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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 233

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 613/17, Beschluss v. 09.01.2018, HRRS 2018 Nr. 233


BGH 5 StR 613/17 - Beschluss vom 9. Januar 2018 (LG Berlin)

Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln bei von einem Sachverständigen diagnostizierten Cannabis-Abhängigkeit.

§ 64 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Ausreichend für die Annahme eines Hangs i.S.d. § 64 S. 1 StGB ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren. Eine von einem psychiatrischen Sachverständigen diagnostizierte Abhängigkeitserkrankung von Cannabis drängt regelmäßig zu der Annahme einer solchen Neigung.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. August 2017

im Fall II.3 der Urteilsgründe eingestellt; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last,

im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln entfällt,

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwanzig Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwölf Fällen und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision ist teilweise begründet.

1. Mit der Verurteilung des Angeklagten im Fall II.3 hat das Landgericht nicht ausschließbar gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) verstoßen. Die Feststellungen zum Ankauf von Haschisch und Kokain für den Weiterverkauf in den Fällen II.1 und 2 in Verbindung mit den Feststellungen zur Sicherstellung derartiger Betäubungsmittel im Fall II.3 legen nahe, dass die aufgefundenen Drogen aus dem Bestand des Haschischs und Kokains der Fälle II.1 und 2 stammen. Dies zugrundegelegt, ist das Geschehen im Fall II.3 schon als Handeltreiben mit Betäubungsmitten in nicht geringer Menge abgeurteilt, weswegen es nicht abermals, hier als Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, geahndet werden darf. Der Senat schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine anderweitige Bewertung rechtfertigen. Infolgedessen war das Verfahren hinsichtlich dieses Falls einzustellen und der Schuldspruch abzuändern.

2. Die Einstellung des Verfahrens bedingt den Fortfall der Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten. Gleichwohl kann der Gesamtstrafausspruch bestehen bleiben. Der Senat kann ausschließen, dass die Strafkammer angesichts der Vielzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen auf eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.

3. Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der mittellose, einschlägig vorbestrafte Angeklagte schon seit etwa dem 14. Lebensjahr eine Vielzahl unterschiedlicher Betäubungsmittel. Im Alter von 28 Jahren begann er mit dem regelmäßigen Kokainkonsum, gelegentlich unterbrochen durch die Einnahme von Amphetamin. Vor seiner Festnahme, an die sich nach Haftverschonung eine kurzzeitige Entgiftung anschloss, nahm er jeden Tag bis zu einem Gramm Kokain zu sich. Darüber hinaus rauchte er insbesondere im Tatzeitraum täglich bis zu acht Gramm Cannabis. Dem für den Handel bestimmten Cannabis entnahm der Angeklagte Teilmengen für den Eigenkonsum.

Ausgehend hiervon begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht das Vorliegen eines Hangs gemäß § 64 StGB verneint hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. Mai 2017 - 1 StR 163/17) ist für die Annahme eines Hangs eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren. Bereits die vom psychiatrischen Sachverständigen auf der Grundlage der vorgenannten Feststellungen diagnostizierte Abhängigkeitserkrankung von Cannabis drängt zu der Annahme, dass der Angeklagte eine solche Neigung hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. April 2016 - 3 StR 566/15 Rn. 6; vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15 Rn. 14). Angesichts dessen hätte das Merkmal des Hangs nicht allein mit der nicht näher begründeten Erwägung abgelehnt werden dürfen, der Drogenkonsum „spiegele lediglich seine unstete Lebensführung mit einem unstrukturierten Freizeitverhalten“ (UA S. 24), sondern hätte eingehender Prüfung bedurft.

Da auch die weiteren Voraussetzungen der Unterbringung des therapiewilligen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gegeben sein können, bedarf die Sache insoweit - unter abermaliger Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO) - neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 233

Bearbeiter: Christian Becker