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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1264

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 376/11, Beschluss v. 27.10.2011, HRRS 2011 Nr. 1264


BGH 5 StR 376/11 - Beschluss vom 27. Oktober 2011 (LG Hamburg)

Fehlerhafte Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs; unvertretbare Mitwirkung eines Richters.

§ 24 StPO; § 26 StPO; § 27 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Ein Richter ist auch dann von der Mitwirkung an der Entscheidung über ein Befangenheitsgesuch gehindert, wenn sich zwar das Gesuch nicht unmittelbar gegen ihn richtet, wohl aber die Beurteilung seines eigenen dienstlichen Verhaltens den Gegenstand der gegen den abgelehnten Richter gerichteten Besorgnis der Befangenheit bildet.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 21. April 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Revision des Angeklagten kann wegen einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 3 StPO der Erfolg nicht versagt werden, mit der die Mitwirkung des Schwurgerichtsvorsitzenden an der Entscheidung über ein gegen die beisitzenden Richter gerichtetes Ablehnungsgesuch beanstandet wird.

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers knüpfte an die Mitwirkung der abgelehnten Richter an der Zurückweisung eines vorangegangenen Ablehnungsgesuchs gegen den Vorsitzenden wegen einer beanstandeten Äußerung an, die dieser während einer Vorbesprechung zwischen Berufsrichtern, Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklagevertretung abgegeben hatte (Iranern sitze "das Messer zu locker"). Aus der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses der nach § 27 Abs. 1 StPO besetzten Strafkammer, in dem die Äußerung des Vorsitzenden als erkennbar scherzhaft in gelockerter Gesprächsatmosphäre bewertet worden ist, wurde nunmehr, namentlich mit der Behauptung der Vernachlässigung einer abweichenden Bewertung durch einen beim Vorgespräch anwesenden Verteidiger und einer daraus vom Beschwerdeführer geschlossenen Billigung der zuvor beanstandeten Äußerung des Vorsitzenden, die Besorgnis der Befangenheit auch der beisitzenden Richter abgeleitet.

Ungeachtet dessen, dass seitens der Strafkammer wiederholte Richterablehnungen - für den Senat nachvollziehbar - als besonders lästig und aufhältlich empfunden worden sein mögen, hat das Landgericht auch diesen zweiten Antrag zutreffend nicht als unzulässig bewertet. Daher haben die abgelehnten beisitzenden Richter an der Beschlussfassung nach § 27 Abs. 1 StPO auch nicht mitgewirkt. Der Beschluss über das zweite Ablehnungsgesuch erging nun aber unter dem Vorsitz des in dem zuvor gestellten Gesuch abgelehnten Schwurgerichtsvorsitzenden.

2. Das wird von der Revision mit Recht als unvertretbar erachtet.

Auch der Vorsitzende hätte wegen des engen sachlichen Zusammenhangs beider Ablehnungsanträge nach zutreffendem Verständnis des § 27 Abs. 1 StPO - und zwar ungeachtet der Erfolglosigkeit des ersten Antrags und ohne Rücksicht auf eine inhaltliche Bewertung der Richterablehnungen - an der Beschlussfassung über den zweiten Antrag offensichtlich nicht mitwirken dürfen (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 - 5 StR 500/05, BGHR StPO § 27 Entscheidung 3). Denn im Zentrum der Entscheidungsfindung stand weiterhin die Bewertung seiner Äußerung in der Vorbesprechung, die Anlass für die erste Ablehnung gewesen war.

Unter Bedacht auf das Gebot, dass ein "Entscheiden in eigener Sache" zu vermeiden ist (vgl. BVerfG [Kammer], NJW 2005, 3410), liegt hierin ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Ablehnungsverfahren. Dies aber begründet - nicht anders als ein entsprechender Besetzungsmangel im Rahmen unvertretbarer Anwendung des § 26a StPO (BGH, Beschluss vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216) - die Revision nach § 338 Nr. 3 StPO (vgl. schon BGH, Urteil vom 12. Februar 1998 - 1 StR 588/97, BGHSt 44, 26, 28).

3. Der Senat weist ausdrücklich auf die Bedenken im Aufhebungsantrag des Generalbundesanwalts hin, der die bislang gegebene Begründung für den Tötungsvorsatz als unzureichend erachtet.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1264

Externe Fundstellen: NStZ 2012, 45; StV 2012, 450

Bearbeiter: Ulf Buermeyer