hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 439

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 25/04, Beschluss v. 31.03.2004, HRRS 2004 Nr. 439


BGH 5 StR 25/04 - Beschluss vom 31. März 2004 (LG Potsdam)

Beweiswürdigung bei nur möglicherweise dem Angeklagten zuzuordnenden DNA-Spuren (Möglichkeit der Zuordnung zu einer weiteren Person; Befragung einer betagten Person zu ihrem Sexualleben); Aufklärungspflicht (Aufdrängen).

§ 244 Abs. 2 StPO; § 261 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 1. September 2003 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat den Angeklagten u. a. mit Hilfe der Ergebnisse eines DNA-Gutachtens überführt. Die Auswertung dieses Gutachtens unterliegt vor dem Hintergrund eines im Ergebnis ganz ungewöhnlichen DNA-Spurenbildes in zweifacher Hinsicht durchgreifenden Bedenken. Einer Entscheidung über die in diesem Zusammenhang erhobene, auf Verletzung des § 244 StPO gestützte Verfahrensrüge bedarf es nicht.

a) Das Landgericht stützt sich auf die Auswertung einer "spermasekretsekretverdächtigen Mischspur" an einer am Tatort sichergestellten Unterhose der Geschädigten, die DNA-Merkmale des Angeklagten und der Geschädigten enthalten habe. Der vom Landgericht der Beweiswürdigung ersichtlich zugrunde gelegte Sachverständigenbefund, der Angeklagte komme für diese (und eine weitere an der Haustür gesicherte) Mischspur "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" als Spurenverursacher in Betracht, erfolgte "unter der Voraussetzung, daß diese Mischspuren nur von einer weiblichen und einer männlichen Person verursacht wurden". Die Erfüllung dieser im Urteil nicht näher erläuterten und nicht weiter hinterfragten Voraussetzung bleibt indes unbelegt.

Zweifel daran werden durch folgenden ungewöhnlichen Umstand erweckt: Die Geschädigte ist eine betagte, vereinsamte Frau, bei der es keine Anzeichen für Sexualpartner gibt; sie hat eine - in der Hauptverhandlung nicht mehr erinnerte - Vergewaltigung durch einen Einzeltäter angezeigt, als den sie den Angeklagten jedoch nicht identifizieren konnte. An ihrer erwähnten sichergestellten Unterhose wurden - abgesehen von der erwähnten Mischspur - weitere "spermasekret-sekretverdächtige" Mischspuren mit männlichen DNA-Spuren festgestellt, die nicht dem Angeklagten zuzuordnen sind; gleiche derartige Spuren fanden sich ferner an einer weiteren am Tatort gesicherten Unterhose und an einem Unterhemd.

Bei dieser außergewöhnlichen Spurenlage hätte das Landgericht die Möglichkeit näher hinterfragen müssen, ob die maßgeblich zur Überführung des Angeklagten herangezogene Mischspur auch von mehr als einer männlichen Person verursacht worden sein kann. Das Urteil läßt auch die Bedeutung des in diesem Zusammenhang vom Sachverständigen geäußerten Vorbehalts für die Wahrscheinlichkeit der Spurverursachung durch den Angeklagten gänzlich unerörtert.

b) Die tatgerichtliche Beweiswürdigung erweist sich ferner deshalb als unvollständig, weil das Landgericht die Herkunft der weiteren, dem Angeklagten nicht zuzuordnenden männlichen DNA-Spuren schlicht als "nicht geklärt" bezeichnet und sie ohne Erläuterung als nicht geeignet angesehen hat, die - ohnehin unzulänglich bewertete - Beweiskraft der angeblich vom Angeklagten herrührenden DNA-Spur zu mindern. Das Landgericht wäre gehalten gewesen, nach Erklärungen für die Spurenlage zu suchen und hiernach die Zuverlässigkeit der - sonst rechtsfehlerfrei als verläßlich beurteilten - früheren Angaben der Geschädigten zur Tat, auch unter Berücksichtigung ihrer nur noch lückenhaften Angaben in der Hauptverhandlung, zu hinterfragen.

c) Der Senat verkennt nicht, daß die weiteren Indizien gegen den die Einlassung verweigernden Angeklagten gewichtig sind; die vom Landgericht unzulänglich ausgewertete Spurenlage legt eher Erklärungsmöglichkeiten, die ihn keineswegs entlasten würden, nahe als hierdurch gerechtfertigte durchgreifende Zweifel an seiner Täterschaft. Gleichwohl bedarf die schwierige Beweislage, die nach der bisherigen Würdigung einen für das Revisionsgericht zweifelsfreien Beleg eines eindeutigen Ergebnisses nicht rechtfertigt, neuer tatgerichtlicher Prüfung.

2. Hierfür gibt der Senat folgende Hinweise:

a) In Vorbereitung der erneuten Hauptverhandlung wird die Veranlassung einer sorgfältigen Nachprüfung der Ergebnisse des bisherigen DANN-Gutachtens angezeigt sein. Dabei wird insbesondere auch nach einer Erklärung für die erwähnte darin bezeichnete Einschränkung zu suchen sein.

b) Der - von der Verteidigung mit dem Beweis- oder Beweisermittlungsantrag, der Gegenstand der ersten Verfahrensrüge ist, angestrebte - Versuch, mit Hilfe einer Zentraldatei Urheber der weiteren DNA-Spuren zu ermitteln, kann sich bei der hier gegebenen besonderen Beweislage aufdrängen.

c) Die - möglicherweise auf das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten zurückgehende - Behauptung der Revision, bei der Mischspur mit DNA-Anteilen des Angeklagten fehle es im Gegensatz zu den weiteren Mischspuren an einem positiven Nachweis von Sperma, steht mit dem im Rahmen der Verfahrensrüge vorgelegten vorbereitenden Gutachten nicht im Einklang.

d) Sollte die DNA-Begutachtung erneut von mehreren Männern herrührende Spermaspuren auf Wäschestücken der Geschädigten ergeben, wird das neue Tatgericht bei der Suche nach Erklärungen für ein solches Spurenbild gehalten sein, die Geschädigte hierzu zu befragen. Im übrigen war die - im Urteil als "hochbetagt" bezeichnete - Frau, deren Altersabbau für die Beurteilung ihrer Aussagetüchtigkeit bedeutsam sein kann, nach der dem Senat durch die erste Verfahrensrüge zugänglichen Aktenlage nicht - wie vom Landgericht angenommen - 83, sondern 73 Jahre alt.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 439

Bearbeiter: Karsten Gaede