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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 808

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 181/19, Beschluss v. 05.06.2019, HRRS 2019 Nr. 808


BGH 5 StR 181/19 - Beschluss vom 5. Juni 2019 (LG Berlin)

Beteiligung eines passiv bleibenden Angeklagten an der gefährlichen Körperverletzung (kein konkludenter Tatentschluss allein aufgrund von Beobachtung und innerlicher Billigung; sukzessive Mittäterschaft; psychische Beihilfe; objektive Förderung; Vorsatz; Unterlassen; Handlungsmöglichkeit).

§ 25 StGB; § 27 StGB; § 224 StGB; § 13 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Allein der Umstand, dass ein passiv bleibender Angeklagter die Deliktsbegehung (hier: die gefährliche Körperverletzung) eines anderen beobachtet, innerlich billigt und hiergegen nichts unternimmt, lässt keinen rechtlich tragfähigen Rückschluss auf einen in diesem Zeitpunkt konkludent gefassten gemeinsamen Tatentschluss und damit auf (ggf. sukzessive) Mittäterschaft zu.

2. Eine psychische Beihilfe durch den passiven Angeklagten setzt voraus, dass dieser die Tat objektiv fördert oder erleichtert und dass dies ihm dies bewusst ist. Zum Beleg dessen bedarf es genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion der Handlung sowie zur entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Oktober 2018, soweit diese verurteilt worden sind, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Wegen weiterer Vorwürfe hat es sie freigesprochen. Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

a) Am Abend des 23. oder im Laufe des 24. März 2017 badeten die Angeklagten den vierjährigen, an einer Behinderung leidenden Sohn der Angeklagten A. in der Duschwanne des Bads der gemeinsamen Wohnung. Ihnen war bekannt, dass namentlich die Gesäßregion des Kindes aufgrund von Erkrankungen der Haut besonders empfindlich gegen heißes Wasser war, „weshalb sie die im Folgenden durch heißes Wasser verursachten Verletzungen jedenfalls billigend in Kauf nahmen“.

Einer der Angeklagten steckte den Stöpsel in den Abfluss der 18 cm hohen Duschwanne und ließ mindestens einige Zentimeter hoch heißes Wasser ein. Einer der Angeklagten ergriff das Kind mit den Armen gleichzeitig unter Armen und Kniekehlen, so dass das Gesäß nach unten durchhing und der Oberkörper an der rechten Seite in Hüfthöhe leicht eingeknickt war. Er tauchte es zuerst mit der rechten Gesäßhälfte und dem oberen rechten Oberschenkel in das mindestens 50 Grad heiße Wasser. „Obwohl das Kind sofort geschrien haben muss“, wurde es mit Billigung des anderen Angeklagten weiter abgesenkt, so dass das ganze Gesäß, der obere Bereich der Oberschenkel und der Rücken bis unter die Schulterblätter mit dem Wasser in Kontakt kamen. Hierdurch wurden schwere Verbrühungen des Grades 2 und 3 verursacht.

Am Nachmittag des 24. März 2017 brachte der Angeklagte S. das Kind wegen eines geschwollenen Handgelenks ins Krankenhaus. Die Verbrühungen offenbarte er nicht. Sie wurden erst bei der zur Vorbereitung der weiteren Untersuchung vorgenommenen Entkleidung des Kindes entdeckt. Das Kind musste mehrere Wochen lang stationär behandelt werden.

b) Das Landgericht vermochte nicht festzustellen, welcher der Angeklagten das Kind in das heiße Wasser setzte, wie lange sich das Kind darin befand und wie heiß genau das Wasser war. Zugunsten der Angeklagten hat es zugrunde gelegt, dass die Temperatur des Wassers zuvor nicht geprüft worden war. Ferner konnte die Motivation der Angeklagten für ihr Handeln nicht geklärt werden.

2. Die Verurteilungen können schon deswegen keinen Bestand haben, weil sich den Urteilsgründen kein (mit-)täterschaftliches Handeln des womöglich untätig gebliebenen Angeklagten entnehmen lässt.

a) Einen vorab gefassten gemeinsamen Tatentschluss hat das Landgericht trotz der missverständlichen Wendung eingangs der Feststellungen ebenso wenig festgestellt wie die konkreten Tatbeiträge des jeweiligen Angeklagten. Nach den Feststellungen ist es möglich, dass einer der Angeklagten das Wasser einließ und das Kind in die mit heißem Wasser gefüllte Duschwanne setzte, während der andere Angeklagte sich nur für etwaige Unterstützungshandlungen beim Baden bereithielt, ohne selbst tätig zu werden. Die (gefährliche) Körperverletzung durch den handelnden Angeklagten sieht das Landgericht mangels vorheriger Überprüfung der Wassertemperatur dabei erst in dem Zeitpunkt als verwirklicht an, als diesem wegen des Schreiens des Kindes die zu hohe Temperatur des Wassers bewusst wurde und er oder sie das Kind trotzdem weiter in das Wasser absenkte. Allein der Umstand, dass der bzw. die womöglich passiv gebliebene Angeklagte das Vorgehen des anderen beobachtete, innerlich billigte und hiergegen nichts unternahm, lässt jedoch keinen rechtlich tragfähigen Rückschluss auf einen in diesem Zeitpunkt konkludent gefassten gemeinsamen Tatentschluss und damit auf (sukzessive) Mittäterschaft zu (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 - 5 StR 554/15, StV 2017, 443, 444 mwN).

b) Eine grundsätzlich in Betracht kommende Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen (§ 224 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 StGB) würde unter anderem voraussetzen, dass dem vielleicht „passiven“ Angeklagten überhaupt ein Einschreiten möglich gewesen wäre. Hierzu ist dem Urteil indessen nichts zu entnehmen. Eine Einschreitensmöglichkeit versteht sich auch nicht von selbst. Vielmehr hat die rechtsmedizinische Sachverständige und ihr folgend die Strafkammer zwar ausgeführt, dass bei einer Wassertemperatur von 54,5 Grad Celsius eine Einwirkungsdauer von zehn Sekunden erforderlich gewesen wäre, um schwere Verbrühungen der vorliegenden Art herbeizuführen, bei einer Einwirkungsdauer von 60 Grad Celsius hätte aber eine Sekunde ausgereicht (UA S. 42). Es ist daher auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht ausschließbar, dass die Tat so rasch erfolgt ist, dass der andere Angeklagte sie objektiv nicht hätte verhindern können.

3. Die Sache bedarf danach insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Dies gilt auch für die an sich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu weiteren, naheliegend durch die Angeklagten oder einen von ihnen verursachten Verletzungen des Kindes, die das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung indiziell herangezogen hat. Denn die insoweit freigesprochenen Angeklagten hatten keine Möglichkeit, diese mit der Revision anzugreifen.

4. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Eine nach dem Sachverhalt grundsätzlich denkbare „psychische“ Beihilfe durch den unter Umständen „passiven“ Angeklagten würde voraussetzen, dass dieser die Tat objektiv gefördert oder erleichtert hat und dies dem Gehilfen bewusst war; zum Beleg bedürfte es genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion der Handlung sowie zur entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24. März 2014 - 5 StR 2/14, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 33 mwN).

b) Das neu verhandelnde Tatgericht wird gegebenenfalls ferner zu prüfen haben, ob sich die Angeklagten deswegen einer - zumindest versuchten - Körperverletzung durch Unterlassen schuldig gemacht haben, weil sie nicht unverzüglich nach der Verletzung des Kindes für dessen ärztliche Behandlung gesorgt haben. Hierbei wird in den Blick zu nehmen sein, dass nach den bisherigen Feststellungen der Angeklagte S. dem Krankenhauspersonal die schweren Verbrühungen des Kindes nicht offenbart hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 808

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 271; StV 2020, 301

Bearbeiter: Christian Becker