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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 898

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 312/15, Beschluss v. 02.09.2015, HRRS 2015 Nr. 898


BGH 5 StR 312/15 - Beschluss vom 2. September 2015 (LG Kiel)

Beantragung einer TKÜ unter Berufung auf die Identifizierung des Angeklagten bei einer Wahllichtbildvorlage durch instruierte Vertrauensperson (Verstoß gegen die Grundsätze der Aktenwahrheit und -vollständigkeit; Recht auf ein faires Verfahren; Beweisverwertungsverbote).

Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 100a StPO

Leitsatz des Bearbeiters

1. Es begründet einen Verstoß gegen die Grundsätze der Aktenwahrheit und -vollständigkeit, wenn als verdachtsbegründendes Beweismittel bei der Beantragung einer Maßnahme nach §§ 100a f. StPO das Protokoll einer Wahllichtbildvorlage vorgelegt wird, bei der eine Vertrauensperson den Angeklagten als Täter identifiziert, obwohl die Vertrauensperson tatsächlich - für das über den Antrag entscheidende Gericht nicht erkennbar - zuvor gezielt auf den Angeklagten und weitere Verdächtige angesetzt worden war.

2. Ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung folgt daraus aber nicht.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 20. Februar 2015 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend zur Stellungnahme des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

Es begründet kein Verwertungsverbot, dass dem Amtsgericht bei der Antragstellung gemäß § 100a StPO als verdachtsbegründendes Beweismittel u.a. das Protokoll einer Wahllichtbildvorlage vorgelegt worden ist, bei der die Vertrauensperson (VP) den Angeklagten als Kokainhändler erkannt haben soll, wobei die VP tatsächlich - für das Amtsgericht nicht erkennbar - zuvor gezielt auf den Angeklagten und weitere Verdächtige angesetzt worden war. Mit Blick auf die übrigen vorgelegten Beweismittel hätte die Anordnung nach § 100a StPO auch bei vollständiger Darstellung des Sachverhalts ergehen können (vgl. UA S. 48).

Der Senat sieht sich jedoch zu folgender Bemerkung veranlasst: In Bezug auf die Vorlage des Protokolls der Wahllichtbildvorlage liegt ein Verstoß gegen die Grundsätze der Aktenwahrheit und -vollständigkeit vor. In einem rechtsstaatlichen Verfahren muss schon der bloße Anschein vermieden werden, die Ermittlungsbehörden wollten den Wert eines Beweismittels erhöhen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2013 - 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 281).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 898

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2015, 379 ; StV 2016, 132

Bearbeiter: Christian Becker