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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 641

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 467/10, Urteil v. 12.04.2011, HRRS 2011 Nr. 641


BGH 5 StR 467/10 - Urteil vom 12. April 2011 (LG Berlin)

Vorabentscheidung über die Zulässigkeit der Revision; unbegründete Revision; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Bewertung eines Sachverständigengutachtens; Beweiswürdigung).

§ 349 StPO; § 63 StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Revisionsgericht ist - entsprechend der Praxis in Fällen des § 346 StPO - auch im Falle eines fraglichen Rechtsmittelverzichts berechtigt, über die Zulässigkeit der Revision gesondert und vorab zu entscheiden. In diesem Falle ist die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht berechtigt, weitere (Sach-)Anträge nachzuschieben.

2. Die Bewertung eines Sachverständigengutachtens ist Teil der dem Tatgericht gemäß § 261 StPO obliegenden Beweiswürdigung.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Juni 2010 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges in fünf Fällen, des versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in vier Fällen, des versuchten Betruges in zwei Fällen und des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und versuchter Nötigung wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach Urteilsverkündung hat der Angeklagte zwar zunächst Rechtsmittelverzicht erklärt, jedoch unter Widerruf des Verzichts rechtzeitig Revision eingelegt und diese mit der allgemeinen Sachrüge begründet.

1. Über die Zulässigkeit der Revision hat der Senat in seinem Beschluss vom 24. Februar 2011 bereits bindend entschieden. Darin hat er den Antrag des Generalbundesanwalts zurückgewiesen, die Revision nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Er hat den Rechtsmittelverzicht des Angeklagten für unwirksam, folglich dessen Revision für zulässig erachtet. Nicht anders als in Fällen der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder Entscheidungen zugunsten des Revisionsführers nach § 346 Abs. 2 StPO vermochte der Senat eine Vorabentscheidung über die Zulässigkeit gesondert zu treffen. Wortlaut und Systematik des § 349 Abs. 1 und 5 StPO stehen dem nicht entgegen. Die Verfahrensweise ist sogar grundsätzlich geeignet, die Chancen des Revisionsführers auf Gehör durch Veranlassung des Generalbundesanwalts zu einer schriftlichen Stellungnahme zum sachlichen Gehalt der Revision zu verbessern, freilich ungeachtet der Möglichkeit eines nachgeschobenen Verwerfungsantrags aus sachlichen Gründen. Eine solche Stellungnahme hat der Generalbundesanwalt hier indessen verweigert, dies entgegen bisheriger Praxis bei Hilfsanträgen nach § 349 Abs. 2 StPO.

2. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Die tatsächlichen Feststellungen zu den zwölf vom Angeklagten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Taten - Schalten kostspieliger Anzeigen in Tageszeitungen oder Zeitschriften ohne Zahlungswillen und -fähigkeit, Versuche der Konteneröffnungen und des Erwerbs wertvoller Sachgüter unter Verwendung von Falsifikaten, Versuche betrügerischen Erlangens von Versicherungszusagen, Bedrängen von Angehörigen der Schufa als angeblicher Rechtsanwalt - und deren rechtliche Würdigung sind rechtsfehlerfrei. Auch die Anwendung des § 63 StGB, gegen die sich der Beschwerdeführer nunmehr ausdrücklich wendet, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Den dem zugrunde liegenden Befund einer krankhaften seelischen Störung - in Form einer bipolaren affektiven Störung, begleitet von Autismus, Tics, einer Panikstörung und Rauschmittelabusus -, welche die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten sicher aufgehoben hat und die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten begründet, hat das Landgericht auf eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung gestützt. Es hat dabei das - in den Urteilsgründen im Einzelnen dargelegte (UA S. 5 ff., 83 ff., 87 f.) - Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen K. verwertet, das sich als widerspruchsfrei erweist und auf rechtlich nicht zu beanstandenden Ausgangspunkten aufbaut. Die Bewertung eines Sachverständigengutachtens ist Teil der dem Tatgericht gemäß § 261 StPO obliegenden Beweiswürdigung (vgl. BGH, Urteile vom 8. März 1955 - 5 StR 49/55, BGHSt 7, 238, und vom 15. Januar 2003 - 5 StR 223/02, NStZ 2003, 307, 308; Schoreit in KK, 6. Aufl., § 261 Rn. 32 mwN). Das Landgericht hat das Gutachten als schlüssig und überzeugend erachtet. Es hat namentlich nachvollziehbar auf Grund der weiteren persönlichen Entwicklung des Angeklagten begründet, warum es sich von der Richtigkeit einer abweichenden Beurteilung gegenüber früheren Sachverständigengutachten überzeugt hat, die lediglich eine Persönlichkeitsstörung des Angeklagten angenommen hatten.

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Maßregelvollstreckung nach § 67b StGB derzeit nicht vorliegen. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass ungeachtet der Höhe der vom Angeklagten verursachten und erstrebten Vermögensschäden insgesamt im Blick auf das Gewicht seiner Taten die von ihm ausgehende Gemeingefährlichkeit aus Verhältnismäßigkeitsgründen nur eine begrenzte Vollstreckungsdauer der - nach Angaben des Verteidigers ungeachtet des Senatsbeschlusses über die Zulässigkeit der Revision bereits weiterhin vollzogenen - Maßregel gestatten wird (vgl. dazu BVerfGE 70, 297, 312 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 641

Bearbeiter: Ulf Buermeyer