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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 124

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 427/18, Beschluss v. 10.12.2018, HRRS 2019 Nr. 124


BGH 5 StR 427/18 - Beschluss vom 10. Dezember 2018 (LG Berlin)

Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln (eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung; keine physische Abhängigkeit erforderlich; soziale Gefährdung oder Gefährlichkeit).

§ 64 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. April 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt und daneben Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Rechtsmittel führen jedoch zur Urteilsaufhebung, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.

1. Nach den Feststellungen avisierten die Angeklagten im August 2018 dem Tatopfer, mit dem sie sich seit 2016 zum gelegentlichen Drogenkonsum und Biertrinken getroffen und sich ihm als Drogenbezugsquelle angeboten hatten, ein Betäubungsmittelgeschäft. Dies diente ihnen als Vorwand, ihm durch List oder Drohung, nötigenfalls auch durch Gewalt das als Kaufpreis vereinbarte Geld sowie sein Mobiltelefon an sich zu bringen. Noch am Tattag konsumierten die Angeklagten, die sich bereits an den beiden Wochenendtagen zuvor „reichlich Amphetamin und Cannabis zugeführt hatten“, neben Cannabis auch jeweils eine Dosis Amphetamin (UA S. 14). Das Landgericht hat deshalb nicht ausschließen können, dass zum Zeitpunkt der als „Milieutat“ charakterisierten Tat (UA S. 30) die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten jeweils erheblich eingeschränkt war.

Das Landgericht hat - ohne einen Sachverständigen hinzuzuziehen - die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB verneint, „da eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, mithin ein Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, bei keinem der Angeklagten festzustellen“ gewesen sei (UA S. 33).

2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne von § 64 StGB ausgegangen ist.

a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren. Diese Neigung muss noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199; vom 12. April 2012 - 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271; vom 12. Januar 2017 - 1 StR 587/16, insoweit nicht abgedruckt unter NStZ-RR 2017, 250; 20. Februar 2018 - 3 StR 645/17 mwN).

b) Danach hat sich ein Hang der Angeklagten nicht schon unter Hinweis auf ihre fehlende Drogenabhängigkeit verneinen lassen, zumal das Landgericht auch diese Feststellung nicht näher begründet und hierfür sachverständige Hilfe nicht beigezogen hat (vgl. zum Erfordernis der Anhörung eines Sachverständigen nach § 246a Satz 2 StPO; BGH, Beschluss vom 20. September 2011 - 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463 mwN). Angesichts des festgestellten Konsumverhaltens der Angeklagten, die - ausweislich ihrer Vorstrafen - auch schon seit Jahren Umgang mit Betäubungsmitteln hatten, war das Vorliegen eines Hangs auch nicht von vornherein ausgeschlossen.

3. Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB zu beachten haben.

Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Strafen verhängt hätte. Die Strafaussprüche können deshalb bestehen bleiben.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 124

Externe Fundstellen: StV 2019, 261

Bearbeiter: Christian Becker