3 StR 433/19, NStZ 2020, 554; Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 355/18 jeweils mwN). In einer wie der hier gegebenen Fallkonstellation ist mithin nicht der für das Erreichen des Aufbewahrungsortes der Waffe, sondern der zur Herstellung der Gebrauchsbereitschaft erforderliche Zeitaufwand entscheidend. Diesen hatte das Landgericht im ersten Rechtsgang indes gerade nicht tragfähig festgestellt.

b) Unter Berücksichtigung der - auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden - ergänzenden Feststellungen des insoweit sachverständig beratenen Landgerichts weist die Ablehnung eines bewaffneten Handeltreibens keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Denn danach wäre es zwar für einen Waffenexperten möglich gewesen, die ungeladene Schusswaffe binnen vierzehn Sekunden ab dem Betreten des Badezimmers gebrauchsbereit zu machen. Der waffenunkundige Angeklagte - als Täter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln - hätte dafür hingegen mehrere Minuten benötigt. Angesichts dessen ist es rechtlich unbedenklich, dass das Landgericht ein Mitsichführen einer Schusswaffe im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verneint hat (vgl. BGH, aaO; Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 StR 203/10, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 11). Mangels Anhaltspunkten hat sich das Landgericht - anders als vom Generalbundesanwalt vermisst - nicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der Angeklagte irrig davon ausgegangen sein könnte, dass die Waffe einsatzbereit gewesen sei.

Soweit der Generalbundesanwalt zu Recht darauf hingewiesen hat, dass das Landgericht in Bezug auf ein Detail des Sachverhalts gegen die innerprozessuale Bindungswirkung verstoßen hat, beruht das Urteil hierauf nicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Strafkammer ist abweichend von den aufrechterhaltenen Feststellungen davon ausgegangen, dass sich die Revolverpatronen und die Pistolenmunition jeweils in einem eigenen Zellophanbeutel befanden. Diesem nebensächlichen Umstand hat sie indes keine Bedeutung für die inmitten stehende Frage beigemessen. Der Senat kann daher ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Rechtsanwendung zu einem wesentlich kürzeren Zeitaufwand und damit zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.

3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben.

Denn das Landgericht hat seine Entscheidung im Hinblick auf die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Therapie nicht in der gebotenen Weise nachvollziehbar dargestellt. So hat es sich mit etlichen Risikofaktoren in der Person des Angeklagten für einen Therapieerfolg, wie seinen langjährigen und polyvalenten Substanzmittelmissbrauch sowie seine feste Strukturen vermeidende Lebensweise, nicht auseinandergesetzt. Soweit das Landgericht im Hinblick auf die fehlende Aufenthaltserlaubnis des erheblich vorbestraften, in seinem Heimatland verlobten und nur wenige Monate nach seiner Wiedereinreise erneut straffällig gewordenen Angeklagten gemeint hat, den damit verbundenen Hindernissen in der Umsetzung der Therapiekonzepte und dem nicht möglichen Aufbau von eine abstinente Lebensweise stützenden Strukturen nach der Entlassung allein mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer „rein intramuralen“ Behandlung, begegnen zu können, genügt es den Darlegungsanforderungen nicht, zumal es verabsäumt hat, die therapeutischen Auswirkungen einer solchen Behandlung näher darzustellen (vgl. auch BT-Drucks. 16/5137, S. 10; 16/1344, S. 12 f.; BGH, Urteile vom 25. April 2018 - 2 StR 14/18 mwN; vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 411/07, StV 2008, 138, 139).

Soweit das Landgericht darauf verwiesen hat, dass die Anordnung nach § 64 StGB einen Anspruch des Angeklagten auf eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG begründen „dürfte“, ist dies rechtlich unzutreffend. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Die Anordnung der Unterbringung im Maßregelvollzug begründet ein solches Abschiebungshindernis jedoch nicht. Dies folgt schon daraus, dass die Staatsanwaltschaft nach § 456a Abs. 1 StPO von der Vollstreckung der Maßregel absehen kann, wenn der Verurteilte abgeschoben wird (vgl. auch BGH, Urteile vom 25. April 2018 - 2 StR 14/18 mwN; vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 411/07; StV 2008, 138, 139).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 673

Externe Fundstellen: NStZ 2021, 628

Bearbeiter: Christian Becker