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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 40

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 358/16, Beschluss v. 08.12.2016, HRRS 2017 Nr. 40


BGH 5 StR 358/16 - Beschluss vom 8. Dezember 2016 (LG Görlitz)

Lückenhafte Beweiswürdigung bei der Verurteilung wegen Vergewaltigung (fehlende Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten; unterbliebene Erörterung von Widersprüchen und Inkonsistenzen in der Aussage der Nebenklägerin).

§ 261 StPO; § 177 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 25. April 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in fünf Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen und wegen Körperverletzung in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten erfolgreich mit der Sachrüge (§ 349 Abs. 4 StPO).

Das Landgericht stützt seine Feststellungen zu den Taten auf die als glaubhaft bewerteten Angaben der Nebenklägerin, die vorgelegten Fotos von erlittenen Verletzungen und auf ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten. Dagegen ist nach Meinung des Tatgerichts die Einlassung des Angeklagten, der sich seinerseits wegen Angriffen der Nebenklägerin zur Wehr gesetzt oder ihr die behaupteten Verletzungen nicht beigebracht haben will, pauschal und diffus geblieben.

Das Urteil hält auch unter Berücksichtigung der nur eingeschränkten Überprüfbarkeit tatrichterlicher Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung nicht stand.

Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, die Bewertung der Angaben der Nebenklägerin widersprüchlich und nicht erschöpfend. Ferner findet die Überzeugungsbildung des Tatgerichts in der Beweiswürdigung keine ausreichende objektive Grundlage, insbesondere im Fall des Schuldspruchs wegen Vergewaltigung in fünf Fällen.

1. a) Soweit dem Angeklagten zur Last gelegt wird, Körperverletzungen zum Nachteil der Nebenklägerin begangen zu haben, stützt sich das Tatgericht vornehmlich auf die Angaben der Nebenklägerin, ohne sich mit der Einlassung des Angeklagten im Detail überhaupt auseinanderzusetzen, die Nebenklägerin selbst sei übergriffig geworden. Die Strafkammer hätte indes schon selbst Anlass gehabt, dem näher nachzugehen, weil der Angeklagte zwölf Mal krankgeschrieben (UA S. 9) worden sein will und er wegen seiner Kratzspuren seine Physiotherapie habe abbrechen müssen (UA S. 9). Ferner will er wegen seiner Verletzungen auch von seinem Verkaufsleiter angesprochen worden sein (UA S. 10). Darüber hinaus hat sich der Angeklagte in den Fällen 7, 8, 10, 17 und 18 dahin eingelassen, überhaupt nicht an den jeweiligen Tattagen am Tatort gewesen zu sein (UA S. 11, 12), sondern in der Berufsschule in Meißen.

b) Darüber hinaus weist das Urteil Widersprüchlichkeiten und Inkonstanzen in den Angaben der Nebenklägerin auf, die nicht erörtert worden sind, obwohl dies zu ihrer Glaubwürdigkeitsbeurteilung geboten gewesen wäre:

Nach den Feststellungen zu Fall 4 hat der Angeklagte die Nebenklägerin entsprechend ihren Angaben in der Hauptverhandlung (UA S. 5, 14, 15) derart geschlagen, dass das Endglied ihres Daumens gebrochen sei. Gegenüber der Polizei hat die Nebenklägerin unter dem 28. November 2013 - wie auch in der Hauptverhandlung - indes ausgesagt, gegenüber der Ärztin angegeben zu haben, gestürzt zu sein (UA S. 21).

Während im Fall 8 festgestellt worden ist, dass der Angeklagte mit der Faust geschlagen hat (UA S. 8), ergibt sich aus der mitgeteilten polizeilichen Vernehmung der Nebenklägerin vom 25. November 2013 (UA S. 20), dass der Angeklagte mit einem Schuhanzieher geschlagen haben soll. In der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin bei ihrer Vernehmung dagegen offengelassen, ob der Angeklagte mit der Faust oder mit einem Gegenstand geschlagen hat (UA S. 16).

Im Fall 11 hat das Landgericht entsprechend den Angaben der Nebenklägerin festgestellt (UA S. 7, 17), dass der Angeklagte die Nebenklägerin geschlagen hat, nachdem er festgestellt habe, dass die Facebook-Eintragungen im Handy der Nebenklägerin - durch deren Schwester (UA S. 17) - gelöscht gewesen seien. In der mitgeteilten polizeilichen Vernehmung der Nebenklägerin vom 28. November 2013 hat diese aber behauptet, dass Grund für die Schläge des Angeklagten ihre Weigerung gewesen sei, ihn den Gesprächsverlauf lesen zu lassen (UA S. 21).

Nach den Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung hat die Strafkammer im Fall 16 (UA S. 8) festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin geschlagen hat, weil er einen Brief nicht gefunden habe (UA S. 18). Hingegen ergibt sich aus der mitgeteilten polizeilichen Vernehmung der Nebenklägerin vom 28. November 2013, dass der Angeklagte sie körperlich misshandelt habe, weil er einen Brief lange Zeit gesucht habe (UA S. 22).

Die festgestellten Mängel verlieren ihr Gewicht auch nicht durch die vom Vater der Nebenklägerin gefertigten Fotoaufnahmen von Verletzungen der Nebenklägerin. Die Bilder selbst besagen gerade angesichts der vielen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der nicht geklärten Einlassung des Angeklagten nichts. Dies gilt umso mehr, als die Nebenklägerin ihrem Vater gegenüber als Ursache für die Verletzungen erklärt hat, sich gestoßen zu haben (UA S. 23).

2. Soweit es die Verurteilung wegen Vergewaltigung in fünf Fällen betrifft, erschließt sich nicht, wie das Tatgericht zu der Anzahl der Straftaten gelangt ist. Die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung angegeben, der Geschlechtsverkehr sei durch den Angeklagten seit Geburt ihres Kindes Ende September 2008 bis zum Jahr 2011 dreibis viermal pro Woche gewaltsam erzwungen worden (UA S. 19). Eine plausible Erklärung für die angenommene Häufigkeit der detailarm (z. B. hinsichtlich der Örtlichkeiten) festgestellten Straftaten liefert die Strafkammer genauso wenig wie die Darstellung, wie mit den übrigen behaupteten Vergewaltigungsvorwürfen verfahren worden ist.

3. Schließlich ist der Umstand, dass der Sorgerechtsstreit zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin kein Motiv für eine Falschbelastung durch die Nebenklägerin darstellen soll (UA S. 23, 24) mangels näherer Angaben zum Gang und Inhalt jenes Verfahrens für den Senat nicht nachprüfbar.

4. Die Tatvorwürfe bedürfen daher zur Verifizierung nicht nur der Bekundungen der Nebenklägerin, sondern auch der Angaben des Angeklagten insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte das neue Tatgericht abermals zu einem Schuldspruch wegen Vergewaltigung gelangen und die Straftaten nach Erwachsenenstrafrecht behandeln, so wird es angesichts der besonderen Beziehungskonstellation in den Blick zu nehmen haben, ob ein Abweichen vom Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB geboten ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 40

Bearbeiter: Christian Becker