hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 231

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 584/17, Urteil v. 07.02.2018, HRRS 2018 Nr. 231


BGH 5 StR 584/17 - Urteil vom 7. Februar 2018 (LG Saarbrücken)

Anforderungen an die Begründung der Strafrahmenwahl beim Zusammentreffen von Milderungsgründen.

§ 49 StGB; § 50 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Kommen im konkreten Fall mehrere Strafrahmen in Frage, so müssen die Urteilsgründe regelmäßig ersehen lassen, dass sich das Tatgericht der unterschiedlichen Möglichkeiten bewusst war und weswegen es sich für die angewendete entschieden hat. Etwas Anderes kann in einem sog. Evidenzfall gelten, wenn einer der in Betracht zu ziehenden Strafrahmen derart fernliegt, dass es ausnahmsweise seiner Erörterung nicht bedarf.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. August 2017 im Ausspruch über die für die Tat II. 5. der Urteilsgründe verhängte Strafe und über die Gesamtstrafe aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Wohnungseinbruchdiebstahl (Tat II.5.) sowie in vier Fällen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln (Taten II.1. bis 4.) zu einer zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und 850 EUR eingezogen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft greift zu Ungunsten des Angeklagten allein die Strafzumessung an. Sie hat - insofern vom Generalbundesanwalt vertreten - nur im tenorierten Umfang Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte von März bis September 2016 in vier Fällen Amphetamin (einmal 30 g mit 2,1 g Amphetaminbase, dreimal 50 g mit jeweils 3,5 g Amphetaminbase), das er teils verkaufte, teils gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin konsumierte.

Darüber hinaus (Tat II.5.) stieg der Angeklagte am 4. September 2016 durch ein Fenster in die Wohnung seines Lieferanten ein und nahm 255 g Amphetamin (19 g Amphetaminbase) mit sich, um es zu verkaufen und durch den Erlös unter anderem seine Lebensgefährtin vor einer Ersatzfreiheitsstrafe zu bewahren. Als er zwei Tage später auf dem Weg zu Abnehmern war, befand sich in seinem Rucksack neben dem Amphetamin ein Messer mit einhändig feststellbarer Klinge, das er gegebenenfalls zur Selbstverteidigung einsetzen wollte. Der Rucksack wurde nebst Inhalt durch die Polizei sichergestellt.

Der mehrfach (auch einschlägig) vorbestrafte Angeklagte handelte in allen Fällen gewerbsmäßig. Er war bereits im Ermittlungsverfahren umfassend geständig und hat hierbei seinen Amphetaminlieferanten benannt.

2. Das Landgericht hat deshalb die Voraussetzungen des § 31 BtMG bejaht. Es hat die Tat II.5. unter Heranziehung dieses vertypten Milderungsgrundes als minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet (§ 30a Abs. 3 BtMG) und - bei Annahme auch eines minder schweren Falls gemäß § 29a Abs. 2 BtMG und nach Verneinung der Regelwirkung des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG - mit der Einsatzstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sanktioniert. Auch für die übrigen Taten hat es diese Regelwirkung mit Blick auf die vom Angeklagten geleistete Aufklärungshilfe als widerlegt angesehen und die Freiheitsstrafen von sechs (Tat II.1.) sowie jeweils acht Monaten (Taten II. 2. bis 4.) dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommen.

3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Strafaussprüche beschränkt. Sie führt zur Aufhebung der für die Tat II.5. festgesetzten Strafe sowie der Gesamtstrafe.

a) Hinsichtlich der Tat II.5. hat das Landgericht seine Strafrahmenwahl nicht hinreichend begründet. Es ist nicht erkennbar, dass es bei diesem Zumessungsschritt in Betracht gezogen hat, den für bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgesehenen Normalstrafrahmen (§ 30a Abs. 1 und 2 BtMG) gemäß § 31 BtMG nach § 49 Abs. 1 StGB mit der Folge einer Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren zu mildern. Hierzu wäre das Tatgericht jedoch verpflichtet gewesen. Denn kommen im konkreten Fall mehrere Strafrahmen in Frage, so müssen die Urteilsgründe regelmäßig ersehen lassen, dass sich das Tatgericht der unterschiedlichen Möglichkeiten bewusst war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2008 - 4 StR 387/08, NStZ-RR 2009, 9; vom 4. Juni 2015 - 5 StR 201/15, BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 4) und weswegen es sich für die angewendete entschieden hat (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 933). Ein sogenannter Evidenzfall, in dem einer der in Betracht zu ziehenden Strafrahmen derart fernliegt, dass es ausnahmsweise seiner Erörterung nicht bedarf, ist schon angesichts der Vorstrafen des Angeklagten und des tateinheitlich verwirklichten Wohnungseinbruchdiebstahls nicht gegeben.

Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 30a Abs. 1 und 2 BtMG zugrunde gelegt hätte, wäre es sich dessen bewusst gewesen, und mithin zu einer höheren Freiheitsstrafe gelangt wäre. Denn es besteht keine Verpflichtung, von mehreren möglichen den für den Angeklagten jeweils günstigeren Strafrahmen anzuwenden (BGH, aaO, mwN).

b) In Bezug auf die Taten II.1. bis 4. besteht ein vergleichbares Begründungsdefizit, weil das Landgericht wegen der vom Angeklagten geleisteten Aufklärungshilfe die Regelwirkung des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG verneint und den Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG angewendet hat, ohne eine Milderung des für den besonders schweren Fall angedrohten Strafrahmens über § 49 Abs. 1 StGB auch nur zu erwägen. Mit dem Generalbundesanwalt vermag der Senat aber insofern auszuschließen, dass die festgesetzten Strafen anders, namentlich höher ausgefallen wären, wäre das Landgericht von der dann dreimonatigen Mindestfreiheitsstrafe ausgegangen.

c) Der Wegfall der für die Tat II.5. verhängten Einsatzstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Die jeweils zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da die Strafen lediglich wegen eines Erörterungsmangels aufgehoben werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 231

Bearbeiter: Christian Becker