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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 779

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 269/12, Beschluss v. 19.06.2012, HRRS 2012 Nr. 779


BGH 5 StR 269/12 - Beschluss vom 19. Juni 2012 (LG Saarbrücken)

Strafzumessung; Doppelverwertungsverbot; Anforderungen an die tatrichterliche Begründung der Strafzumessung.

§ 46 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14. Februar 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte die zu Beginn des Tatzeitraums zehnjährige Nebenklägerin sexuell, indem er in einem Fall seinen Finger in die Scheide der sich wehrenden Nebenklägerin einführte und dabei die Beine des Kindes mit seinen eigenen fixierte (Fall 1; Einzelfreiheitsstrafe: sechs Jahre), in zwei Fällen ein Tablettenröhrchen (Fälle 2 und 3; Einzelfreiheitsstrafen: jeweils fünf Jahre), in einem Fall sein Geschlechtsteil (Fall 4; Einzelfreiheitsstrafe: sechs Jahre) und in einem weiteren Fall einen Finger ohne Gegenwehr des Kindes (Fall 5; Einzelfreiheitsstrafe: vier Jahre sechs Monate) in die Scheide einführte.

2. Die Aussprüche über die verhängten Einzelfreiheitsstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe können nicht bestehen bleiben.

a) Im Rahmen der Prüfung minder schwerer Fälle nach § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB und des Vorliegens einer Ausnahme von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB berücksichtigt das Landgericht maßgeblich, "dass die Tathandlungen als solche auch schwerwiegend waren. Es kam zum Einführen des Fingers sowie von Gegenständen als auch zum Geschlechtsverkehr mit dem Kind" (UA S. 21). Dies stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar. Da § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB eine Strafrahmenverschiebung gerade für minder schwere Fälle des Qualifikationstatbestandes nach § 176a Abs. 2 StGB vorsieht, können Umstände, die diese Qualifikation erst begründen, nicht herangezogen werden, um einen minder schweren Fall abzulehnen (§ 46 Abs. 3 StGB analog; vgl. auch Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 82).

b) Auch die äußerst knapp gehaltene Begründung für die konkrete Zumessung der Einzelstrafen hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach einer formelhaften Wiedergabe des Textes von § 46 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StGB beschränkt sich die Abwägung des Landgerichts darauf, dem für den Angeklagten sprechenden Umstand, "dass er bei den Taten nicht mit massiver körperlicher Gewalt gegen die Nebenklägerin einwirkte", den Umstand gegenüberzustellen, "dass er das in ihn gesetzte Vertrauen grob missbrauchte und ausnutzte" (UA S. 22). Zwar braucht das Tatgericht im Allgemeinen in den Urteilsgründen nur diejenigen Umstände anzuführen, die für die Strafzumessung bestimmend sind (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Darstellung aller letztlich maßgebenden belastenden und entlastenden Umstände ist weder vorgeschrieben noch möglich. An die Wiedergabe der für die Strafzumessung bestimmenden Umstände sind aber umso höhere Anforderungen zu stellen, je höher die erkannte Strafe ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 1983 - 5 StR 587/83, StV 1984, 152). Das Landgericht hat Strafen verhängt, die sich im oberen Bereich der üblicherweise für vergleichbare Taten verhängten Strafen bewegen. Angesichts dessen bedurfte die Bemessung der Strafhöhen einer eingehenderen Begründung als geschehen.

Insbesondere ist auch nicht ersichtlich, ob der bereits am 30. Januar 2007 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilte Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Taten noch während des Laufs der Bewährungsfrist aus dieser Verurteilung begangen hat oder hiervon zu seinen Gunsten nicht ausgegangen werden kann.

Im Übrigen begegnet die Bemessung der Gesamtstrafe - für sich genommen - rechtlichen Bedenken. Das Landgericht verweist zwar auf den Umstand, dass die Taten in einem engen zeitlichen und situativen Zusammenhang begangen wurden, zieht daraus aber keine erkennbaren Konsequenzen.

3. Der Senat hebt das angefochtene Urteil daher im gesamten Strafausspruch auf. Da lediglich Wertungsfehler vorliegen, können die Feststellungen bestehen bleiben. Sie können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 779

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2012, 306; StV 2012, 668

Bearbeiter: Christian Becker