hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 456

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 627/19, Urteil v. 15.03.2021, HRRS 2021 Nr. 456


BGH 5 StR 627/19 - Urteil vom 15. März 2021 (LG Dresden)

Einschleusen von Ausländern (das Leben gefährdende Behandlung; Tatort am Ort Erfolgseintritts; Verbot der Einreise; Gewerbsmäßigkeit).

§ 96 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für die Verwirklichung des Qualifikationsmerkmals des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG verlangt das Gesetz keinen eigenhändigen auf die Behandlung des Geschleusten gerichteten Beitrag eines Hilfeleistenden, dessen Teilnahmehandlung nach dem Grundtatbestand in § 96 Abs. 1 AufenthG zu einer selbständigen in Täterschaft begangenen Straftat heraufgestuft ist. Erforderlich ist bei der Qualifikationsmerkmalsvariante der lebensgefährdenden Behandlung lediglich, dass die geschleusten Personen jeweils einer das Leben gefährdenden Behandlung ausgesetzt werden und der Angeklagte den Schleusungsvorgang mit Vorsatz hinsichtlich der lebensgefährlichen Umstände fördert.

2. Das Qualifikationsmerkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 AufenthG setzt nicht voraus, dass eine konkrete Lebensgefahr eingetreten ist; ausreichend ist vielmehr, dass die Behandlung, der der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt wird, nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Generalstaatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 10. Juli 2019 - unter Aufrechterhaltung der Feststellungen - aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einschleusens von Ausländern in fünf Fällen und versuchten Einschleusens von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene, zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Generalstaatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Ihr Rechtsmittel erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte, ein staatenloser Palästinenser, half im Zeitraum von September 2014 bis Anfang September 2015 in fünf Fällen Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien bei ihrer illegalen Einreise von der Türkei nach Italien bzw. Griechenland; in einem weiteren Fall versuchte er es. Von dort gelangten die Flüchtlinge jeweils plangemäß, wie der Angeklagte wusste, nach Deutschland. Bei den Flüchtlingen handelte es sich um palästinensische Landsleute, die - wie er selbst - aus dem umkämpften syrischen Kriegsgebiet Aleppo stammten und ihn aufgrund seiner früheren dortigen Tätigkeit in einer Klinik und einer medizinischen Ambulanz kannten. Der Angeklagte hatte selbst im Juli 2013 versucht, aus dem Kriegsgebiet in Aleppo heraus über die Türkei in ein Land der Europäischen Union auszuwandern. Dabei war auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland das Boot, auf dem er sich mit 55 anderen Passagieren befunden hatte, in Seenot geraten und gesunken; 44 Menschen waren bei diesem Schiffsunglück ertrunken.

Der Angeklagte lebte anschließend in der Türkei, wo er für schleusungswillige Landsleute erreichbar war. Nach einer Kontaktaufnahme empfing er die Flüchtlinge persönlich im türkischen Ort Mersin, um mit ihnen die Kosten und die Umstände einer Überfahrt auf dem Seeweg von der Türkei nach Italien oder Griechenland zu besprechen. Auf die Gefährlichkeit derartiger Überfahrten wies er dabei stets hin und riet zu dem Erwerb von Rettungswesten. Er vermittelte die Flüchtlinge jeweils an vom Landgericht sogenannte „Migrantenmakler“ weiter, die ihrerseits Kontakt zu den türkischen Schleusern hatten, die die Überfahrten organisierten und durchführten. Dabei blieb er für die Flüchtlinge bis zu ihrer Abreise ihr Ansprechpartner und gab ihnen Informationen über Abfahrtszeiten und -orte. Hierbei machte er sich seine Erfahrungen aus der eigenen Schiffsreise im Umgang mit Schleusern zunutze. Für die Fahrt mussten die Flüchtlinge den Schleusern einen Betrag von 5.000 bis 6.000 Dollar bzw. Euro bezahlen. Der Angeklagte, der es ablehnte, von der Notsituation der Flüchtlinge zu profitieren, verlangte und erhielt von ihnen kein Geld für seine Unterstützung. Die von ihm vermittelten Personen reisten nach der Überfahrt, wie von vornherein beabsichtigt, auf dem Landweg innerhalb Europas illegal nach Deutschland ein, wo sie fortan lebten.

Im Fall 1 der Urteilsgründe vermittelte der Angeklagte gegen Zahlung des „Fahrpreises“ die Einschiffung von drei Personen, indem er für ihre kurzzeitige Unterbringung in einem Hotel sorgte und sie zusammen mit dem gesamten von ihnen erhaltenen Geld an den „Migrantenmakler“ A. übergab. Sie wurden von weiteren Schleusern gemeinsam mit anderen Migranten auf einen Fischkutter verbracht. Der Kutter geriet am 24. Oktober 2014 in Seenot, sodass die insgesamt 222 Insassen durch ein Containerschiff gerettet werden mussten. Die drei durch Vermittlung des Angeklagten geschleusten Personen reisten über Italien und Österreich am 2. November 2014 unerlaubt in das Bundesgebiet ein. Für seinen Dienst erhielt der Angeklagte von A. im Nachhinein 500 Euro.

Im Fall 2 vermittelte der Angeklagte für einen zu schleusenden Flüchtling zunächst dessen Unterbringung in einem Hotel und anschließend seine Übergabe an A. Der Flüchtling wurde von weiteren Schleusern auf einem mit anderen Passagieren dicht beladenen Zubringerboot, einem Fischkutter, zu einem auf dem offenen Meer liegenden Frachter transportiert. Der Frachter wurde am 18. November 2014 mit insgesamt 564 Migranten von der italienischen Küstenwache aufgebracht. Der durch Vermittlung des Angeklagten Geschleuste reiste über Italien und Österreich am 23. November 2014 unerlaubt in das Bundesgebiet ein.

Im Fall 3 nahm der Angeklagte Anfang 2015 den Auftrag an, einer sechsköpfigen Familie die Überfahrt von der Türkei nach Italien auf dem Seeweg zu vermitteln. Er brachte die Schleusungswilligen im Januar 2015 zunächst in einem Hotel unter. Da trotz Vermittlungsversuchen des Angeklagten die beabsichtigte Überfahrt nach Italien nicht realisiert werden konnte, wandte sich ein Familienmitglied sodann direkt an einen Schleuser, der die Familie mit einem Schlauchboot nach Griechenland brachte, von wo sie über die sogenannte Balkanroute weiter nach Deutschland reiste.

Im Fall 4 unterstützte der Angeklagte durch seine Vermittlung an A. die Unterbringung seines Auftraggebers auf einem Fischkutter zur Überfahrt nach Italien. Hierfür zahlte dieser direkt an die Schleuser das Entgelt, zu dem der Angeklagte ihm 500 Euro beisteuerte. Der Geschleuste reiste über Italien im Dezember 2014 unerlaubt in das Bundesgebiet ein.

Im Fall 5 vermittelte der Angeklagte Anfang 2015 eine Schleusungswillige und ihre fünf Kinder an einen „Migrantenmakler“. An Bord eines mit etwa 350 Insassen besetzten Fischkutters wurde die Familie über das Mittelmeer nach Italien gebracht. Von dort reiste sie am 21. Juni 2015 unerlaubt in das Bundesgebiet ein.

Im Fall 6 hatte der Angeklagte Anfang 2015 der Schwester seiner Schwägerin zunächst zugesagt, ihr mit ihren vier Kindern eine Überfahrt nach Italien zu vermitteln. Nachdem er sie in einem Hotel untergebracht hatte, scheiterte die Schleusung an einer verstärkten Präsenz der türkischen Küstenwache. Daraufhin vermittelte er sie Anfang September 2015 an Schleuser, die den Transport der fünfköpfigen Familie übernahmen. Als Teil einer aus insgesamt 40 Personen bestehenden Flüchtlingsgruppe wurde sie an die Küste gebracht und mit einem Schlauchboot zur griechischen Insel Lesbos gefahren. Von dort reiste die Familie am 10. Oktober 2015 unerlaubt in das Bundesgebiet ein.

2. Das Landgericht hat in sämtlichen Fällen den Tatbestand des Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 96 Abs. 4 AufenthG als erfüllt angesehen, wobei der Angeklagte im Fall 1 entgeltlich gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a AufenthG, bei allen Taten wiederholt und in den Fällen 1 und 3 bis 6 zudem zugunsten mehrerer Ausländer gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b AufenthG gehandelt habe. Das Qualifikationsmerkmal eines gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) hat es mit der Begründung verneint, der Angeklagte habe nur einmalig im Fall 1 im Nachhinein eine „Dankgabe“ für seine Vermittlung angenommen. Für die übrigen Taten habe er keinen finanziellen Vorteil erhalten oder sich versprechen lassen. Sein Handeln sei allein dadurch bestimmt gewesen, seine Landsleute in der ausweglosen Kriegssituation als staatenlose Palästinenser bei ihrer Flucht nach Deutschland zu unterstützen.

Nach Ansicht des Landgerichts hat der Angeklagte die Geschleusten auch nicht einer das Leben gefährdenden Behandlung ausgesetzt (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Zwar seien die Überfahrten mit den Schiffen und Booten aufgrund der Beschaffenheit der Schiffe und der Überbesetzung der Fischerboote „auf der Hand liegend lebensgefährliche Unternehmungen“ gewesen. Jeder Überfahrt habe die Gefahr des Ertrinkens innegewohnt und es sei jeweils die Situation einer Seenot entstanden, wenn die Besatzung das Schiff verlassen habe und es herrenlos vor sich hingetrieben sei. Jedoch habe der Angeklagte auf die Organisation und Durchführung der Überfahrten keinen Einfluss gehabt. Deren Verlauf und der Zustand der Boote hätten nicht in seiner Verantwortung gelegen.

II.

Die Revision der Generalstaatsanwaltschaft, mit der sie geltend macht, dass der Angeklagte nicht wegen des Qualifikationstatbestands des gewerbsmäßigen Einschleusens nach § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG verurteilt worden ist, hat zwar nicht mit dieser Begründung Erfolg, führt aber aus anderen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weist die Beweiswürdigung zur Frage eines gewerbsmäßigen Handelns des Angeklagten - eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsumfangs (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179) - keinen Rechtsfehler auf.

Das Landgericht hat die relevanten Beweisergebnisse in den Blick genommen und vertretbar gewürdigt. Insbesondere hat es sich für seine Überzeugung, dass der Angeklagte kein Entgelt für seinen Vermittlungsdienst erhalten oder verlangt habe, auf die hierzu übereinstimmenden Aussagen sämtlicher Zeugen stützen können, die mit seiner Hilfe geschleust wurden. Soweit die Beschwerdeführerin mit urteilsfremdem Vortrag zu einem Durchschnittseinkommen in der Türkei die Angaben des Angeklagten zu seinen dortigen regulären Monatseinkünften und die zeugenschaftliche Bewertung von dessen wirtschaftlicher Lage durch seinen früheren Arbeitgeber in Zweifel zu ziehen sucht, kann sie damit nicht durchdringen. Weder insoweit noch in Bezug auf eine vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vermisste noch weitergehende Erörterung der Feststellungen aus einem Urteil eines türkischen Gerichts in Mersin vom 25. Mai 2018, das bezogen auf einen späteren Tatzeitraum gleichartige Tatvorwürfe zum Gegenstand hatte, sind zulässige Verfahrensrügen erhoben.

Die vom Generalbundesanwalt zu Recht monierte missverständliche Formulierung, die Einlassung des Angeklagten, er habe aus den Hilfeleistungen - abgesehen von Fall 1 - sonst kein Einkommen erzielt, sei „ihm nicht zu widerlegen“, lässt den Senat nicht besorgen, dass sich das Landgericht bei der Würdigung der Einlassung von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14. Oktober 2020 - 5 StR 165/20 mwN; KKStPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 90) hat leiten lassen. Denn es hat die Plausibilität der Einlassung vor dem Hintergrund der weiteren Beweisergebnisse geprüft und seine Überzeugung von einer altruistischen Motivation des Angeklagten - wie dargelegt - maßgeblich auf die sie bestätigenden Angaben der Geschleusten gestützt.

2. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die rechtsfehlerfreien Feststellungen einerseits die von der Strafkammer angenommene Strafbarkeit nach § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in den Fällen 2 bis 6 nicht belegen (Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten, vgl. § 301 StPO), das Landgericht andererseits aufgrund eines unzutreffenden Maßstabs eine Strafbarkeit nach § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG abgelehnt und zudem nicht geprüft hat, ob sich der Angeklagte nach § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG wegen gefährlichen wiederholten Einschleusens von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland schuldig gemacht hat (Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten).

a) Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 1 AufenthG angenommen, ohne sich erkennbar mit dessen Voraussetzungen auseinanderzusetzen.

aa) Soweit es das Landgericht versäumt hat darzulegen, gegen welche ausländischen oder europäischen Rechtsvorschriften in den abgeurteilten Fällen die aus Syrien stammenden Drittausländer verstoßen haben und welcher von § 96 Abs. 4 AufenthG in Bezug genommenen Tathandlung dies entsprach (vgl. BGH, Beschluss vom 14. August 2019 - 5 StR 228/19, StraFo 2019, 524, 525), lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zwar noch entnehmen, dass die Einreise der mit Hilfe des Angeklagten geschleusten Personen nach Maßgabe der italienischen bzw. griechischen Rechtsordnung unerlaubt war. Als Nicht-EU-Ausländer im Sinne des § 96 Abs. 4 Nr. 2 AufenthG benötigten sie für ihre Einreise aus der Türkei nach Italien bzw. Griechenland gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. mit Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 ein Visum, das sie nicht hatten. Das bloße Verbot der Einreise war für die Erfüllung des § 96 Abs. 4 Nr. 1 AufenthG ausreichend (BGH, Urteile vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 255/18; vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, NStZ-RR 2020, 184, 185; Beschluss vom 13. Januar 2015 - 4 StR 378/14, NStZ 2015, 399, 401).

bb) Dem Landgericht ist jedoch bei Anwendung des § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 1 AufenthG aus dem Blick geraten, dass insoweit nur die eigennützige Anstiftung oder Beihilfe zur illegalen Einreise (Tathandlung entsprechend § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) erfasst wird (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a AufenthG).

Da der Angeklagte nach den Feststellungen in den Fällen 2 bis 6 keinen finanziellen Vorteil erhalten oder versprochen bekommen hat, ist sein Handeln dort mithin nach diesen Vorschriften nicht strafbar.

b) Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen des Qualifikationstatbestands der gefährlichen Schleusung nach § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Für die Verwirklichung des Qualifikationsmerkmals des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG verlangt das Gesetz keinen eigenhändigen auf die Behandlung des Geschleusten gerichteten Beitrag eines Hilfeleistenden, dessen Teilnahmehandlung nach dem Grundtatbestand in § 96 Abs. 1 AufenthG zu einer selbständigen in Täterschaft begangenen Straftat heraufgestuft ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2003 - 2 StR 31/03, NStZ 2004, 45; Beschlüsse vom 30. Mai 2013 - 5 StR 130/13, BGHSt 58, 262, 265 f.; vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 212/18, NJW 2018, 3658, 3659; MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 2 mwN). Daher kommt es für die Frage einer strafrechtlichen Verantwortung für die zur Qualifikation führende Behandlung entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht darauf an, ob der Angeklagte auf Organisation und Durchführung der Überfahrten oder den Zustand der Boote hätte Einfluss nehmen können (vgl. Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, NStZ-RR 2020, 184, 185; enger für § 97 Abs. 1 AufenthG BGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 255/18, NStZ 2019, 287, 288). Erforderlich ist bei der hier in Betracht kommenden und auch vom Landgericht in den Blick genommenen Qualifikationsmerkmalsvariante der lebensgefährdenden Behandlung lediglich, dass die geschleusten Personen jeweils einer das Leben gefährdenden Behandlung ausgesetzt waren und der Angeklagte den Schleusungsvorgang mit Vorsatz hinsichtlich der lebensgefährlichen Umstände der Überfahrt gefördert hat.

bb) Insoweit liegt nach den bisher getroffenen Feststellungen die Verwirklichung dieses Qualifikationstatbestands (gegebenenfalls als Versuch im Fall 3) nicht fern. Das Qualifikationsmerkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 AufenthG setzt nicht voraus, dass eine konkrete Lebensgefahr eingetreten ist; ausreichend ist vielmehr, dass die Behandlung, der der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt wird, nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 212/18, aaO; vom 7. Mai 2019 - 1 StR 8/19, NStZ 2020, 677, 678; Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, aaO; MüKoStGB/Gericke, aaO Rn. 36). Wie auch das Landgericht nicht verkannt hat, sprachen zumindest in den vorgenannten Fällen die festgestellten Transportbedingungen für eine generelle Gefährdung des Lebens der Geschleusten. Auch ein diesbezüglicher Vorsatz des Angeklagten hat nach den Feststellungen nicht ferngelegen. Denn danach wies er mit seiner eigenen Seenoterfahrung die Schleusungswilligen stets auf die Gefährlichkeit der Überfahrten auf dem Seeweg hin und riet zu dem Erwerb von Rettungswesten.

cc) Bei Erfüllung der Voraussetzungen von § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG käme auch in den Fällen 2 bis 6 eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG in Verbindung mit der vorgenannten EU-Visa-Verordnung vom 15. März 2001 und den diese ergänzenden italienischen bzw. griechischen Vorschriften über die unerlaubte Einreise nach Italien bzw. Griechenland in Betracht. Denn § 96 Abs. 4 AufenthG ordnet ausdrücklich die entsprechende Anwendung von § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG auf solche Taten an. Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht darauf an, ob in den von § 96 Abs. 4 AufenthG genannten Fällen des § 96 Abs. 2 AufenthG auch die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a oder Nr. 2 AufenthG vorliegen; vielmehr erfasst § 96 23 24 Abs. 4 AufenthG auch uneigennützige Einreiseschleusungen, wenn sie unter den qualifizierenden Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 5 AufenthG begangen werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, aaO; MüKoStGB/Gericke, aaO Rn. 40; Hohoff in BeckOK AuslR, AufenthG, 28. Ed., § 96 Rn. 23; wohl enger, jedoch nicht tragend, BGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 255/18, NStZ 2019, 287).

c) Das Landgericht hat überdies nicht bedacht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen nicht nur nach § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG strafbare Auslandstaten hinsichtlich der unerlaubten Einreise der Geschleusten in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (Italiens bzw. Griechenlands) begangen haben kann, sondern mit dem von der Anklage ebenso erfassten nämlichen Handeln (§ 264 StPO) auch strafbare Inlandstaten des Einschleusens von Ausländern in das Bundesgebiet nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Angeklagte jeweils nicht nur zur Einreise der Geschleusten nach Italien bzw. Griechenland, sondern damit zugleich auch vorsätzlich zu ihrer unerlaubten Einreise nach Deutschland Beihilfe geleistet hätte.

Der Angeklagte, selbst Ausländer, hat als Teil einer Schleuserkette (vgl. zur Anwendbarkeit der Grundsätze zur sogenannten Kettenbeteiligung BGH, Urteil vom 25. März 1999 - 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409, 410; Beschluss vom 6. Juni 2012 - 4 StR 144/12, NJW 2012, 2821, 2822 mwN) seine täterschaftlichen Hilfeleistungen zwar ausschließlich in der Türkei und damit im Ausland erbracht. Jedoch ist eine Straftat nicht nur an dem Ort begangen, wo der Täter gehandelt hat, sondern auch dort, wo der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist (§ 9 Abs. 1 i.V.m. § 3 StGB). Bei den Vergehen nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht der Erfolg der Schleusertätigkeit in der unerlaubten Einreise der Geschleusten in das Bundesgebiet, in der zugleich der Erfolg der in § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgeführten Bezugstaten nach § 95 AufenthG liegt; er tritt daher im Inland ein. Hier beabsichtigten die vom Angeklagten unterstützten Ausländer - wie er wusste - von Anfang an, über das Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten der Europäischen Union in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Die objektive Förderung dieses unerlaubten Grenzübertritts setzt nicht voraus, dass die Hilfeleistung hierzu unmittelbar geleistet wird. Schon eine Unterstützung im Vorfeld der Einreise ist ausreichend, wenn sie den Grenzübertritt ermöglicht oder erleichtert (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2012 - 4 StR 144/12, NJW 2012, 2821 f. mwN). Auch insoweit wäre die Qualifikation des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG zu prüfen. Denn hierfür reicht es aus, dass die vom Vorsatz umfasste lebensgefährdende Behandlung lediglich während eines Teilakts des letztlich zur unerlaubten Einreise nach Deutschland führenden Schleusungsgeschehens verwirklicht wird.

Das Einschleusen nach Italien bzw. Griechenland und das Einschleusen in die Bundesrepublik Deutschland stünden - sofern nicht, was zu erwägen sein wird, nach § 154a Abs. 2 StPO verfahren wird - in Tateinheit zueinander, da zwei verschiedene Rechtsgüter betroffen sind. § 96 Abs. 4 AufenthG schützt das jeweilige Hoheitsgebiet der genannten Unionsund Schengenstaaten vor unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, § 96 Abs. 1 AufenthG dagegen das Bundesgebiet. Zwar liegt bei einer - hier zur Täterschaft verselbständigten - im Vorfeld erbrachten Beihilfehandlung zu mehreren rechtlich selbständigen Haupttaten der unerlaubten Einreise nur eine Beihilfe, also ein Einschleusen, vor (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 - 2 StR 594/19, NStZ-RR 2021, 48, 49 mwN). Die Klarstellungsfunktion der Idealkonkurrenz gebietet im Hinblick auf die unterschiedlichen betroffenen Rechtsgüter aber die Annahme von Tateinheit (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2020 - 3 StR 75/20, StV 2020, 585, 586 mwN; vgl. zur tateinheitlichen Begehung von versuchtem Inlandsund vollendetem Auslandsdelikt auch BGH, Beschluss vom 9. September 2003 - 4 StR 269/03, BGHR AuslG § 92a Einschleusen 6; MüKoStGB/Gericke, aaO, Rn. 45).

3. Die Feststellungen sind von den vorgenannten Rechtsfehlern nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg. Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

III.

In der neuen Entscheidung wird die Strafkammer Gelegenheit haben, den Anrechnungsmaßstab in Bezug auf die in den Niederlanden vollzogene Auslieferungshaft zu bestimmen, über den das Landgericht im angefochtenen Urteil entgegen § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Entscheidung getroffen hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 456

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 160

Bearbeiter: Christian Becker