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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 141

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 582/18, Beschluss v. 12.12.2018, HRRS 2019 Nr. 141


BGH 5 StR 582/18 - Beschluss vom 12. Dezember 2018 (LG Berlin)

Rechtsfehlerhafte Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Anlasstaten; Gesamtwürdigung; Prognose der Begehung erheblicher Straftaten; Beruhen auf psychischer Erkrankung).

§ 63 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Juli 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen leidet der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie mit akustischen Halluzinationen, insbesondere imperativen Phonemen, massivem Verfolgungserleben und Gedankenentzug bzw. -eingabe. Seit 2005 wurde er mehrfach - auch stationär - psychiatrisch behandelt. Vom Vorwurf, im Dezember 2008 einen räuberischen Diebstahl begangen zu haben, wurde er freigesprochen, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass seine Steuerungsfähigkeit bei der Tatbegehung ausgeschlossen war. Seit 2009 geführte 13 Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Bei Begehung der folgenden Taten war er akut psychotisch, so dass seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert, möglicherweise aufgehoben war:

a) Am 26. Februar 2015 spuckte der Beschuldigte eine Passantin an (§ 185 StGB). Als diese ihn daraufhin zur Rede stellte, ging er auf sie zu, wobei er in der erhobenen Hand eine Flasche hielt, deren Boden abgebrochen war, wandte sich aber - Unverständliches schimpfend - wieder ab, nachdem die Frau beschwichtigend auf ihn eingesprochen hatte.

Anschließend warf der Beschuldigte mehrere Bierflaschen ungezielt in Richtung der anderen Seite der zu diesem Zeitpunkt nicht befahrenen Straße. Eine davon schlug auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig etwa anderthalb Meter von einer weiteren Passantin auf und zerbrach. Als diese ihm zurief, was dies solle, und ihn zum Beenden des fortgesetzten Werfens aufforderte, überquerte der Beschuldigte wild gestikulierend die Fahrbahn, ohne auf den wieder fließenden Verkehr zu achten. Er stellte sich mit erhobenen Armen etwa einen halben Meter entfernt vor die Frau, um zu verhindern, dass sie sich entfernt. Versuche, ihren Weg fortzusetzen, unterband er, indem er sich über sie beugte und ihre Schultern berührte (§ 240 StGB). Nachdem es der Frau gelungen war, sich wegzudrehen, und sie ihn darauf hingewiesen hatte, dass die Flasche sie hätte treffen können, hielt er ihr - das Gesicht wutverzerrt - mit der Bemerkung die Faust vor, er werde sie ihr „reindrehen“. Während der Intervention zweier Männer gelang es ihr, den Tatort zu verlassen.

b) Am 13. Juni 2017 näherte sich der Beschuldigte den vor dem Eingang des von ihnen bewohnten Obdachlosenheimes stehenden G. und R. und verlangte von ihm, zur Seite zu treten. Als dieser erwiderte, der Beschuldigte könne ohne Probleme an ihm vorbeigehen, entbrannte ein Streitgespräch, in dessen Verlauf der Beschuldigte mit den Worten, ihm „auf die Fresse hauen zu wollen“, einmal vergeblich versuchte, dem ausweichenden R. mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen.

Dieser und Frau G. betraten anschließend das Haus und liefen die Treppe zum ersten Obergeschoss hinauf. Während der Beschuldigte ihnen folgte, entwickelte sich ein weiteres Streitgespräch, bei dem er erklärte, „ich habe deine Frau nicht angemacht“. Während der Beschuldigte den Weg in die zweite Etage fortsetzte, rief R. ihm etwas hinterher. Daraufhin lief der Beschuldigte auf ihn zu und schlug ihm mit der Faust derart kräftig ins Gesicht, dass R. zu Boden stürzte und für etwa drei Minuten bewusstlos war. Die Schmerzen an Schläfe und Auge klangen erst nach etwa zwei Wochen ab (§ 223 Abs. 1 StGB).

2. Die tatgerichtliche Begründung für die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Landgericht hätte sich bei seiner Prognose, es werde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu aggressiven fremdgefährdenden Verhaltensweisen des Beschuldigten kommen, nicht damit begnügen dürfen, die - bei Erlass des Urteils zudem knapp dreieinhalb bzw. mehr als ein Jahr zurückliegenden - Anlasstaten in den Blick zu nehmen. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2000 - 3 StR 86/00) hätte es vielmehr die Frage erörtern müssen, ob den im Urteil erwähnten Verfahren, die von der Staats- bzw. Amtsanwaltschaft über einen Zeitraum von knapp zehn Jahren wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind, gravierende Vorwürfe zugrunde lagen. Dies versteht sich bei den genannten Delikten des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruchs, Missbrauchs von Notrufen, Diebstahls und Erschleichens von Leistungen sowie der Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und Sachbeschädigung keineswegs von selbst. Aber auch soweit die Verfahren wegen des Verdachts der (gefährlichen) Körperverletzung und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr eingeleitet wurden, hätte die Erheblichkeit der Taten ebenso erörtert werden müssen wie die Frage, ob sie dem Beschuldigten zutreffend zu Last gelegt wurden und inwieweit sie auf der paranoiden Schizophrenie beruhten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 - 4 StR 277/15).

3. Der Senat hebt daher das Urteil mit den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) auf. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist er auf Folgendes hin:

Sollte das neue Tatgericht Feststellungen treffen, die den bisherigen entsprechen, wird es näher zu prüfen haben, ob die Körperverletzung, die erheblichste der Taten, auf die psychische Erkrankung des Beschuldigten zurückzuführen ist oder auf „normalpsychologischen“ Vorgängen beruht. Hierfür wird die Klärung belangvoll sein, was dem Beschuldigten vor seiner Tat zugerufen worden ist. Sofern dies trotz der Einvernahme der drei am Tatort anwesenden und sich im Übrigen an den Tatverlauf erinnernden Zeugen nicht möglich sein sollte, werden die hierfür bestehenden Gründe zu erörtern sein. Falls danach kein Anhaltspunkt für eine den Beschuldigten objektiv reizende, beleidigende oder attackierende Äußerung bestehen sollte, müsste eine solche auch bei Beachtung des Zweifelssatzes nicht angenommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 141

Externe Fundstellen: StV 2019, 252

Bearbeiter: Christian Becker