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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 137

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 537/19, Beschluss v. 27.11.2019, HRRS 2020 Nr. 137


BGH 5 StR 537/19 - Beschluss vom 27. November 2019 (LG Bremen)

Erstreckung der Einziehung von Wertersatz auf durch Betrug erlangte Sozialleistungen (Erlöschen eines dem Verletzten aus der Tat erwachsenen Anspruchs; keine Entstehung des Rückerstattungsanspruchs zu Gunsten des Leistungsträgers).

§ 73 StGB; § 73c StGB; § 73e StGB

Leitsatz des Bearbeiters

§ 73e Abs. 1 StGB steht der Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) in Bezug auf vom Angeklagten ertrogene Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nicht entgegen, wenn mangels Rücknahme innerhalb der in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bezeichneten Jahresfrist kein Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X entstehen konnte. Die Ausnahmevorschrift des § 73e Abs. 1 StGB gilt vielmehr nur, soweit ein dem Verletzten aus der (rechtswidrigen) Tat erwachsener Anspruch „erloschen“ ist. Die Anwendung der Ausschlussklausel über ihren Wortlaut hinaus würde dem Ziel der §§ 73, 73c StGB zuwiderlaufen, dem Täter die erlangten Verbrechensgewinne wieder zu entziehen.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 5. April 2019 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Mit Recht hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) auch in Bezug auf die vom Angeklagten ertrogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angeordnet. Zwar hat - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - der Leistungsträger die Leistungsbescheide nach den Urteilsfeststellungen nicht innerhalb der in § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bezeichneten Jahresfrist zurückgenommen, weswegen kein Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X entstehen konnte (vgl. BVerwG, NVwZ 2015, 1392, 1393 [zu § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG]; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 9. Oktober 2014 - L 5 AS 673/13, juris Rn. 41). Der Bestand (vgl. OLG München, wistra 2018, 522 m. zust. Anm. Wengenroth und Rettke, NZWiSt 2019, 79) bzw. die Durchsetzbarkeit (vgl. zur Verjährung BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 5 StR 139/18, BGHR StGB § 73e Erlöschen 1) eines Rückgewähranspruchs des Verletzten ist jedoch keine Voraussetzung der Einziehung nach den §§ 73, 73c StGB.

Die Ausnahmevorschrift des § 73e Abs. 1 StGB ist nicht erfüllt. Danach ist die Einziehung ausgeschlossen, soweit ein dem Verletzten aus der (rechtswidrigen) Tat erwachsener Anspruch „erloschen“ ist, was vorliegend offensichtlich nicht zutrifft. Eine analoge Anwendung scheidet aus. Das Gesetz will die doppelte Inanspruchnahme des Täters namentlich in Fällen vermeiden, in denen der Anspruch des Verletzten bereits (teilweise) erfüllt worden ist (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 69; Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665, 673). Konstellationen, in denen der Rückgewähranspruch aufgrund von der Verantwortung des Leistungsträgers zuzurechnenden Umständen nicht entsteht, liegen außerhalb dieses Normzwecks. Die Anwendung der Ausschlussklausel über ihren Wortlaut hinaus auf derartige Fälle zu erstrecken, würde vielmehr dem Ziel der §§ 73, 73c StGB zuwiderlaufen, dem Täter die erlangten Verbrechensgewinne wieder zu entziehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 137

Bearbeiter: Christian Becker