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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 133

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 451/07, Beschluss v. 05.12.2007, HRRS 2008 Nr. 133


BGH 5 StR 451/07 - Beschluss vom 5. Dezember 2007 (LG Hamburg)

Zulässig bedingter Beweisantrag (genügend bestimmte Beweisbehauptung; Behandlung eines offensichtlichen Missverständnisses; Bedeutungslosigkeit und Verbot der Beweisantizipation); Verwertungsverbot nach objektiv willkürlicher nichtrichterlicher Durchsuchungsanordnung (Unbeachtlichkeit eines hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungseingriffes; Eilkompetenz; redaktioneller Hinweise).

§ 244 Abs. 3 StPO; § 105 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein offensichtliches Missverständnis, dem Tatgericht nicht entgegengetreten ist, darf es nicht mit zur Grundlage der Ablehnung eines Beweisantrages machen.

2. Wird die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Umständen gefolgert, so müssen die Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte (BGH NJW 2005, 1132, 1133; BGH StraFo 2007, 378, 379). Die Ablehnung des Beweisantrags darf nicht dazu führen, dass aufklärbare zugunsten eines Angeklagten sprechende Umstände der gebotenen Gesamtabwägung im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden (BGH aaO).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 6. Juni 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Verfall von 7.000 € angeordnet. Eine Verfahrensrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Das Landgericht hat sich im Wesentlichen aufgrund der Aussage des anderweitig verurteilten Zeugen G. davon überzeugt, dass der Angeklagte im Dezember 2004 im Auftrag des Y. den Zeugen G. als Portionierer und Weiterverkäufer von größeren Mengen Kokain aus einer von diesem eigens angemieteten Wohnung heraus in dessen Tätigkeit einwies. Der Angeklagte stellte dem Zeugen G. die einzelnen Abnehmer vor und zeigte ihm die jeweiligen Treffpunkte. G. verkaufte auf diese Weise 2,7 kg des von dem Angeklagten besorgten Kokains in drei Tagen (Fall 1).

Noch Ende 2004 und im August 2005 lieferte der Angeklagte weitere 1.000 bzw. 1.200 g Kokain, die G. auf Weisung des Y. weiterverkaufte (Fälle 2 und 3).

Der Angeklagte übernahm im September 2005 von G. 900 g zuvor wegen schlechter Qualität bemängelten Kokains und verkaufte es an unbekannte Abnehmer weiter (Fall 4).

Am 20. September 2005 beauftragte Y. den Zeugen G., dem Angeklagten eine Teilmenge von einem Kilogramm Kokain - ein Viertel einer ihm zur Verfügung stehenden Gesamtmenge - zu übergeben. Der Angeklagte überreichte das Rauschgift einem neuen Abnehmer (Fall 5).

Der Angeklagte bestellte bei G. ein Kilogramm Kokain, das dieser auf Weisung des Y. am 31. Oktober 2005 um 13.45 Uhr übergeben sollte. Dazu kam es wegen der Festnahme des G. nicht mehr (Fall 6).

Der Zeuge G. hat den Angeklagten erstmalig in einer polizeilichen Vernehmung am 20. April 2006 belastet.

2. Der Angeklagte hat den ihm angelasteten Betäubungsmittelhandel bestritten und seine Bekanntschaft mit den anderweitig verurteilten Rauschgifthändlern Y., S. und G. mit geschäftlichen und privaten Kontakten erklärt. Ein vom Angeklagten vorgetragenes Falschbelastungsmotiv des G. hat das Landgericht als Schutzbehauptung gewertet. Zwar ist es dem Angeklagten darin gefolgt, dass dieser in Pakistan Opfer eines am 18. November 2005 angezeigten Überfalls geworden sei, nicht aber darin, dass geraubte 15.000 € dem Angeklagten von dem Zeugen G. im Oktober 2005 zur Weitergabe an dessen Bruder in Pakistan übergeben worden seien und der Verlust dieses Geldes die Grundlage für eine Falschbelastung bilden könne. Die Angaben des Angeklagten zur Geldübergabe seien wenig detailliert und die unterlassene Erwägung, dass Geld bei der bekannten Gefahr solcher Überfälle besser zu überweisen sei, lasse die Einlassung als lebensfremd erscheinen. Der nur gelegentliche Kontakt des Angeklagten zu G. spreche ferner nicht dafür, dass dieser Zeuge dem Angeklagten eine Summe von immerhin 15.000 € ohne weiteres anvertraut hätte. Die Aussage des Entlastungszeugen R., der geschildert hat, G. habe ihm erzählt, er habe über den Angeklagten Geld nach Pakistan verschickt, und der über einen Anruf im Januar 2006 berichtet hat, dass die Familie B. - die Familie des Angeklagten - dem Zeugen G. dessen Geld zukommen lassen soll, ansonsten geschehe der Familie B. etwas, hat das Landgericht als Gefälligkeitsaussage gewürdigt.

3. Der Verteidiger des Angeklagten hat in seinem Schlussvortrag "für den Fall" beantragt, "dass das Gericht davon ausgehen sollte, die beim Raubüberfall vom 14. November 2005 in ... Pakistan abgenommenen 18.000 € gehörten nicht dem Zeugen G., die Vernehmung von A. und Ba. c/o B., straße , H. als Zeugen zum Beweis der Tatsachen, dass dieser Geldbetrag nach den bereits vor Antritt der Reise ihnen gegenüber vom Angeklagten gemachten Angaben vom Zeugen G. stammte und der Angeklagte das Geld einem Bruder des G. in Pakistan übergeben sollte" (Revisionsbegründung RA K. S. 16).

Diesen Antrag hat das Landgericht in den Urteilsgründen (UA S. 13/14) abgelehnt: "Dem Hilfsbeweisantrag des Verteidigers ... auf Vernehmung der Zeugen A. und Ba. war nicht nachzukommen, da die behauptete Tatsache, der Angeklagte habe den Zeugen vor der Reise gesagt, die 18.000 € würden dem G. gehören, für die Sachverhaltsaufklärung unerheblich ist. Selbst wenn der Angeklagte dies gegenüber den Zeugen gesagt hat, so ist der Schluss nicht zwingend, dass davon 15.000 € von dem Zeugen G. stammen. Denn die behauptete Äußerung gegenüber den Zeugen A. und Ba. bezog sich auf die gesamten 18.000 €, wobei sich der Angeklagte zuvor in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen hat, dass 3.000 € von ihm stammten. Eher erscheint es der Kammer nahe liegender, dass der Angeklagte - aus welchem Grund auch immer - mit der vermeintlichen Äußerung, dass ihm das gesamte Geld nicht gehöre, eine zumindest behauptete fehlende Verfügungsbefugnis über die Gesamtsumme darzulegen suchte. Da durch die Aussage der benannten Zeugen nicht geklärt werden kann, ob G. dem Angeklagten tatsächlich das Geld gegeben hat, ist die Zeugenvernehmung für das vom Angeklagten behauptete Motiv für die ihn belastende Aussage des G. unergiebig."

4. Diese Behandlung des Antrags begründet die Revision.

a) Es handelt sich um einen unter eine zulässige Bedingung gestellten Beweisantrag. Eine konkrete Äußerung des Angeklagten über Herkunft und Verwendungszweck des empfangenen Geldes stellt eine genügend bestimmte Beweisbehauptung dar (vgl. BGH StV 2005, 254, 255). Im Blick auf die vom Landgericht in seinem Beschluss sogar ausdrücklich erwähnte und im Urteil ausführlich gewürdigte Einlassung des Angeklagten, ein Bargeldbetrag von 15.000 € sei von G. übergeben worden und der Angeklagte hätte weitere 3.000 € bei sich gehabt, handelt es sich bei der Nennung von 18.000 € durch den Verteidiger - wenn nicht um eine Vereinfachung - um ein offensichtliches Missverständnis, das das Landgericht, nachdem es ihm nicht entgegengetreten ist (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 38), nicht mit zur Grundlage seiner Ablehnung hätte machen dürfen. Es wäre vielmehr von behaupteten und bekundeten 15.000 € auszugehen gewesen.

b) Das Landgericht hat den Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit (§ 244 Abs. 3 Satz 2 2. Variante StPO) zu Unrecht herangezogen. Wird die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Umständen gefolgert, so müssen die Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte (BGH NJW 2005, 1132, 1133; BGH StraFo 2007, 378, 379). Die Ablehnung des Beweisantrags darf nicht dazu führen, dass aufklärbare zugunsten eines Angeklagten sprechende Umstände der gebotenen Gesamtabwägung im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden (BGH aaO).

Die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe ohne erkennbares Motiv durch seine Äußerung fälschlich eine ihm fehlende Verfügungsbefugnis über die Gesamtsumme darzulegen versucht, lässt die gebotene Einfügung und Würdigung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis (BGH aaO) vollständig vermissen. Sie besteht lediglich in der Darlegung einer Abstraktion der Beweisbehauptung ohne jede Beziehung zu einer nachvollziehbaren Lebenswirklichkeit. Naheliegend wollte das Landgericht letztlich gar nicht auf die Bedeutungslosigkeit der behaupteten Beweistatsache abstellen, sondern hat jenseits davon eine tatsächliche Beeinflussung des Beweisergebnisses durch die beantragte Beweiserhebung ausschließen wollen. Darin liegt aber in der Sache eine unzulässige Beweisantizipation (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 6 und 23).

Bedeutungslosigkeit der Bekundung des Angeklagten wäre in Betracht zu ziehen gewesen, falls der Angeklagte durch die behauptete Äußerung Anfang November 2005 wahrheitswidrig die Grundlage für ein Falschbelastungsmotiv hätte legen wollen. Solches war aber - worauf die Revision zutreffend hinweist - ausgeschlossen, weil G. den Angeklagten erst Monate später - am 20. April 2006 - erstmals belastet hat. Umstände, dass der Angeklagte eine solche Belastung gedanklich vorweg genommen und im Vorgriff auf diese sich planvoll entlastend geäußert haben könnte, sind nicht ersichtlich.

Es kommt hinzu, dass die Erwägungen des Landgerichts zur Unplausibilität einer Geldübergabe durch G. ihrerseits wegen Unvollständigkeit der Bewertung sich aus dem Urteil ergebender Umstände zumindest bedenklich sind (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387). Nach den Feststellungen des Landgerichts war G. ein im Vergleich mit dem Angeklagten in weitaus größerem Umfang tätiger Rauschgifthändler, für den - gegen Ende seiner Handelstätigkeit auch nach einem Besuch bei seinem Bruder im Mai 2005 in Pakistan - naheliegend Anlass und Gelegenheit bestanden haben kann, seinem Bruder - ohne durch Überweisungen Spuren zu legen - aus dem Drogenhandel stammendes Geld zukommen zu lassen.

c) Der Senat ist auch nicht in der Lage, aufgrund des Urteilsinhalts mit anderer Begründung selbst eine Bedeutungslosigkeit der behaupteten Beweistatsache oder einen anderen tragfähigen Ablehnungsgrund für den Hilfsbeweisantrag festzustellen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Hilfsbeweisantrag 9).

Insbesondere versteht sich die tatsächliche Bedeutungslosigkeit auch nicht etwa von selbst. Der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen G. kam besonders in den Fällen 1 bis 4 im Blick auf die vom Landgericht erörterten Qualitätsmängel (Gedächtnisschwäche) und Falschbelastungsrisiken (Erstrebung der Vorteile des § 31 BtMG; Verbleib im Zeugenschutzprogramm; Schönung der eigenen Rolle) besondere Bedeutung zu.

Eine Bestätigung der unter Beweis gestellten Tatsache hätte auch möglicherweise zu einer anderen Gewichtung der weiteren im Zusammenhang mit der Geldübergabe erhobenen Beweise führen und für die Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussage des Zeugen G. strengere Anforderungen provozieren können. Unter diesen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Verurteilung des Angeklagten auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht. Die Sache bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung.

5. Zur Verwertbarkeit der - lediglich Fall 5 betreffend - in der Telefonrechnung vom 30. September 2005 enthaltenen Verbindungsdaten, die aufgrund einer vom Staatsanwalt in Anspruch genommenen Eilkompetenz gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO in den Besitz der Ermittlungsbehörden gelangt sind, wird der neue Tatrichter die Grundsätze des Senatsurteils vom 18. April 2007 (NJW 2007, 2269; zur Aufnahme in BGHSt bestimmt) zu beachten haben. Auf einen höchstwahrscheinlich möglich gewesenen rechtmäßigen alternativen Ersatzeingriff zur Erlangung der hier verwendeten Telekommunikationsdaten jenseits der Wohnungsdurchsuchung in Form eines Auskunftsersuchens gemäß § 100d StPO wird nicht abgestellt werden können, da Verbindungsdaten nach Ablauf von sechs Monaten nach der Versendung der Telefonrechnung bei den Telekommunikationsunternehmen nicht mehr zu erlangen waren (§ 7 Abs. 3 Satz 3 TDSV).

6. Nach den bisherigen Feststellungen versteht es sich nicht von selbst, dass der Angeklagte mit einem Bruchteil an dem von der Händlergruppierung erzielten Gewinn beteiligt war, im Fall 4, als der Angeklagte bemängeltes Kokain eigenständig verkauft hat, liegt dies sogar fern. Die Grundlagen einer möglichen Entscheidung über den Verfall bedürfen demnach näherer Aufklärung und Bewertung.


[Redaktioneller Hinweis: Vgl. zur Entscheidung Brüning HRRS 2007, 250 ff.]

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 133

Externe Fundstellen: StV 2008, 121

Bearbeiter: Karsten Gaede