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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 443

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 147/05, Beschluss v. 20.04.2005, HRRS 2005 Nr. 443


BGH 5 StR 147/05 - Beschluss vom 20. April 2005 (LG Berlin)

Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB bei Alkoholisierung (Alkoholkrankheit: Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des tatbestandlichen Verhaltens).

§ 21 StGB; § 49 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bei der Entscheidung, ob dem Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gewährt wird, können im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte zwar auch einem alkoholkranken Straftäter schulderhöhende Verhaltensweisen angelastet werden, die den grundsätzlich schuldmindernden Gesichtspunkt einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufwiegen (vgl. BGH aaO S. 3352; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 29). Voraussetzung ist jedoch nicht nur die Vorhersehbarkeit, sondern auch die Vermeidbarkeit entsprechenden Verhaltens (vgl. BGH NJW 2004, 3350, 3351). Gerade dem Alkoholkranken kann deshalb jedenfalls sein Alkoholkonsum in aller Regel nicht ohne weiteres schulderhöhend vorgeworfen werden.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Oktober 2004 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes, vorsätzlicher Körperverletzung, vorsätzlichen Vollrauschs und Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Der Senat sieht Anlaß zu folgender Klarstellung: Dem Angeklagten wurde bei allen Taten trotz jeweils erheblicher Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit aufgrund Alkoholisierung eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB versagt. Das Landgericht führt in diesem Zusammenhang aus, der Strafrahmenverschiebung stehe insbesondere entgegen, daß sich für den einschlägig wegen alkoholbestimmten Gewalt- und Eigentumsdelikten vorbestraften Angeklagten durch die alkoholische Enthemmung vorhersehbar das Risiko der Begehung entsprechender Straftaten erhöht habe.

Dieser regelmäßig für sich allein tragfähige Ansatz (vgl. BGH NJW 2004, 3350, 3352, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) wird hier durch die Feststellungen der Strafkammer relativiert, daß der Angeklagte seit seinem 20. Lebensjahr jeden Tag bis zu zweieinhalb Flaschen hochprozentiger Alkoholika trinkt und inzwischen alkoholkrank an der Grenze zum chronischen Alkoholismus ist, zudem nach regelmäßigem morgendlichen Trinkbeginn nur noch eingeschränkt seinem Verlangen nach Alkohol widerstehen kann.

Bei der Entscheidung, ob dem Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gewährt wird, können im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte zwar auch einem alkoholkranken Straftäter schulderhöhende Verhaltensweisen angelastet werden, die den grundsätzlich schuldmindernden Gesichtspunkt einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufwiegen (vgl. BGH aaO S. 3352; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 29). Voraussetzung ist jedoch nicht nur die Vorhersehbarkeit, sondern auch die Vermeidbarkeit entsprechenden Verhaltens (vgl. BGH NJW 2004, 3350, 3351). Gerade dem Alkoholkranken kann deshalb jedenfalls sein Alkoholkonsum in aller Regel nicht ohne weiteres schulderhöhend vorgeworfen werden.

Die Versagung der Strafrahmenverschiebung ist vorliegend angesichts folgender weiterer Erwägungen nicht zu beanstanden: Sachverständig beraten hat das Landgericht bei dem Angeklagten festgestellt, daß er in seiner Steuerungsfähigkeit im Hinblick auf die Entscheidung, Alkohol zu sich zu nehmen oder dies zu lassen, nur erheblich eingeschränkt ist. Trotz Alkoholgewöhnung ist danach ein Rest von Steuerungsfähigkeit in bezug auf die Alkoholaufnahme erhalten geblieben, der es unter den festgestellten Umständen rechtfertigt, die Alkoholaufnahme dem in alkoholisiertem Zustand häufig gewalttätigen Angeklagten - wenn auch mit minderem Gewicht - als schulderhöhend, weil vermeidbar, anzulasten. In die Gesamtabwägung, bei der dem Tatrichter ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt (vgl. BGH aaO S. 3353), konnten hier die übrigen vom Landgericht geschilderten konkret besonders gewichtigen Tatumstände wiederholt einschlägiger Vorerfahrungen schulderhöhend eingestellt werden, so daß von einer Strafrahmenverschiebung abgesehen werden durfte.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 443

Externe Fundstellen: StV 2005, 495

Bearbeiter: Karsten Gaede