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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 333

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 472/03, Beschluss v. 04.02.2004, HRRS 2004 Nr. 333


BGH 5 StR 472/03 - Beschluss vom 4. Februar 2004 (LG Berlin)

Erörterungsmangel: Rücktritt vom Versuch; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose: Wahrscheinlichkeit; Erwartung künftiger Straftaten).

§ 24 StGB; § 63 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Juli 2003 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Teilerfolg. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Generalbundesanwalt hat zur Verurteilung im Fall II.1. und zur Anordnung der Maßregel ausgeführt:

"Der Tatrichter hat im Falle II.1. seiner 'stereotypen Pflicht' nicht genügt, die Frage eines möglichen Rücktritts vom Versuch zu erörtern (vgl. Basdorf SchlHA 1993, 57, 58; Senat, Beschl. v. 29. Januar 2003 - 5 StR 562/02). Angesichts der ungewöhnlichen Tatumstände läßt sich hier (vgl. dagegen Senat in NStZ-RR 2002, 230) dem Urteilszusammenhang der Ausschluß eines freiwilligen Rücktritts vom unbeendeten Versuch (vgl. BGHSt 35, 184, 186) ebenso wenig zweifelsfrei (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 26) entnehmen wie die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs, bei dem die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts dem Täter versagt ist (vgl. aaO Nr. 27).

...

Die äußerst knappen Feststellungen und Bewertungen sind nicht geeignet, die Maßregelanordnung zu rechtfertigen. Diese setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 26 f.; BGHR StGB § 63 Zustand 26). Schon dieser Defekt ist im Urteil nicht ausreichend belegt. Danach ist der Angeklagte 'in seiner Persönlichkeit erheblich fehlentwickelt, wobei neurotische Mechanismen (Ängste, Zwangshandlungen wie Waschzwang, durchgängig gedrückte Stimmung) im Vordergrund stehen', er leidet an einer 'Neurose', die 'aus dem Konflikt des Angeklagten zwischen seiner vor etwa drei Jahren zutage getretenen Homo-/Bisexualität und der vom polnischen Katholizismus geprägten rigiden Sexualmoral entspringt' (UA S. 4). Damit läßt sich eine so einschneidende Maßregel wie die des § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründen.

Auch die spärlichen Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Konkrete Anhaltspunkte, die die Erwartung künftiger Straftaten begründet erscheinen ließen, hat das Landgericht nicht mitgeteilt. Eine Wiederholungsgefahr im Sinne von § 63 StGB verlangt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die bloße Möglichkeit erneuter Rechtsbrüche (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16, 19). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist schon mangels hinreichend umfassender Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und seines im wesentlichen unauffälligen Vorlebens nicht erkennbar."

Dem folgt der Senat. Er hebt danach die Verurteilung im Fall II.1. und den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 333

Bearbeiter: Karsten Gaede