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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1070

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 107/18, Urteil v. 13.09.2018, HRRS 2018 Nr. 1070


BGH 5 StR 107/18 - Urteil vom 13. September 2018 (LG Braunschweig)

Voraussetzungen der Strafmilderung aufgrund eines Täter-Opfer-Ausgleichs (Vertrag zwischen angeklagten und Verletztem; Vergleich; Adhäsionsverfahren; Motivation des Angeklagten; taktisches Vorgehen in der Hoffnung auf milde Strafe; ernsthaftes Bemühen um Schadenswiedergutmachung; friedensstiftende Akzeptanz); Heimtücke bei von langer Hand geplanter Tat.

§ 46a Nr. 1 StGB; § 211 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Eine Strafmilderung nach § 46a Nr. 1 StGB erfordert regelmäßig auch dann Feststellungen zur friedensstiftenden Akzeptanz eines im Adhäsionsverfahren geschlossenen Vergleichs, wenn dieser unter Beteiligung des Verletzten zustande gekommen ist. Allein die Tatsache des Vertragsabschlusses belegt nicht ohne Weiteres, dass der Verletzte die vereinbarte Leistung als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert hat.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 14. September 2017 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und die Tatwerkzeuge eingezogen. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte und - beschränkt auf den Strafausspruch - die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Während das Rechtsmittel des Angeklagten erfolglos bleibt, führt die Revision der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung des Strafausspruchs.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte, den Nebenkläger zu töten, ohne dass die Strafkammer hierfür ein konkretes Motiv feststellen konnte. Beide waren seit vielen Jahren miteinander befreundet, in den Monaten vor der Tat hatte der Angeklagte den Kontakt jedoch nahezu abgebrochen. Nach „detaillierter“ Vorbereitung lockte der Angeklagte den Nebenkläger am 22. Februar 2017 aus dessen Wohnung, verschaffte sich zu dieser mit einem ihm vom Opfer Jahre zuvor überlassenen Zweitschlüssel Zugang und wartete auf den Nebenkläger. Bei dessen Rückkehr sprach der Angeklagte, der sich zuvor in einer beim Betreten der Wohnung nicht sofort einsehbaren Ecke der Küche verborgen hatte, sein völlig überraschtes Opfer an und begann unmittelbar anschließend, mit einem Hammer auf es einzuschlagen. Sodann verfolgte er es mehrere Minuten lang durch die Wohnung, wobei er weiter mit dem Hammer auf den Nebenkläger einschlug und ihm mit einem „Cuttermesser“ tiefe Schnitte an Kopf, Gesicht, Hals und Händen zufügte. Als der Angeklagte in einer Blutlache ausgerutscht und zu Boden gestützt war, gelang es dem Nebenkläger, aus der Wohnung in den Hausflur vor die Tür seiner Nachbarin zu flüchten und dort „Sturm zu klingeln“. Daraufhin gab der Angeklagte, der seinem Opfer mit erhobenem Hammer zunächst noch bis zur Wohnungstür gefolgt war, sein Tötungsvorhaben auf, da er „mit einem derart massiven Widerstand und dem Verlassen der Wohnung durch das Opfer“ nicht gerechnet hatte und ihm „deutlich wurde, dass die Nachbarin nun voraussichtlich alsbald an der Tür erscheinen und ihn dann, den sie zuvor bereits einige Male im Haus beim Geschädigten getroffen hatte, auch erkennen würde“ (UA S. 9).

Der Nebenkläger erlitt bei der Tat mindestens 49 Verletzungen an Kopf, Hals und Oberkörper, insbesondere ein offenes Schädel-Hirn-Trauma mit Fraktur des Stirnbeines und Absprengungen der Gehirnrinde sowie tiefe Schnitt- und Stichverletzungen, bei denen unter anderem die Ohrspeicheldrüse durchtrennt und der rechte Gesichtsnerv gelähmt wurde. Infolgedessen ist die mimische Muskulatur des Nebenklägers noch heute „stark beeinträchtigt“, auch hat er weiterhin Schwierigkeiten beim Essen, Trinken und Sprechen. Ferner wurden die Sehnen in den Beugen von vier Fingern der rechten Hand ganz oder teilweise durchtrennt; der kleine und der Ringfinger werden deshalb wahrscheinlich für immer versteift, die Fingerkuppen nahezu taub bleiben. Der Nebenkläger kann wegen dieser Einschränkungen insbesondere seine berufliche Tätigkeit als Finanzbuchhalter, die mit der Arbeit an einer Computertastatur verbunden ist, nicht ausüben; ob und wann er wieder vollständig arbeitsfähig sein wird, ist nicht absehbar.

Auch war die Wohnung des Nebenklägers wegen der großflächigen, nahezu alle Bereiche betreffenden Verunreinigung mit Blut zunächst unbewohnbar; der Geschädigte musste nach einer von der „Opferschutzhilfe“ finanzierten Reinigung der Räume neue Einrichtungsgegenstände kaufen. Der weiterhin von dem Geschehen schwer beeindruckte Nebenkläger unterzog sich einer psychologischen Behandlung und erstrebt eine Traumatherapie. Aus Angst, der Angeklagte könne die Tat in Zukunft doch noch vollenden, beabsichtigt er, sich eine neue Wohnung zu suchen und seinen Nachnamen zu ändern.

2. Am letzten Tag der Hauptverhandlung haben sich der Angeklagte als Adhäsionsbeklagter und der Nebenkläger als Adhäsionskläger zur Abgeltung sämtlicher bisher entstandener materieller und immaterieller Schäden vergleichsweise darauf geeinigt, dass der Angeklagte sich zur Zahlung von 50.000 Euro und dazu verpflichtet, dem Nebenkläger sämtliche „künftigen bisher noch nicht vorhersehbaren materiellen und immateriellen Schäden“ zu ersetzen. Für die Zeit der Inhaftierung des Angeklagten ist die Zahlung von 20 Euro im Monat, später von „angemessenen“ Raten vereinbart. Zudem hat der Angeklagte seinen Rückforderungsanspruch gegen die Staatskasse hinsichtlich bei ihm sichergestellter 4.000 Euro an den Nebenkläger abgetreten, deren Freigabe durch die Staatsanwaltschaft allerdings „keineswegs sicher“ ist (UA S. 64).

3. Die Strafe hat das Landgericht dem neben § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB auch nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 StGB entnommen. Die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB hat es als gegeben erachtet, weil der Vergleichsschluss unter Mitwirkung des weitgehend geständigen, allerdings einen freiwilligen Rücktritt vom Tötungsversuch behauptenden Angeklagten als kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer sowie als Verantwortungsübernahme durch den Angeklagten angesehen werden könne. Dass dieser einzelne Umstände der Tatbegehung beschönigt und sich nicht ausdrücklich beim Nebenkläger entschuldigt habe, stehe einer Anwendung von § 46a StGB nicht entgegen.

II.

1. Der Revision des Angeklagten ist unbegründet. Ergänzend zu den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist anzumerken:

a) Die Darstellung der Erkenntnisse molekulargenetischer Untersuchungen von unter anderem an Tatwerkzeugen (UA S. 29 f.), Kleidungsstücken (UA S. 30 f.) sowie in der Wohnung des Nebenklägers (UA S. 30, 35) gesichertem Spurenmaterial genügt zwar nicht den in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen (vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 - 5 StR 645/17 Rn. 15 mwN sowie nunmehr Beschluss vom 28. August 2018 - 5 StR 50/17). Der Senat schließt insbesondere im Hinblick auf das Geständnis des Angeklagten zum objektiven Tatgeschehen sowie die durch weitere Beweismittel bestätigten Angaben des Nebenklägers indes ein Beruhen des Urteils auf diesen Rechtsfehlern aus.

b) Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler von einer heimtückischen Tatbegehung ausgegangen. Bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat kann das Heimtückische gerade in den Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, falls sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Das hat der Bundesgerichtshof für Fälle eines wohl durchdachten Lockens in einen Hinterhalt und des raffinierten Stellens einer Falle entschieden (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2018 - 5 StR 296/18 mwN). Auch wenn der Täter - wie hier - seinem ahnungslosen Opfer in dessen Wohnung auflauert, um an dieses heranzukommen, ist nicht entscheidend, ob und wann das Opfer die Gefahr erkennt (vgl. BGH aaO; Urteil vom 12. Februar 2009 - 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264).

2. Das vom Generalbundesanwalt vertretene, entgegen dem Wortlaut („Rechtsfolgenausspruch“) wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Denn die Strafzumessungsentscheidung des Landgerichts weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

„a) Die Erwägungen, mit denen das Schwurgericht eine Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1 StGB vorgenommen hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

(1) Zunächst zutreffend ist das Schwurgericht davon ausgegangen, dass der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB Anwendung finden kann, auch wenn wegen der Vermögenslage des Angeklagten, der eine langjährige Haftstrafe zu verbüßen haben wird, auf absehbare Zeit nicht mit einer über den abgetretenen Auszahlungsanspruch und die minimalen Leistungen während der Haftzeit hinausgehenden Zahlung von Schmerzensgeld zu rechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 - 2 StR 307/15, juris Rn. 18 f. mwN).

Gleiches gilt, soweit der Angeklagte einzelne Umstände der Tatbegehung in Bezug auf seine Motivation zum Abbruch der Tötung beschönigt hat. Denn dadurch hat er seine Verantwortung für die Tat und deren Folgen nicht in Abrede gestellt. Auch die „Opfer-Eigenschaft“ des Nebenklägers hat er nicht bestritten, soweit er Vermutungen zu dessen beruflichen Erfolgen angestellt hat.

(2) Es fehlt jedoch vollständig an Feststellungen, aus welcher Motivation heraus das Opfer dem im Adhäsionsverfahren geschlossenen Vergleich zugestimmt hat (...).

Diese waren hier nicht deshalb entbehrlich, weil Täter und Opfer - sei es persönlich oder vermittelt über ihre Anwälte - den Vergleich abgeschlossen haben. Denn allein die Tatsache einer vertraglichen Vereinbarung besagt nichts darüber, ob das Opfer diese als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert hat (BGH, Urteile vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 147; vom 6. Februar 2008 - 2 StR 561/07, BGHR StGB § 46a Voraussetzungen 1).

Den Urteilsgründen lässt sich insoweit auch bei wohlwollender kontextgebundener Lektüre keine friedensstiftende Akzeptanz des durch den Angriff auf sein Leben schwer gezeichneten Nebenklägers entnehmen. Dieser ist wegen der Tat des Angeklagten unverschuldet in eine finanzielle Notlage geraten: Er kann auf unbestimmte Zeit seine Arbeit nicht mehr ausüben, die Reinigung des Tatortes bezahlte eine Opferhilfe (UA S. 13), seine Möbel sind wegen der Verunreinigung mit Blut unbrauchbar geworden und mussten entsorgt werden (UA S. 13). Der Nebenkläger ist daher auf die Auszahlung des bei dem Angeklagten sichergestellten und bei der Staatskasse hinterlegten Betrages schon allein aus rein finanziellen Gründen angewiesen. Zudem erstrebt er aus (nachvollziehbarer) Furcht vor dem Angeklagten den Umzug in eine andere Wohnung und eine Namensänderung (UA S. 13). Bei dieser Sachlage spricht nichts dafür, er habe den Vergleich als friedensstiftenden Ausgleich annehmen wollen. Das gilt umso mehr, als er um die finanzielle Situation des Täters weiß und deshalb auch nicht ernsthaft mit weiteren essentiellen Zahlungen rechnen kann, die als hinreichendes Schmerzensgeld in Betracht zu ziehen wären.

(3) Das Schwurgericht hat sich auch nicht erkennbar hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob es sich bei dem Vergleichsabschluss von Seiten des Angeklagten wirklich um ein „ernsthaftes Bemühen um Schadenswiedergutmachung“ (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 - 4 StR 290/11, juris Rn. 14 mwN) gehandelt hat oder nicht eher um ein taktisches Vorgehen in der Hoffnung auf eine milde Strafe.

Dafür spricht schon, dass der Angeklagte von staatlichen Ersatzleistungen lebte (UA S. 4). Anhaltspunkte dafür, dass sich seine finanzielle Situation zwischen der Tat und der Urteilsverkündung grundlegend geändert hätte, sind nicht vorhanden. Die während der Haftzeit zu leistenden Raten und die Abtretung des Auszahlungsanspruchs von 4.000 EUR gegen die Staatskasse sind (...) nicht geeignet, die berechtigten Schmerzensgeldansprüche des Nebenklägers auch nur im Ansatz zu befriedigen. Dass der über keinen Berufsabschluss verfügende Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Haft eine Arbeit findet, die ihm eine essentielle Ratenleistung ermöglicht, ist nahezu ausgeschlossen. „Hartz IV“-Leistungen sind unpfändbar. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Titel weitestgehend als wertlos. Für ein taktisches Vorgehen in der Hoffnung auf eine milde Strafe spricht darüber hinaus auch der Zeitpunkt des Vertragsschlusses am Ende der Hauptverhandlung kurz vor Schluss der Beweisaufnahme (UA S. 13).“

Dem schließt sich der Senat an.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1070

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 346

Bearbeiter: Christian Becker