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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 665

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 157/13, Beschluss v. 29.05.2013, HRRS 2013 Nr. 665


BGH 5 StR 157/13 - Beschluss vom 29. Mai 2013 (LG Saarbrücken)

Unzureichende Beweiswürdigung (besondere Anforderungen bei spät und nicht unabhängig voneinander erfolgten Offenbarungen und Aussageunstimmigkeiten).

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Dezember 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen sowie schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes unter Einbeziehung von zwei Geldstrafen aus rechtskräftigen Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte im Jahr 2001 die 13-jährige Nebenklägerin B., eine Nichte seiner Ehefrau, sexuell (Massieren der mit einem BH bekleideten Brust). Im Jahr 2002 oder 2003 kam es zu zwei sexuellen Übergriffen des Angeklagten zum Nachteil der damals 7- oder 8-jährigen Nebenklägerin J. Be., einer Verwandten und Patentochter seiner Ehefrau (Berührungen und Küsse auf die entblößte Brust; gegenseitiges Ablecken von Konfitüre von Bauch und Brust und vom erigierten Penis des Angeklagten). Im April 2005 missbrauchte der Angeklagte die inzwischen 9-jährige J. erneut, indem er mit seiner Hand unter ihre Unterhose griff und mit seinem Finger mehrfach in ihre Vagina eindrang.

2. Das Landgericht hat sich von den Taten auf der Grundlage der Aussagen der Nebenklägerinnen überzeugt. Bezüglich eines weiteren Anklagefalls - Tat zum Nachteil seiner Tochter K. und der Nebenklägerin H. - hat das Landgericht das Verfahren nach § 154 StPO eingestellt, nachdem die Nebenklägerinnen keine hinreichend konkreten Angaben zum Tatgeschehen in der Hauptverhandlung gemacht hatten.

3. Die Beweiswürdigung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der bestreitende Angeklagte durch mehrere Zeuginnen belastet worden ist. Die Beweislage ist im Hinblick auf spät und nicht unabhängig voneinander erfolgte Offenbarungen und Aussageunstimmigkeiten schwierig. Die Beweiswürdigung unterliegt daher besonders strengen Anforderungen. Dem werden die Darlegungen des Landgerichts nicht gerecht.

a) Die Argumentation, mit der das Landgericht versucht, die vom Angeklagten im Hinblick auf einen laufenden Sorgerechtsstreit bezüglich seiner Tochter K. aufgestellte "Verschwörungstheorie" zu widerlegen (UA S. 20), erschließt sich nicht. In diesem Zusammenhang hätte es auch einer Darstellung bedurft, wann und vor welchem Hintergrund die von der Einstellung nach § 154 StPO betroffenen Tatvorwürfe (Taten zum Nachteil der Nebenklägerinnen H. und F.) erstmals erhoben und zur Anzeige gebracht wurden. Gerade diese Tatvorwürfe veranlassten auch die Nebenklägerin Be., sexuelle Übergriffe des Angeklagten zu ihrem Nachteil anzuzeigen. Sie führten ferner dazu, dass die Nebenklägerin B., die von der Ehefrau des Angeklagten bei Anzeigeerstattung als mögliche weitere Geschädigte benannt worden war, bei ihrer polizeilichen Vernehmung die Tat zu ihrem Nachteil schilderte.

b) Darüber hinaus hat das Landgericht insbesondere die Aussage der Nebenklägerin Be. keiner hinreichend sorgfältigen Beweiswürdigung unterzogen.

Dargelegt werden weder der Inhalt der Angaben, die sie im Rahmen der erstmaligen Offenbarung des Geschehens gegenüber ihrer Mutter im Jahr 2010 machte, noch die genaueren Hintergründe und Umstände dieser Offenbarung. Auch der Inhalt ihrer Angaben gegenüber der Zeugin Br., Psychologin bei einer Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen, wird nicht dargelegt. Mit der Möglichkeit suggestiver oder autosuggestiver Prozesse befasst sich die Jugendschutzkammer nicht.

Ohne differenzierte Beweiswürdigung stellt sie sieben weitere sexuelle Übergriffe des Angeklagten auf J. Be. fest, welche sie bei ihrer polizeilichen Vernehmung nicht geschildert hatte und die deshalb nicht Gegenstand der Anklage waren. Die Erklärung dieser Aussageerweiterung mit dem Wiedereinsetzen der Erinnerung aufgrund der Befassung mit den jahrelang verdrängten Vorkommnissen im Rahmen der polizeilichen Vernehmung ist nur bedingt nachvollziehbar. Denn bereits zuvor hatte im Zusammenhang mit den Kontakten zu der Zeugin Br. eine solche Befassung eingesetzt. Dass die Tatzeiten überwiegend und die Art der sexuellen Handlungen zum Teil ("fasste sie an", UA S. 10/11) nicht näher konkretisiert sind, steht im Übrigen nicht im Einklang mit der Aussage des Urteils, die Nebenklägerin habe sich auch insoweit an Details erinnern können (UA S. 17).

Zur Untermauerung des Detailreichtums und der Originalität der Aussage der Nebenklägerin Be. zieht die Strafkammer schließlich heran, dass sie die im Zusammenhang mit einer der Taten gekaufte Barbie-Puppe genau beschreiben konnte, insbesondere deren Kleidung und deren Geruch. Der Kauf der Puppe steht mit dem sexuellen Geschehen indes nicht in unmittelbarem Zusammenhang; auch der Angeklagte schildert den Erwerb von Barbie-Puppen. Dass die Nebenklägerin sie sehr genau beschreiben konnte, ist vor diesem Hintergrund kein Detail, das in besonderer Weise für die Glaubhaftigkeit der Schilderung des entsprechenden sexuellen Übergriffs spricht.

4. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.

Der Senat weist darauf hin, dass auch die Strafzumessung im angefochtenen Urteil nicht bedenkenfrei ist. Die Jugendkammer wertet es zugunsten des Angeklagten, dass dieser "bisher nicht einschlägig" vorbestraft sei (UA S. 24). Dabei erwähnt sie nicht, dass er im Zeitpunkt der Taten überhaupt nicht vorbestraft war. Die schon angesichts nicht überaus großer Tatintensität beträchtliche Höhe der verhängten Einzelstrafen begegnet namentlich vor diesem Hintergrund Bedenken. Das Landgericht hat auch verkannt, dass die Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 24. Mai 2012 nicht gesamtstrafenfähig ist, da das die weitere einbezogene Geldstrafe betreffende Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 1. Juni 2011 eine Zäsur bildete.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 665

Bearbeiter: Christian Becker