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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1026

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 593/16, Urteil v. 19.09.2017, HRRS 2017 Nr. 1026


BGH 5 StR 593/16 - Urteil vom 19. September 2017 (LG Hamburg)

Rechtsfehlerhafte Annahme fehlender örtlicher Zuständigkeit (Einwand der örtlichen Unzuständigkeit; Prüfungsumfang; Zuständigkeit für vorliegenden Lebenssachverhalt; Eröffnungsbeschluss; abschließende Entscheidung; hinreichender Tatverdacht im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses; Reichweite der Entscheidung des Beschwerdegerichts im Zwischenverfahren).

§ 7 StPO; § 16 StPO; § 207 StPO; § 210 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Auf den Einwand gemäß § 16 S. 2 StPO hin hat das Gericht ausschließlich zu prüfen, ob es für den ihm vorliegenden Lebenssachverhalt örtlich zuständig ist. Eine inhaltliche Prüfung dahin, ob hinreichender Tatverdacht für die seiner Kognitionspflicht unterliegende Tat oder Teile dieser Tat vorliegt, findet dagegen nicht statt. Denn insoweit liegt mit dem Eröffnungsbeschluss eine abschließende Entscheidung vor, die im Verfahren nach § 16 StPO nicht erneut zu beurteilen ist. Für die dort noch vorzunehmende Prüfung ist vielmehr allein maßgeblich, ob im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Bestehen eines die örtliche Zuständigkeit begründenden Gerichtsstands gegeben waren.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. September 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht das Verfahren mangels örtlicher Zuständigkeit eingestellt (§ 260 Abs. 3 StPO). Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, sich in 20 Fällen der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) schuldig gemacht zu haben. Er soll als amtlich bestellter Notar in seinen Kanzleiräumen in Lauenburg/Elbe GmbH-Gründungen bzw. -Verkäufe und die Abtretungen von Geschäftsanteilen an solchen Gesellschaften und dabei wider besseres Wissen tatsächlich nicht abgegebene Erklärungen der zumeist bulgarischstämmigen und in den Urkunden als Geschäftsführer, Gesellschafter oder Käufer von Geschäftsanteilen bezeichneten Erschienenen beurkundet haben. Diese hätten für den Angeklagten ersichtlich nicht über die für das Verständnis des jeweiligen Vorgangs erforderlichen Deutschkenntnisse verfügt und daher die Dokumente ohne Verständnis des Erklärungsinhalts unterzeichnet. Die Erklärungen seien jeweils auf Geheiß des gesondert verfolgten und bereits wegen Steuerhinterziehung verurteilten K. bzw. seiner Geschäftspartner erfolgt, der die Erschienenen für die von ihm für kriminelle Zwecke genutzten Gesellschaften verwendet habe. Wie auch dem Angeklagten im Kern bewusst gewesen sei, hätten die Erschienenen als sogenannte Scheinselbständige ohne sozialversicherungsrechtliche Anmeldung für K. auf Baustellen in Deutschland arbeiten sollen.

Zudem wird dem Angeklagten zur Last gelegt, er habe sich in 14 dieser Fälle (Fälle 7 bis 20 der Anklageschrift) tateinheitlich der Beihilfe zum sogenannten Gründungs- bzw. Kapitalerhöhungsschwindel (§ 82 GmbHG, § 27 StGB) schuldig gemacht, indem er die Gründung von bzw. die Kapitalerhöhung bei Gesellschaften zur Eintragung in das Handelsregister bei dem Amtsgericht Hamburg angemeldet habe. Die beantragten Eintragungen seien erfolgt; der Angeklagte habe jeweils gewusst oder billigend in Kauf genommen, dass das angegebene Kapital nicht eingebracht worden sei.

2. Nach den Feststellungen verliefen die maßgeblichen Verfahrensabschnitte wie folgt:

a) Durch Beschluss vom 24. Februar 2015 hat sich das Landgericht für unzuständig erklärt, weil es in Bezug auf die für eine Begründung seiner örtlichen Zuständigkeit allein in Frage kommenden Beihilfetaten zum Gründungs- und Kapitalerhöhungsschwindel an einem hinreichenden Tatverdacht fehle. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft diesen Beschluss durch Entscheidung vom 22. April 2015 (StraFo 2015, 284) mit der Begründung aufgehoben, das seine örtliche Zuständigkeit im Zwischenverfahren überprüfende Gericht habe dabei den im konkreten Anklagesatz benannten Sachverhalt zugrundezulegen und tatsächliche Zweifel hätten hier nur insoweit Bedeutung, als sie die zuständigkeitsbegründenden tatsächlichen Behauptungen beträfen; eine weitergehende Tatverdachtsprüfung fände nicht statt.

b) Darauf hat das Landgericht mit Beschluss vom 25. Juni 2015 das Hauptverfahren unter Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung mit der Maßgabe vor einer allgemeinen Strafkammer eröffnet, dass betreffend die Vorwürfe der tateinheitlichen Beihilfe zum Gründungs- und Kapitalerhöhungsschwindel kein hinreichender Tatverdacht gegeben sei und diese Vorwürfe „entfielen“. Auf erneute Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg diesen Beschluss am 21. September 2015 insoweit aufgehoben, als die Eröffnung vor einer allgemeinen Strafkammer erfolgt war, und das Hauptverfahren vor der Wirtschaftsstrafkammer eröffnet.

c) Auf den in der Hauptverhandlung seitens des Angeklagten erhobenen Einwand der Unzuständigkeit (§ 16 Satz 2 und 3 StPO) hat das Landgericht das Verfahren mit dem angefochtenen Urteil eingestellt und die Entscheidung mit seiner fehlenden örtlichen Zuständigkeit begründet. Es hat ausgeführt, im Rahmen der nach § 16 StPO vorzunehmenden Prüfung nicht an die Eröffnungsentscheidung des Beschwerdegerichts gebunden zu sein. Ein Gerichtsstand nach § 7 StPO liege nicht vor, da der Tatort der Falschbeurkundungen nicht Hamburg sei und es für die Begehung der - allein für eine Zuständigkeitsbegründung in Betracht kommenden - Beihilfen zum Gründungs- bzw. Kapitalerhöhungsschwindels an einem hinreichenden Tatverdacht fehle.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Einstellungsentscheidung des Landgerichts hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Die Annahme fehlender örtlicher Zuständigkeit durch das Landgericht ist rechtsfehlerhaft. Zwar war das Landgericht nicht an die Bejahung seiner örtlichen Zuständigkeit durch die (erste) Beschwerdeentscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 22. April 2015 gebunden (a.). Es war jedoch unabhängig von dieser Entscheidung örtlich zuständig (b.).

a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat sich das Landgericht nicht an die (erste) Beschwerdeentscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg gebunden gesehen. Das Beschwerdegericht hatte im Zwischenverfahren lediglich über den bei ihm anhängig gewordenen Beschwerdegegenstand, also die Feststellung der eigenen örtlichen Unzuständigkeit durch das Landgericht, zu entscheiden. Ein entsprechender Beschluss entfaltet aber keine Bindungswirkung in Bezug auf die spätere Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens oder eine Rüge gemäß § 16 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2017 - 3 StR 335/16, NStZ 2017, 420; Urteil vom 25. August 1975 - 2 StR 309/75, BGHSt 26, 191, 192 f.; LRStPO/Stuckenberg, 26. Aufl., § 210 Rn. 42 aE; Marcelli NStZ 1986, 59).

b) Das Landgericht war für das bei ihm anhängige Verfahren jedoch örtlich zuständig, weil im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung hinreichende Anhaltspunkte für eine Straftat mit Erfolgsort Hamburg (§ 7 Abs. 1 StPO, § 9 Abs. 1 Variante 3 StGB) bei jedenfalls 14 der angeklagten Taten vorlagen und sich die Zuständigkeit für die übrigen sechs ausschließlich in Lauenburg/Elbe begangenen Taten durch den bestehenden persönlichen Zusammenhang ergab (vgl. §§ 3, 13 Abs. 1 StPO).

aa) Auf den Einwand gemäß § 16 Satz 2 StPO hin hat das Gericht ausschließlich zu prüfen, ob es für den ihm vorliegenden Lebenssachverhalt örtlich zuständig ist. Eine inhaltliche Prüfung dahin, ob hinreichender Tatverdacht für die seiner Kognitionspflicht unterliegende Tat oder Teile dieser Tat vorliegt, findet dagegen nicht statt (vgl. zur Prüfung der Prozessvoraussetzung der örtlichen Zuständigkeit als „Prozessentscheidung“ LRStPO/Stuckenberg, 26. Aufl., § 204 Rn. 7, 9). Denn insoweit liegt mit dem Eröffnungsbeschluss eine abschließende Entscheidung vor, die im Verfahren nach § 16 StPO nicht erneut zu beurteilen ist. Für die dort noch vorzunehmende Prüfung ist vielmehr allein maßgeblich, ob im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Bestehen eines die örtliche Zuständigkeit begründenden Gerichtsstands gegeben waren (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2012 - 1 StR 485/12, NStZ 2013, 300, 301 mwN).

bb) Hieran gemessen war das Landgericht örtlich zuständig.

(1) Teil der vom Landgericht zur Hauptverhandlung zugelassenen Taten ist der Tatvorwurf, der Angeklagte habe in den Fällen 7 bis 20 der Anklageschrift tateinheitlich zur Falschbeurkundung im Amt jeweils Beihilfe zum Gründungs- bzw. Kapitalerhöhungsschwindel begangen, indem er die Gründung von Gesellschaften bzw. die Kapitalerhöhung bei einer Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister bei dem Amtsgericht Hamburg angemeldet habe, wobei er gewusst oder billigend in Kauf genommen habe, dass das angegebene Kapital nicht eingebracht worden sei. Auf die Bejahung hinreichenden Verdachts auch für diese Tatvorwürfe kommt es im Verfahren nach § 16 StPO angesichts des auf die örtliche Zuständigkeit begrenzten Prüfungsumfangs nicht an. Denn wird dieser Verdacht - wie hier - bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bejaht, ist er unanfechtbar festgestellt (vgl. § 210 Abs. 1 StPO).

Dass das Landgericht in seiner Eröffnungsentscheidung ausgesprochen hat, dass die Vorwürfe der tateinheitlichen Beihilfe zum Gründungs- bzw. Kapitalerhöhungsschwindel „entfallen“, ist rechtlich wirkungslos. Da sich dieser Ausspruch nicht auf selbständige prozessuale Taten im Sinne des § 207 Abs. 2 Nr. 1 StPO bezogen hat, ist er als bloße abweichende rechtliche Würdigung gemäß § 207 Abs. 2 Nr. 3 StPO zu qualifizieren und stellt unabhängig von der Frage, ob diese Entscheidung später durch das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg korrigiert wurde, keine Teil-Nichteröffnung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Januar 1989 - StB 45/88, BGHR StPO § 207 Abs. 2 Nr. 1 Änderungen 2). Ausgehend von der Rechtsansicht des Landgerichts, ein hinreichender Tatverdacht bezüglich der allein zuständigkeitsbegründenden Taten läge nicht vor, hätte es nach der ersten Beschwerdeentscheidung die Eröffnung des Hauptverfahrens insgesamt ablehnen müssen, anstatt die Sache vor einer allgemeinen Strafkammer des Landgerichts Hamburg zu eröffnen.

(2) Mit den aktenkundigen Ermittlungserkenntnissen zu den unstreitig durch den Angeklagten beim Handelsregister bei dem Amtsgericht Hamburg angemeldeten Eintragungen liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Erfolg der dem Angeklagten als tateinheitlich begangen zur Last gelegten Taten der Beihilfe zum Gründungs- bzw. Kapitalerhöhungsschwindel in Hamburg eingetreten ist.

(3) Anhaltspunkte für eine willkürliche Handhabung durch die Staatsanwaltschaft sind nicht gegeben (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 - 5 StR 600/01, NJW 2003, 446, 452; LRStPO/Erb, 27. Aufl., Vor § 7 Rn. 24).

2. Der aufgezeigte Rechtsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Die neu zur Entscheidung berufene Wirtschaftsstrafkammer wird das angeklagte Verhalten auch unter dem Gesichtspunkt einer Beteiligung des Angeklagten an etwaigen Straftaten nach § 266a StGB und § 370 AO zu würdigen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1026

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 53; StV 2018, 771

Bearbeiter: Christian Becker