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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 405

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 623/19, Urteil v. 04.03.2020, HRRS 2020 Nr. 405


BGH 5 StR 623/19 - Urteil vom 4. März 2020 (LG Berlin)

Mittäterschaftlicher Raub mit Todesfolge (Grenzen der wechselseitigen Zurechnung; Exzess; Vorsatz hinsichtlich des todesursächlichen Nötigungsmittels; deliktstypische Risiken); Beweiswürdigung; Kognitionspflicht; fahrlässige Tötung.

§ 251 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 222 StGB; § 261 StPO; § 264 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Hat einer von mehreren Tatbeteiligten am Raub mit Todesfolge den qualifizierenden Erfolg verursacht, so setzt eine Strafbarkeit der übrigen nach § 251 StGB voraus, dass sich ihr zumindest bedingter Vorsatz auf das Nötigungsmittel erstreckt, durch welche der qualifizierende Erfolg herbeigeführt worden ist. Ein Beteiligter haftet mithin gemäß § 251 StGB als Mittäter des Raubes nur für die Folgen derjenigen Handlungen des den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Täters, die er in seine Vorstellungen von dem Tatgeschehen einbezogen hatte oder ihm zumindest gleichgültig waren.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Mai 2019 aufgehoben; die Feststellungen bleiben bestehen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines zurückgenommenen Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes - unter Anrechnung erlittener Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 - zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte bestritt seinen Lebensunterhalt seit 2008 durch europaweite Diebestouren. Zu diesem Zweck warb er Anfang April 2013 A., M. und T. an, mit denen er wenig später nach Deutschland reiste, um unter Einbindung seines in Berlin lebenden Onkels N. Einbruchdiebstähle zu begehen. Unter anderem fasste die Gruppierung dafür das Geschäft des Juweliers D. ins Auge, den sowohl N. als auch der Angeklagte kannten. Den zunächst gefassten Diebstahlsplan verwarfen sie jedoch, nachdem sie festgestellt hatten, dass die Zugangstüren außerhalb der Öffnungszeiten des Geschäftes mit Gittern gegen Einbrüche gesichert waren. Stattdessen entschlossen sie sich, den Juwelier auszurauben.

Da sie wussten, dass D. die Täter früherer Überfälle „wehrhaft in die Flucht geschlagen hatte“, besorgte der Angeklagte absprachegemäß am Vorabend der Tat von dem vormaligen Mitbeschuldigten H. einen geladenen Revolver, der allerdings ausschließlich zur Drohung eingesetzt werden sollte. Zudem kauften sie unmittelbar vor dem Überfall eine Rolle Panzerklebeband, um D. zu fesseln. Derart ausgerüstet betraten A. und M. das Lokal, während T. vor dem Geschäft blieb und der Angeklagte auf einem Parkplatz in unmittelbarer Nähe wartete.

A. und M. boten D. zunächst zum Schein Schmuckstücke zum Kauf an. Daraus entwickelte sich ein Streitgespräch, in dessen Verlauf M. den Juwelier mit dem Revolver bedrohte. D. wurde in der Folge jedoch nicht wie geplant gefesselt, sondern von M. erschossen. Dieser war „möglicherweise aus Angst vor D.“ vom Tatplan abgewichen „oder, weil er … nun doch keinen Zeugen für sein Tun zurücklassen wollte.“ Im Laufe des Geschehens war es D. „möglicherweise“ gelungen, nach einer unter dem Verkaufstresen liegenden Axt zu greifen. Ob dies tatsächlich der Fall war, konnte das Landgericht indes nicht sicher feststellen.

Anschließend entwendeten A. und M. Schmuck aus den Schaufensterauslagen und den Schränken im Tresenbereich. Zudem nahmen sie eine Goldkette vom Hals des Opfers und 1.000 Euro aus dessen Portemonnaie. Nachdem sie mit dem Versuch gescheitert waren, die im Geschäft befindlichen Tresore zu öffnen, verließen sie das Ladenlokal und übergaben Teile der Tatbeute wie verabredet dem Angeklagten, der nach der Flucht über Polen den Schmuck schließlich in Serbien für 43.000 Euro an einen Juwelier verkaufte. Der Erlös wurde anschließend geteilt. Von der Tötung des Juweliers erfuhr der Angeklagte spätestens in Polen.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten des besonders schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB für schuldig befunden. An einer Verurteilung wegen Mordes hat es sich gehindert gesehen, weil zugunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei der Tötung des Juweliers um einen Mittäterexzess des gesondert verfolgten M. gehandelt habe. Da es deshalb zugleich an dem nach § 251 StGB erforderlichen Gefährlichkeitszusammenhang fehle, scheide auch eine Verurteilung wegen Raubes mit Todesfolge aus.

II.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils.

1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin beruhen die Urteilsfeststellungen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Trifft es aufgrund der in der Hauptverhandlung angefallenen Erkenntnisse Feststellungen oder kann es wegen verbleibender Zweifel keine Feststellungen treffen, so ist dies durch das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob es Erkenntnisse anders gewürdigt oder dem Tatgericht verbleibende Zweifel überwunden hätte. Anderes gilt nur dann, wenn die Beweiswürdigung Rechtsfehler, etwa Lücken, Widersprüche, Unklarheiten oder Verstöße gegen die Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze, aufweist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Oktober 2008 - 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6, 20 f.).

b) Ausgehend hiervon begegnet es insbesondere keinen rechtlichen Bedenken, dass sich das Schwurgericht nicht von der vom Angeklagten in Abrede gestellten einvernehmlichen Verwendung eines aus einer Plastikflasche hergestellten Schalldämpfers für die Tatwaffe überzeugen konnte - einem nach Auffassung der Revision ganz wesentlich für einen gemeinsamen Tötungsplan sprechenden Indiz. Von den Personen, denen dies aus eigener Anschauung hätte bekannt sein können, hat zwar der gesondert verfolgte A. in früheren Vernehmungen entsprechende Angaben gemacht. Der Zeuge, der sich in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen hat, hat aber ausweislich der sorgfältigen Darstellung seiner zahlreichen polizeilichen und richterlichen Vernehmungen in den Urteilsgründen insofern widersprüchliche Aussagen getätigt. Zudem hat er als Zeuge in der Hauptverhandlung gegen den mittlerweile freigesprochenen H. seine Einlassung in dem gegen ihn selbst geführten Strafverfahren widerrufen, wonach der Angeklagte und H. kurz vor dem Überfall Klebeband für die Befestigung des Schalldämpfers erworben hätten. Hinsichtlich der Angaben des Zeugen Ne., der die Angaben des Zeugen A. bei einer polizeilichen Vernehmung bestätigt hat, hat das Landgericht bei der Würdigung der Aussage mit Recht einschränkend berücksichtigt, dass dem Zeugen das Protokoll der ersten richterlichen Vernehmung des Zeugen A. in Serbien vorgelegen hatte und seine Angaben auffällige Übereinstimmungen mit dessen Vernehmung aufwiesen. Hinzu kommt, dass es - da auch dieser Zeuge in der Verhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat - den Zeugen nicht selbst, sondern nur die Verhörsperson befragen konnte (vgl. zum insofern eingeschränkten Beweiswert der Aussage BGH, Beschluss vom 10. Juni 2013 - 5 StR 191/13, wistra 2013, 400; Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 53).

Soweit die Beschwerdeführerin bei der Würdigung der Angaben des Angeklagten eine Berücksichtigung des späten Zeitpunkts der Einlassung vermisst, deckt sie keinen Rechtsfehler auf. Dass dem Schwurgericht dies aus dem Blick geraten sein könnte, besorgt der Senat nicht. Entsprechendes gilt für die Bewertung der teils widersprüchlichen Aussagen des Zeugen A. .

2. Das Landgericht hat mit seinem Schuldspruch jedoch den Unrechtsgehalt der von ihm rechtsfehlerfrei festgestellten Tat nicht ausgeschöpft und ist somit seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht ausreichend nachgekommen.

a) Dies gilt zum einen für eine Strafbarkeit nach dem Waffengesetz. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte den bei der Tat eingesetzten Revolver besorgt. Danach liegt es nahe, dass er einen der Straftatbestände des § 52 WaffG verwirklicht hat. Angesichts dessen hätte sich das Schwurgericht zu entsprechenden Erörterungen gedrängt sehen müssen.

b) Zum anderen hätte das Schwurgericht eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) erörtern müssen. Der Angeklagte hat durch seine maßgeblichen Tatbeiträge eine (strafrechtswidrige) ursächliche Bedingung für den Tod des Juweliers D. gesetzt. Auch liegt es jedenfalls nicht fern, dass diese Folge seiner Handlungen für ihn vorhersehbar war (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11. Juli 1957 - 4 StR 160/57, BGHSt 10, 369, 371; SSW/StGB/Momsen, 4. Aufl., § 222 Rn. 6). Zwar hat das Schwurgericht keine Neigung des gesondert verfolgten M. zu Gewaltexzessen feststellen können. Schon allein das Beschaffen einer geladenen Schusswaffe für einen Überfall auf ein bekanntermaßen wehrhaftes Opfer kann aber die Vorhersehbarkeit eines tödlichen Geschehensverlaufes begründen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. März 2012 - 1 StR 359/11, StV 2013, 1 [insoweit nicht abgedruckt]).

c) Da diese Tatbestände tateinheitlich mit dem abgeurteilten besonders schweren Raub verwirklicht sein könnten, unterliegt das Urteil insgesamt der Aufhebung. Die Feststellungen können dagegen bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind; insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg. Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach den Urteilsfeststellungen hat sich der Angeklagte weder wegen Mordes noch wegen Raubes mit Todesfolge strafbar gemacht.

a) Eine Verurteilung wegen Mordes (§ 211 StGB) scheidet aus, weil das Landgericht ihm die Tötung des Juweliers rechtsfehlerfrei nicht nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet hat.

aa) Jeder Mittäter haftet für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes. Er ist für den Taterfolg mithin nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 25. Juli 1989 - 1 StR 479/88, BGHSt 36, 231, 234; vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32; Beschluss vom 3. März 2011 - 4 StR 52/11).

bb) Gemessen daran begegnet die unterbliebene Verurteilung wegen Mordes keinen rechtlichen Bedenken.

Dem Tatplan zufolge sollte der geladene Revolver bei dem Raub ausschließlich zur Drohung gegen den Juwelier eingesetzt werden. Davon wich M. nach den Feststellungen des Schwurgerichts entweder aus Angst vor D. oder mit dem Ziel ab, die Täterschaft durch die Tötung des einzigen Tatzeugen zu verdecken. Jedenfalls im zweiten - nach dem Zweifelssatz anzunehmenden - Fall hat das Landgericht die Tötung des Opfers für den Angeklagten zu Recht als Mittäterexzess des gesondert verfolgten M. gewertet.

Den Umstand, dass D. mit einer geladenen Schusswaffe bedroht werden sollte, hat das Schwurgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes bedacht (UA S. 38). Dass es in diesem Zusammenhang nicht nochmals ausdrücklich die dem Angeklagten bekannte, an mehreren Stellen des Urteils angesprochene Wehrhaftigkeit des Opfers erörtert hat, begegnete angesichts der von ihm aufgeführten weiteren Indizien (Abwesenheit des mit dem Opfer bekannten Angeklagten während der unmittelbaren Tatausführung, geplanter Einsatz von Klebeband als Fesselungswerkzeug, keine Hinweise auf eine Gewaltbereitschaft des Angeklagten aus seinem Vorleben sowie auf eine Neigung des M. zu Gewaltexzessen) keinen durchgreifenden Bedenken. Der somit zumindest mögliche Schluss des Landgerichts ist vom Senat hinzunehmen.

b) Dies gilt auch, soweit das Landgericht den Angeklagten nicht wegen Raubes mit Todesfolge (§ 251 StGB) verurteilt hat.

aa) Hat einer von mehreren Tatbeteiligten den qualifizierenden Erfolg verursacht, so setzt eine Strafbarkeit der übrigen nach § 251 StGB voraus, dass sich ihr zumindest bedingter Vorsatz auf das Nötigungsmittel erstreckt, durch welche der qualifizierende Erfolg herbeigeführt worden ist. Ein Beteiligter haftet mithin gemäß § 251 StGB als Mittäter des Raubes nur für die Folgen derjenigen Handlungen des den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Täters, die er in seine Vorstellungen von dem Tatgeschehen einbezogen hatte oder ihm zumindest gleichgültig waren (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2009 - 2 StR 259/09, BGHR StGB § 251 Todesfolge 5).

bb) Daran gemessen kann dem Angeklagten der Tod des Juweliers in subjektiver Hinsicht nicht zugerechnet werden, da dieser die Folge eines Mittäterexzesses des gesondert verfolgten M. war (s. o.).

Soweit die Beschwerdeführerin - insoweit zutreffend - darauf hinweist, dass zu den sich aufdrängenden deliktstypischen Risiken zählt, dass das Opfer eines unter Verwendung einer Waffe begangenen Raubes um Hilfe ruft oder sich zur Wehr setzt, und der (Mit-)Täter das Tatwerkzeug daraufhin in tödlicher Weise einsetzt, um eine Entdeckung der Tat zu verhindern (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 2 StR 130/17, NStZ 2017, 638, 639), ist dies vorliegend ohne Belang. Denn das Landgericht hat weder einen derartigen Geschehensablauf noch ein entsprechendes Vorstellungsbild des Angeklagten festgestellt.

4. Die Überprüfung des Urteils hat auch keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben (§ 301 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 405

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 143

Bearbeiter: Christian Becker