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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 786

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 139/20, Beschluss v. 12.05.2020, HRRS 2020 Nr. 786


BGH 5 StR 139/20 - Beschluss vom 12. Mai 2020 (LG Görlitz)

Durchgreifend rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung.

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 6. Dezember 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit er wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist (Fälle II.1 bis 4 der Urteilsgründe), im Ausspruch über die Gesamtstrafe und hinsichtlich der Einziehungsentscheidungen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vier Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur ganz überwiegenden Aufhebung des Urteils; im Übrigen ist sie im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der bereits mehrfach wegen Betäubungsmittelstraftaten vorbestrafte Angeklagte dem gesondert Verfolgten M. zweimal 50 Gramm Crystal, einmal 70 Gramm Crystal (Wirkstoffgehalt jeweils mindestens 63 %) und in einem Fall 85,82 Gramm Crystal (Wirkstoffgehalt 77,7 %) sowie 145 Ecstasytabletten (Wirkstoffgehalt knapp 20 Gramm MDMA-Base). Zudem besaß er eine geringe Menge Amphetamin.

2. Das Landgericht hat sich in den Handelsfällen von der Täterschaft des bestreitenden Angeklagten in erster Linie aufgrund der Angaben des Zeugen M. überzeugt. In der Hauptverhandlung hat dieser erklärt, der Inhalt einer am 6. August 2018 durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Beschuldigtenvernehmung sei zutreffend. Die Initiative zu dieser Vernehmung sei nicht von ihm ausgegangen und ihm seien keine Versprechungen gemacht worden. Er habe sich zu diesem Zeitpunkt etwa vier Wochen in Untersuchungshaft befunden. Sein in dieser Sache laufendes Strafverfahren stehe noch aus. Soweit er in der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vom 12. Juli 2018 einen seiner Abnehmer als seinen Lieferanten bezeichnet habe, sei dies falsch. Im Übrigen hat der Zeuge von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht.

Den Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung des Zeugen M. hat die Strafkammer durch Vernehmung zweier Staatsanwälte eingeführt. Diesen habe er berichtet, er kenne den Namen seines Lieferanten nicht, er habe diesen lediglich „D.“ genannt und über vier verschiedene, im Einzelnen bezeichnete Telefonnummern erreicht. Der Lieferant habe einen Schäferhund. Man habe sich in einer Spielothek kennengelernt. Treffpunkte zur Abwicklung der Drogengeschäfte seien verschiedene Spielotheken in W. gewesen. Im Rahmen einer anschließend durchgeführten Wahllichtbildvorlage hat der Zeuge M. den Angeklagten nach vorheriger Personenbeschreibung (1,70 Meter groß, schwarzhaarig, dünn, maximal 30 Jahre alt) wiedererkannt und als seinen Lieferanten bezeichnet. Nach dieser Vernehmung wurde der Zeuge M. gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft vom Amtsgericht Cottbus aus der Untersuchungshaft entlassen.

In seiner polizeilichen Vernehmung, deren Inhalt über einen Polizeibeamten eingeführt wurde, hat der Zeuge M. u.a. angegeben, die bei ihm gefundenen Betäubungsmittel bewahre er für einen T. auf. Nach polizeilichen Erkenntnissen war dieser bislang nur als Abnehmer aufgefallen.

Über die Ergebnisse einer Telefonüberwachung des Telefonanschlusses des Zeugen M. hat ein Polizeibeamter berichtet. Ein auf den Angeklagten angemeldeter Anschluss sei erstmals im März 2018 von M. angerufen worden, man habe sich vor einer Spielothek verabredet. Zwischen dem 16. und 19. April 2018 seien weitere Kontaktaufnahmen erfolgt. Aus einer SMS ergebe sich, dass der Angeklagte einen Schäferhund habe. Auch ein vom Zeugen geschilderter Drogenumtausch ergebe sich aus der Telefonüberwachung, es sei aber nur verklausuliert gesprochen worden.

In zwei bei einer Durchsuchung bei dem Angeklagten gefundenen Mobiltelefonen war die Nummer des Zeugen M. gespeichert. Zudem wurden bei ihm 450 Euro in bar, ein Glasröhrchen mit Crystalanhaftungen, ein grünes Plastikziehröhrchen sowie 0,09 Gramm Crystal aufgefunden. Angaben des Angeklagten, wonach das Geld aus einem Spielothekengewinn stamme und ein Telefon ihm erst kurz vor der Durchsuchung übergeben worden sei, hat die Kammer aufgrund der Angaben weiterer Zeugen als widerlegt angesehen. Zudem hat seine frühere Freundin bekundet, dass er jedenfalls seit 2018 einen Schäferhund besitze.

3. In ihrer Beweiswürdigung hat die Strafkammer berücksichtigt, dass lediglich der Zeuge M. den Angeklagten als Lieferanten belastet. Sie hat eingestellt, dass dieser ein Interesse daran habe, seine eigene Rolle gering zu halten. Für eine bewusste Falschbelastung gebe es aber keine Hinweise. Dagegen spreche, dass der Zeuge den Angeklagten anlässlich seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung nicht namentlich als Lieferanten, sondern lediglich mit seinem Spitznamen „D.“ benannt habe. Hätte er ihn zu Unrecht belasten wollen, hätte es nahegelegen, ihn zu diesem Zeitpunkt namentlich zu nennen. Der Angeklagte habe einen Hund und sei vom Zeugen M. bei einer ordnungsgemäßen Wahllichtbildvorlage eindeutig wiedererkannt worden. Zudem seien die Angaben des Angeklagten, er kenne den Zeugen nicht, durch bei der Durchsuchung aufgefundene Mobiltelefone und eine SIM-Karte sowie die Ergebnisse der Telefonüberwachung widerlegt. Schließlich seien beim Angeklagten nicht unerhebliche Mengen Bargeld und eine Kleinstmenge Ecstasy gefunden worden.

4. Die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen kann nicht bestehen bleiben, da die Beweiswürdigung insoweit an durchgreifenden Rechtsfehlern leidet.

a) Das Landgericht hat in seiner Beweiswürdigung nicht berücksichtigt, dass der einzige Belastungszeuge für Fragen der Verfahrensbeteiligten nicht zur Verfügung stand und sich zudem erst im Laufe seiner Vernehmung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen hat, weswegen seine Angaben besonders vorsichtig und kritisch zu würdigen gewesen wären (vgl. MüKoStPO/Miebach, § 261 Rn. 302). Daran fehlt es aber, denn die Strafkammer hat diesem Umstand keinerlei erkennbare Bedeutung zugemessen.

b) Schließlich fehlt es in der Beweiswürdigung an einer Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der Zeuge M. nach eigenem Bekunden in seiner polizeilichen Vernehmung einen Abnehmer zu Unrecht als Lieferanten bezeichnet hat. Auch dies hätte Anlass gegeben, seine nunmehrige Belastung des Angeklagten besonders kritisch zu hinterfragen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., aaO, § 261 Rn. 11a mwN).

c) Soweit die Strafkammer eine Falschbelastung des Angeklagten durch den Zeugen M. mit dem Argument verneint hat, in diesem Fall hätte der Zeuge den Namen des Angeklagten und nicht nur seinen Spitznamen „D.“ genannt, setzt dies voraus, dass dem Zeugen der richtige Name des Angeklagten überhaupt bekannt gewesen wäre. Dies war nach den Angaben des Zeugen aber nicht der Fall.

d) Angesichts der schwierigen Beweislage erweist sich auch die Darstellung der Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung als defizitär.

5. Die Aufhebung der Schuldsprüche wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zieht den Wegfall der dafür verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe sowie der Einziehungsentscheidungen (vgl. insoweit auch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts) nach sich. Die für den vom Beweiswürdigungsmangel nicht betroffenen Fall II.5 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verhängte Einzelstrafe von einem Monat kann hingegen bestehen bleiben.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 786

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 286

Bearbeiter: Christian Becker