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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 790

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 55/20, Beschluss v. 26.05.2020, HRRS 2020 Nr. 790


BGH 5 StR 55/20 - Beschluss vom 26. Mai 2020 (LG Görlitz)

Versuchsbeginn beim (Einbruchs-)Diebstahl (Angriff auf einen gewahrsamssichernden Schutzmechanismus); Mittäterschaft; Verstoß gegen den auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatz durch Einbeziehung von im Haftbefehl nicht erfassten Strafen.

§ 242 StGB; § 22 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 83h IRG

Leitsatz des Bearbeiters

Für den Versuchsbeginn beim (Einbruchs-)Diebstahl reicht regelmäßig ein Angriff auf einen gewahrsamssichernden Schutzmechanismus aus (hier: Einschlagen auf die Scheibe des verglasten Verkaufsraums einer geschlossenen Tankstelle mit einem Hammer), wenn sich für den Fall von dessen Überwindung der Täter nach seinem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten T. wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 11. Oktober 2019, soweit es ihn betrifft,

im Schuldspruch dahin abgeändert, dass dieser Angeklagte des Diebstahls in zwei Fällen sowie des versuchten Diebstahls in zwei Fällen schuldig ist, und

im Strafausspruch zu Fall II.3 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Seine weitergehende Revision und die Revision des Angeklagten M. gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen. 3. Der Angeklagte M. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten des Diebstahls in drei Fällen sowie des versuchten Diebstahls schuldig gesprochen. Den Angeklagten T. hat es unter Einbeziehung von Strafen aus zwei früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten und den Angeklagten M. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat das Landgericht Entscheidungen über die Anrechnung von Auslieferungshaft und eine Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen getroffen. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen. Das Rechtsmittel des Angeklagten T. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es ebenso wie die Revision des Angeklagten M. unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts zu Fall II.1 der Urteilsgründe schlugen die Angeklagten in der Nacht zum 12. Februar 2018 mit einem Hammer auf eine Scheibe des verglasten Verkaufsraums einer geschlossenen Tankstelle ein, um daraus Stehlenswertes zu entwenden. Da die Scheibe aus Sicherheitsglas bestand, schafften sie es nicht, eine Öffnung für einen Einstieg in das Gebäude herzustellen. Nachdem eine Alarmanlage ausgelöst worden war, gaben sie ihr Vorhaben auf.

2. Im Fall II.3 der Urteilsgründe schlugen sie in der Nacht zum 27. Februar 2018 die Eingangstür zu dem Ladengeschäft eines Mobilfunkanbieters ein, um dort hochwertige Mobiltelefone zu entwenden. Im Inneren des Ladens mussten sie jedoch feststellen, dass lediglich nicht funktionsfähige Geräteattrappen ausgestellt waren. Nachdem sie vergeblich versucht hatten, in einen mit einem Schloss gesicherten Nebenraum einzudringen, nahm der Angeklagte M. beim Verlassen des Geschäfts noch eine der Geräteattrappen im Wert von einem Euro mit, um sie für sich zu behalten.

II.

Während die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten M. ergeben hat, ist das Rechtsmittel des Angeklagten T. teilweise erfolgreich.

1. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht im Fall 1 eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen versuchten gemeinschaftlichen (Einbruchs-)Diebstahls nach § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB angenommen. Für den Versuchsbeginn beim Diebstahl reicht regelmäßig ein Angriff auf einen gewahrsamssichernden Schutzmechanismus aus, wenn sich für den Fall von dessen Überwindung der Täter nach seinem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April - 5 StR 15/20 mwN unter Aufgabe früherer abweichender Rechtsauffassung; siehe auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 4 StR 397/19). Nach diesem Maßstab haben die Angeklagten im Sinne von § 22 StGB bereits unmittelbar zur Wegnahme der im Verkaufsraum erwarteten Beute angesetzt. Die Angeklagten hätten nach den Feststellungen unmittelbar nach Eröffnung eines Durchstiegs ungehindert auf die nicht weiter gesicherten Zigaretten zugreifen können, wie es wenige Tage später beim Einbruch in denselben Verkaufsraum im Fall II.2 der Urteilsgründe auch gelang.

2. Demgegenüber hält im Fall 3 die Verurteilung des Angeklagten T. wegen vollendeten gemeinschaftlichen Diebstahls nach § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Insoweit belegen die Feststellungen, nach denen der gemeinsame Tatplan der Angeklagten auf die Erlangung hochwertiger funktionierender Mobiltelefone gerichtet war, keine Vollendung der Tat in Bezug auf den Angeklagten T. .

Zwar verkennt das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt nicht, dass jeder Mittäter für das Handeln des anderen nur im Rahmen seines Vorsatzes haftet, also für den Erfolg nur insoweit verantwortlich ist, als sein Wille reicht (BGH, Urteile vom 25. Juli 1989 - 1 StR 479/88, BGHSt 36, 231, 234; vom 9. Juli 2002 - 1 StR 93/02, NStZ 2002, 597; vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32). Es sieht auch, dass hier allein „die Mitnahme eines werthaltigen Gegenstands aus dem aufgebrochenen Verkaufsraum durch einen Mittäter vom Vorsatz auch des anderen Mittäters umfasst“ war (UA S. 15). Danach konnte dem Angeklagten T. die Wegnahme der geringwertigen Telefonattrappe durch den Angeklagten M. nicht mittäterschaftlich gemäß § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. Denn sie war vom gemeinsamen Tatplan nicht gedeckt und mit ihr war nach den Umständen des Falles auch nicht zu rechnen. Der Angeklagte T. hat im Fall 3 mithin lediglich einen versuchten Diebstahl begangen.

b) Da weitergehende Feststellungen nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der insoweit geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hiergegen hätte verteidigen können.

c) Die Verringerung des Schuldumfangs im Fall 3 führt zur Aufhebung der hierfür erkannten Einzelstrafe, weil der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine niedrigere Strafe verhängt hätte.

d) Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese vom vorliegenden Wertungsfehler nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).

3. Schon die Aufhebung des Strafausspruchs im Fall 3 zieht die Aufhebung der gegen den Angeklagten T. erkannten Gesamtstrafe nach sich. Zudem weist die Bildung der Gesamtstrafe noch anderweitig einen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu zutreffend ausgeführt:

„Der Angeklagte ist aufgrund des Europäischen Haftbefehls vom 11. Juni 2019 von der Republik Polen ausgeliefert worden, nachdem das Bezirksgericht Swidnica mit Entscheidung vom 15. Juli 2019 die Auslieferung bewilligt hatte. Der vorgenannte Europäische Haftbefehl erfasst lediglich die im hiesigen Verfahren gegenständlichen Straftaten. Nur zur Verfolgung dieser Straftaten ist der Angeklagte, der auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes auch nicht verzichtet hat, von der Republik Polen ausgeliefert worden. Eine Auslieferungsbewilligung zur Vollstreckung der Strafen aus den Strafbefehlen liegt bisher nicht vor.

Bei dieser Verfahrenslage verstößt die Einbeziehung der Strafen aus den Strafbefehlen in die Gesamtfreiheitsstrafe gegen den Grundsatz der Spezialität (§ 83h Abs. 1 IRG). Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden (BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2013 - 3 StR 395/12NStZ-RR 2013, 178; vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14NStZ 2014, 590 mwN). Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass die Strafen aus den Strafbefehlen nur Geldstrafen zum Gegenstand haben; ein Anwendungsfall der Ausnahmeregelung des § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG liegt insoweit nicht vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2014 - 4 StR 303/11NStZ 2012, 100; vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14NStZ 2014, 590).“

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 790

Externe Fundstellen: NJW 2020, 2486; NStZ-RR 2020, 246

Bearbeiter: Christian Becker