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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 701

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 149/09, Urteil v. 23.06.2009, HRRS 2009 Nr. 701


BGH 5 StR 149/09 - Urteil vom 23. Juni 2009 (LG Braunschweig)

BGHSt; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe; Brandstiftung (Vorsatz).

§ 55 StGB; § 63 StGB; § 306a StGB

Leitsätze

1. Ist der Angeklagte rechtskräftig bestraft und im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, so ist bei einer Verurteilung wegen einer zuvor begangenen Tat, die zur nachträglichen Gesamtstrafbildung nach § 55 StGB führt, allein die Aufrechterhaltung der Maßregel geboten, hingegen die erneute Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB nicht zulässig (im Anschluss an BGHSt 30, 305). (BGHSt)

2. Dies folgt bereits aus der Erwägung, dass der Täter - auch insoweit - entsprechend dem Grundgedanken des § 55 StGB so gestellt werden soll, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten gestanden hätte, wo auch nur einheitlich auf eine Unterbringung erkannt worden wäre. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 9. Dezember 2008 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt und ihn unter Einbeziehung einer anderweit rechtskräftig gegen ihn verhängten Strafe (ein Jahr und drei Monate Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die gegen den Angeklagten in dem genannten rechtskräftigen Urteil wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zugleich angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht aufrechterhalten.

Die vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen die Annahme nur fahrlässiger Brandstiftung und die Ablehnung einer wiederholten Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Am Abend des 30. Mai 2007 hielt sich der Angeklagte gemeinsam mit dem rechtskräftig wegen Schuldunfähigkeit freigesprochenen Heranwachsenden W. in seiner Wohnung in einer betreuten Wohnanlage für Behinderte auf, wo sie zunächst mit Mitbewohnern Bier tranken. Gegen 22.00 Uhr begannen sie, Gegenstände aus den Fenstern des vierten Stocks zu werfen. Etwa zwei bis drei Stunden später fassten sie den Plan, "etwas anzuzünden". Dazu gingen sie in den Keller, wobei der Angeklagte Feuerzeuggas mitnahm. Damit entzündeten sie auf einem alten Sofa liegende Zeitungen. Das Sofa stand in einem Kellerraum, welcher von den Fluren des Kellers mit einer Holztür und mit einer Brandschutztür abgetrennt war. Nachdem sie die Flammen beobachtet hatten, gingen sie zurück in die Wohnung des Angeklagten. Dort fragte W. den Angeklagten, ob das Feuer auch zu ihnen hochkommen könne, was jener verneinte, so dass sich beide schlafen legten. Sie gingen möglicherweise davon aus, dass das Feuer ersticken werde, nachdem der Sperrmüll abgebrannt sei.

Die Holzkellertür geriet in Brand und die Versorgungsleitungen "brannten" bis in den ersten Stock. Flure und Wohnungen waren bis in den vierten Stock hinauf verqualmt und verrußt. Alle Bewohner einschließlich der Täter konnten rechtzeitig das Haus verlassen, zehn Personen erlitten leichte Rauchvergiftungen, es entstand ein Schaden von 200.000 Euro. Das Haus, dessen Reparatur mehrere Monate in Anspruch genommen hätte, wurde aus wirtschaftlichen Gründen abgerissen, die Bewohner wurden umgesiedelt.

Der u. a. wegen Mordes vorbestrafte Angeklagte leidet an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und an einer Borderline-Störung in "extremer Form". Die Symptome dieser Störungsbilder belasteten den Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen wie dies bei einer unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung fallenden Erkrankung der Fall wäre. Aufgrund dieser schweren anderen seelischen Abartigkeit war der Angeklagte bei der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit sicher erheblich vermindert.

2. Der Schuldspruch begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Soweit das Landgericht sich nicht davon überzeugen konnte, dass der Angeklagte bei dem Entzünden des Sperrmülls im Keller des Mehrfamilienhauses vorsätzlich hinsichtlich der Brandstiftung handelte, hält sich dies noch im Rahmen tatrichterlicher Würdigung und ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dem Umstand, dass sich der Angeklagte in dem von der Brandstiftung betroffenen Haus schlafen legte, durfte das Landgericht maßgebliche - freilich negative - Bedeutung für die Vorsatzbildung bezüglich der Inbrandsetzung wesentlicher Gebäudeteile des Wohnhauses zuerkennen. Denn hätte der Angeklagte erkannt, dass die von ihm im Kellerraum in Brand gesetzten Gegenstände geeignet waren, das Feuer auf andere, wesentliche Gebäudeteile übergreifen zu lassen, wäre ein solches Verhalten wegen der damit verbundenen bewussten Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit schwerlich zu erklären. Das Landgericht hat ausreichend erörtert, ob die Indizwirkung des unbesorgt erscheinenden Verhaltens des Angeklagten nach der Tat nicht dadurch entkräftet wird, dass er sich im vierten Stock des Hauses aufgehalten hat und sich nur wegen der Entfernung zum Brandherd sicher gefühlt habe, dies aber letztlich ausgeschlossen. Nachvollziehbar hat es diese Würdigung damit begründet, dass der - im Gegensatz zu seinem Mittäter - mit einer "hinreichenden Intelligenz" ausgestattete Angeklagte nicht davon ausgegangen sein könne, dass sich ein auf wesentliche Gebäudeteile übergegriffenes Feuer sicher auf die unter seiner Wohnung gelegenen Stockwerke beschränken ließe. Weitergehende ausdrückliche Überlegungen zu Möglichkeiten bedingt vorsätzlicher Inbrandsetzung ohne gleichzeitige bewusste Selbstgefährdung waren in diesem Zusammenhang nicht unerlässlich (vgl. zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Feuerlegen in Kellerräumen BGH NStZ 2007, 270). Gleiches gilt letztlich ebenso für die Tatbestandsalternative des Zerstörens, weswegen das Landgericht auch einen darauf gerichteten Vorsatz rechtsfehlerfrei abgelehnt hat. Die Überlegung des Landgerichts rechtfertigt konsequent ohne weiteres das Fehlen ausdrücklicher Erörterungen zum Tötungsvorsatz zum Nachteil der Bewohner des Hauses, der sich bei Annahme bedingten Brandstiftungsvorsatzes aufgedrängt hätte. Gleichwohl hatte die Revisionsführerin die Sache nicht etwa bei der Jugendkammer in Schwurgerichtsbesetzung (§ 33b Abs. 2 Satz 1 JGG) angeklagt.

3. Auch der Rechtsfolgenausspruch kann bestehen bleiben. Der Strafausspruch ist rechtsfehlerfrei. Zwar ist der Revision zuzugeben, dass das Landgericht rechtsfehlerhafte Erwägungen zur Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angestellt hat. Dies kann indes von vornherein nicht zur Aufhebung des Urteils insoweit führen, da eine erneute Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus im Hinblick auf § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB ausgeschlossen ist.

a) Das sachverständig beratene Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die bei dem Angeklagten diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen und ihr Einfluss auf seine soziale Anpassungsfähigkeit so stark ausgeprägt sind, dass sie - was für die angegebenen Störungsbilder nur in besonderen Fällen anzunehmen ist (vgl. hierzu BGHSt 42, 385, 388; 49, 45, 52; BGH NStZ-RR 2003, 165, 166; 2008, 70, 71) - den sicheren Schluss auf eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei der Tat aufgrund eines dauerhaften Zustands tragen. Auf der Grundlage dieser Feststellungen durfte jedoch die Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nicht mit dem Hinweis auf einen nicht feststellbaren "unwiderstehlichen Zwang" zur Begehung der Tat abgelehnt werden. Hierbei hat das Landgericht verkannt, dass die - zudem für den Bereich der erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht ganz eindeutig - formulierte Anforderung, es müsse für die Anordnung der Maßregel feststehen, dass der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt habe (BGHSt 42, 385, 388; BGH NStZ-RR 2008, 70, 71), auf die Feststellung eines dauerhaften Zustands im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gerichtet ist. Hiermit sollen solche psychischen Auffälligkeiten aus dem Anwendungsbereich des § 63 StGB ausgeschieden werden, die nur Eigenschaften und Verhaltensweisen darstellen, die übliche Ursachen für strafbares Handeln darstellen (BGH NStZ-RR 2008, 70, 71). Steht aber - wie hier - fest, dass die dauerhafte, nicht pathologisch bestimmte Störung den für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit erforderlichen Schweregrad erreicht hat, so kann eine solche Störung entgegen der Ansicht des Landgerichts uneingeschränkt Grund für die Anordnung der Maßregel des § 63 StGB sein.

b) Angesichts der erheblichen Gefährlichkeit der ungeachtet fehlenden Brandstiftungsvorsatzes mit dem vorsätzlichen Legen von Feuer verbundenen Anlasstat wären die Voraussetzungen des § 63 StGB im vorliegenden Fall auch im Übrigen ohne weiteres belegt. Dies führt dennoch nicht zur revisionsgerichtlichen Beanstandung des Unterbleibens eines erneuten Maßregelausspruchs, da für die Anordnung einer weiteren neuen Maßregel nach § 63 StGB neben der Aufrechterhaltung dieser Maßregel aus dem anderweitigen Erkenntnis, dessen Strafe einzubeziehen ist, kein Raum ist. Neben der gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB zutreffend erfolgten Aufrechterhaltung der Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ist die erneute - doppelte - Anordnung einer Maßregel mit gleichem Inhalt nicht zulässig (vgl. BGHSt 30, 305, 307; 42, 306, 309; BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 4; BGH NZV 1997, 183; NStZ 1998, 79; BGH, Beschlüsse vom 8. November 1991 - 2 StR 409/91 und vom 22. Juli 2005 - 2 StR 258/05). Denn der Täter soll auch insoweit entsprechend dem Grundgedanken des § 55 StGB so gestellt werden, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten gestanden hätte (Rissing-van Saan in LK StGB 12. Aufl. § 55 Rdn. 58; vgl. auch Fischer, StGB 56. Aufl. Rdn. 31; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. Rdn. 58a). Bei gleichzeitiger Aburteilung wäre die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nur einmal angeordnet worden. Auf die Frage der Berechtigung einer wiederholten Anordnung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (vgl. hierzu BGHSt 50, 199, 205; BGH NStZ-RR 2007, 8, 9) kommt es hier nicht an, da eine solche im Anwendungsbereich des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB gänzlich ausscheidet. Durch das Hinzutreten einer weiteren, die Unterbringung bereits für sich rechtfertigenden Anlasstat verändert sich die Maßregel nicht. Vielmehr entspricht sie in jeder Hinsicht der bereits angeordneten Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus.

Der freilich durch das Hinzutreten der hier ausgeurteilten weiteren Anlasstat entgegen der abweichenden Wertung der Strafkammer fraglos beträchtlich gesteigerten Gefährlichkeit des Angeklagten wird die zuständige Strafvollstreckungskammer im Rahmen der gemäß § 67 Abs. 5, § 67d Abs. 2 StGB zu treffenden Entscheidungen Rechnung zu tragen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 701

Externe Fundstellen: NJW 2009, 2903; NStZ 2009, 565

Bearbeiter: Ulf Buermeyer