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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 306

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 505/11, Beschluss v. 07.02.2012, HRRS 2012 Nr. 306


BGH 5 StR 505/11 - Beschluss vom 7. Februar 2012 (LG Berlin)

Beweiswürdigung (lückenhafte); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (tatsächliche Ausübung des tatrichterlichen Ermessens).

§ 261 StPO; § 64 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. Mai 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO

a. im Schuldspruch dahingehend geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung (Fall II.2 a der Urteilsgründe) entfällt,

b. im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das vorgenannte Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt unterblieben ist.

3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten B., an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

5. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten K. Kosten und Auslagen des Rechtsmittels aufzuerlegen; er hat jedoch die notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die beiden Angeklagten sowie die Mitangeklagten S. und H., deren Revisionen der Senat durch Beschluss vom 11. Januar 2012 als unbegründet verworfen hat (§ 349 Abs. 2 StPO), und einen Nichtrevidenten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen schuldig gesprochen, den Angeklagten K. in einem Fall (II.2 a der Urteilsgründe) in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Zusätzlich hat es den Angeklagten B. wegen Diebstahls (Fall II.1 der Urteilsgründe) sowie den Angeklagten K. wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Betruges und Diebstahls schuldig gesprochen. Den Angeklagten B. hat es deswegen unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten und den Angeklagten K. zu einer einheitlichen Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge im Umfang der Beschlussformel Erfolg.

1. Die Verurteilung des Angeklagten K. wegen tateinheitlicher versuchter schwerer räuberischer Erpressung zum Nachteil des D. hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Soweit das Landgericht es für erwiesen erachtet hat, dass K. von dem Nebenkläger D. jeweils zu Beginn und am Ende des gemeinschaftlichen körperlichen Angriffs auf ihn - letztlich erfolglos - dessen Handy herausverlangt hat, ist die dieser Feststellung zugrundeliegende Beweiswürdigung lückenhaft. Die Jugendkammer folgt hier den Bekundungen des Nebenklägers D., die sie insoweit - anders als die Angaben der beiden Nebenkläger und ihrer Begleiter zum Randgeschehen - für uneingeschränkt glaubhaft hält. Sie stützt diese Bewertung darauf, dass der Nebenkläger D. in diesem Zusammenhang "plastisch" eigene Gefühle und Empfindungen geschildert habe ("..., dass er die erste Aufforderung zur Herausgabe seines Handys durch die Gruppe der Angreifer zunächst nicht ernst genommen und deshalb gelacht habe", UA S. 29). Bei der Beurteilung dieser Schilderungen als Realkennzeichen berücksichtigt die Jugendkammer indes nicht, dass D. bei seinen Bekundungen zum Randgeschehen die Fähigkeit zur Anreicherung seiner Aussage mit Einzelheiten gezeigt hat, die nach der - nachvollziehbaren - Beurteilung des Landgerichts für eine vorsätzliche Lüge sprechen ("... er habe die Gelegenheit des Zugwechsels genutzt, um Müll in einen Abfalleimer zu werfen. Ke. habe ihm ‚Komm!' zugerufen und ihm die Zugtür aufgehalten", UA S. 25). Dies hätte die Jugendkammer bei der Bewertung der Qualität der Bekundungen des Nebenklägers hinsichtlich der angeblichen Forderung des Angeklagten K. nach seinem Handy insbesondere deshalb berücksichtigen müssen, weil sein von dem Geschehen unmittelbar mitbetroffener Begleiter, der Zeuge Ke. G., eine solche Forderung entsprechend der Wiedergabe seiner Zeugenaussage im angefochtenen Urteil (UA S. 29) nicht bekundet hat. Angesichts der Herausgehobenheit dieser Forderung aus dem Gesamtgeschehen gleichsam als "Eröffnung" des Angriffs, wäre dies jedoch grundsätzlich zu erwarten gewesen, zumal der Zeuge G. hinsichtlich des Randgeschehens in der Hauptverhandlung zugunsten der Nebenkläger ausgesagt und versucht hat, deren provozierendes Vorverhalten zu verschleiern.

Im Rahmen der Beweiswürdigung zieht die Jugendkammer zwar die Bekundungen der unbeteiligten Zeugen S. und F. heran, wonach die Geschädigten ihnen unmittelbar nach dem Tatgeschehen gesagt hätten, "die Gruppe sei überfallen worden und ein Handy sowie eine Geldbörse seien entwendet worden" (UA S. 29). Sie sieht indes nicht, dass diese Bekundungen diejenigen des Nebenklägers nicht ohne weiteres zu stützen vermögen, denn auch nach seinen Angaben wurde das Handy letztlich gerade nicht entwendet.

Der Senat schließt aus, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, die eine versuchte schwere räuberische Erpressung des Angeklagten K. zum Nachteil des Nebenklägers D. belegen, und ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab. Das neue Tatgericht hat daher lediglich über die Höhe der - angesichts rechtsfehlerfrei festgestellter schädlicher Neigungen des Angeklagten sowie der Schwere der Schuld ohne Zweifel auch ohne das entfallende Verbrechen gerechtfertigten - Jugendstrafe zu entscheiden.

Angesichts der weitgehenden Bestätigung des Schuldspruchs kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 JGG und § 473 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Kostenentscheidung bereits jetzt treffen.

2. Hinsichtlich des Angeklagten B. hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

Ein sachlichrechtlicher Mangel liegt jedoch darin, dass das Landgericht - ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen - die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB abgelehnt hat. Nach den Feststellungen besteht bei dem Angeklagten eine Kokainabhängigkeit, wobei "er sich zwischenzeitlich selbständig bemüht hat, durch entsprechende Therapien (u.a. im Haus Colligon) eine Heilung seiner Suchterkrankung zu erzielen" (UA S. 38). Kurz nach Beginn der Behandlung in dieser Einrichtung wurde der Angeklagte im vorliegenden Verfahren vorläufig festgenommen und befindet sich seitdem in Haft. Das erbeutete Geld aus dem als Diebstahl (§ 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB) abgeurteilten Automatenaufbruch (Fall II.1 der Urteilsgründe) hat der Angeklagte zum Kauf von Kokain verwendet. Angesichts dessen ist die Würdigung der Jugendkammer, auch diese Straftat gehe nicht auf einen Hang des Angeklagten zurück, nicht nachvollziehbar.

Der Teilaufhebung steht nicht entgegen, dass § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I, 1327) von einer Muss- in eine Sollvorschrift umgestaltet worden ist. Das Tatgericht muss vielmehr das Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar machen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 StR 452/07, NStZ-RR 2008, 73 f.).

Der Senat kann ausschließen, dass die Freiheitsstrafe bei Anordnung einer Maßregel milder ausgefallen wäre. Demnach wird das neue Tatgericht unter Hinzuziehung eines Sachverständigen nur noch die Maßregelfrage zu prüfen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 306

Bearbeiter: Ulf Buermeyer