Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 251/02, Beschluss v. 15.01.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X
I. 1. Dem Angeklagten J wird auf seine Kosten zur weiteren Begründung seiner Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
2. Auf die Revision des Angeklagten J wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2001, soweit es ihn betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II. 1. Die Revision des Angeklagten D gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2001 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte D hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Schwurgericht hat den Angeklagten J wegen Anstiftung zum Mord zu lebenslanger Freiheitsstrafe - nach Einbeziehung anderweits verhängter rechtskräftiger Strafen als Gesamtstrafe -, den Angeklagten D wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
1. Das Schwurgericht hat folgendes festgestellt: Die Angeklagten hatten seit 1992 massive Konflikte mit ihrem Geschäftspartner G. Der Angeklagte J begann im Jahre 1993, den mit ihm und seiner Ehefrau befreundeten B zu überreden, G zu töten. Dem wiederholten Drängen J s schloß sich der Angeklagte D an; er war an der Tötung des mit beiden Angeklagten zerstrittenen, ihnen für ihr geschäftliches Fortkommen lästig und gefährlich gewordenen Partners gleichfalls interessiert. Schließlich erschoß B den G im März 1994 hinterrücks - wie von beiden Angeklagten einkalkuliert - mit einer ihm von J zur Tatausführung übergebenen Pistole.
B wurde ein Jahr später vom Landgericht Berlin wegen heimtückisch begangenen Mordes - unter Zubilligung erheblich verminderter Schuldfähigkeit - zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Verteidigt wurde er von Rechtsanwalt S. Bereits vor der Tat hatte der Angeklagte J seinem damaligen Freund B diesen Rechtsanwalt für den Fall, daß er als Täter ermittelt würde, benannt; B müsse dann "auf Macke" machen und werde nach fünf bis sechs Jahren entlassen werden.
Erst im Sommer 2000 offenbarte B der Polizei die Beteiligung der Angeklagten an dem von ihm begangenen Mord. Zuvor waren weitere Zuwendungen des Angeklagten J an ihn während seiner Strafhaft schließlich ausgeblieben; Konflikte zwischen den Eheleuten J waren B, der sich um J s Ehefrau sorgte, bekannt geworden. Zudem hatte ein Mitgefangener, dem B sich offenbart hatte, ihm zu der Aussage geraten; ihn motivierte dabei nicht zuletzt der näher rückende Zeitpunkt der Zweidrittelverbüßung seiner Strafe. Einen Monat vor der polizeilichen Aussage hatte B seinen früheren Verteidiger Rechtsanwalt S schriftlich aufgefordert, im Streit zwischen den Eheleuten J zugunsten der Ehefrau zu vermitteln; in dem durch Frau J übermittelten Brief teilte er mit, der schon früher von Rechtsanwalt S geäußerte Verdacht, J habe ihn, B, zur Ermordung G s angestiftet, treffe zu. Das Schreiben, über das B der Polizei berichtet hatte und dessen Original die Ehefrau des Angeklagten J, die Rechtsanwalt S nur eine Abschrift überlassen hatte, einbehalten und den Ermittlungsbehörden übergeben hatte, hat das Schwurgericht als wesentliches Indiz zur Stützung der Zeugenaussage des Haupttäters B gewertet, auf die es seine Beweiswürdigung maßgeblich gestützt hat.
2. Soweit die Revisionen der Angeklagten zunächst jeweils mit der Sachrüge begründet worden sind, haben sie keinen Erfolg. Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts begegnet insgesamt im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auch erweist sich die auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhende Auffassung des Schwurgerichts als rechtsfehlerfrei, die Angeklagten hätten hinsichtlich des zutreffend angenommenen Mordmerkmals der Heimtücke den jeweils erforderlichen Beteiligtenvorsatz gehabt (vgl. BGHR StGB § 26 Vorsatz 2).
Bei dieser Sachlage ist die Revision des Angeklagten D nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
Der Umstand, daß der Angeklagte J in der Tatsacheninstanz allein durch den - freilich auf Wunsch dieses Angeklagten - zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt S verteidigt worden ist, begegnet ebenso durchgreifenden Bedenken wie die anfänglich entsprechend geordneten Verteidigungsverhältnisse im Revisionsverfahren. Nachdem dem Angeklagten J aufgrund dieser Bedenken im Revisionsverfahren ein weiterer Verteidiger bestellt worden ist, hat dieser zur weiteren Begründung der Revision des Angeklagten J eine Verfahrensrüge wegen Verletzung des § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO erhoben und hierfür Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Wiedereinsetzungsgesuch und diese Verfahrensrüge sind begründet; dies führt zur umfassenden Aufhebung des Urteils auf die Revision des Angeklagten J , soweit dieser Angeklagte verurteilt worden ist.
1. Kollidiert der Wunsch eines Beschuldigten, von einem bestimmten Rechtsanwalt verteidigt zu werden, mit einem möglichen Konflikt dieses Rechtsanwalts in Bezug auf die Interessen eines anderen - auch früheren - Mandanten (vgl. - zur Unmaßgeblichkeit des Fortbestehens des anderen Mandats für die Frage rechtlich relevanter Interessenkonflikte wegen fortwirkender Berufspflichten - nur BGHSt 34, 190, 191; Cramer in Schönke/ Schröder, StGB 26. Aufl. § 356 Rdn. 10, 17; Eylmann in Henssler/Prütting, BRAO 1996 § 43a Rdn. 41, 126 ff.; Feuerich/Braun, BRAO 5. Aufl. § 43a Rdn. 20, 55 ff.), sind folgende Grundsätze zu beachten.
a) Dem Beschuldigten ist aufgrund seines Rechts auf ein faires, rechtsstaatlich geordnetes Verfahren eine effektive Verteidigung im Strafverfahren zu gewährleisten (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK; Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Daher muß für den Beschuldigten - abgesehen von seinem grundsätzlich gegebenen Recht aus § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO auf Verteidigerwahl - in gewichtigen Strafverfahren ein Verteidiger mitwirken (§ 140 StPO), dessen juristische Qualifikation - regelmäßig als Rechtsanwalt - sichergestellt (vgl. §§ 138, 139, 142 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO) und dessen notwendige Anwesenheit während der gesamten Hauptverhandlung durch den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO abgesichert ist.
Sofern kein Wahlverteidiger mitwirkt, bedarf es in diesen Fällen mithin der Pflichtverteidigerbestellung. Hierbei soll auf ein Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Verteidiger hingewirkt werden; zudem sind dem Beschuldigten in einem fairen, rechtsstaatlich geordneten Verfahren aktive Mitwirkungsbefugnisse zuzubilligen. Dies gab Anlaß zu der Regelung in § 142 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StPO, wonach ein Wunsch des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen bestimmten Rechtsanwalt durch Nachfrage zu fördern und diesem weitgehend Rechnung zu tragen ist (vgl. BGHSt 43, 153, 154 f.; BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 7, 8; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 142 Rdn. 9 m. w. N.).
b) Ein absehbarer Interessenkonflikt in der Person eines als Pflichtverteidiger in Betracht gezogenen Rechtsanwalts kann, sofern deshalb eine mindere Effektivität seines Verteidigungseinsatzes zu befürchten ist, seiner Bestellung entgegenstehen (vgl. BVerfG - Kammer - NStZ 1998, 46; BGH NStZ 1992, 292; OLG Frankfurt NJW 1999, 1414, 1415). Hierin kann auch ein wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO liegen, von der Bestellung des vom Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger abzusehen (vgl. Laufhütte in KK 4. Aufl. § 142 Rdn. 7). Eine solche Entscheidung löst ein Spannungsfeld, bei dem jeweils im fairen Verfahren angelegte Elemente widerstreiten: die Beachtlichkeit der aktiven Mitwirkung des Beschuldigten bei der Suche nach einem Verteidiger, dem er vertraut, einerseits; die durch gerichtliche Fürsorgepflicht zu sichernde Effektivität der Verteidigung andererseits, die bei greifbaren Interessenkonflikten regelmäßig als vorrangig zu werten sein wird.
c) Der Gefahr einer Interessenkollision durch die Verteidigung mehrerer derselben Tat Beschuldigter - wie auch durch die Verteidigung mehrerer Beschuldigter im selben Verfahren - begegnet die Regelung des § 146 StPO. In Abwägung zwischen der Gefahr einer nicht ausreichend sachgerecht geführten Verteidigung einerseits und den aus einem generellen Verbot folgenden Einschränkungen der freien Verteidigerwahl sowie der freien Berufsausübung der Verteidiger andererseits hat der Gesetzgeber im Jahre 1987 Anlaß gesehen, von dem noch bei Einführung der Regelung Ende 1974 aufgestellten strikten Verbot der Mehrfachverteidigung durch das zusätzliche Erfordernis der Gleichzeitigkeit die sukzessive Mehrfachverteidigung auszunehmen (vgl. dazu näher Laufhütte aaO § 146 Rdn. 1).
Hieraus ist zu folgern, daß die Bestellung eines vom Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger allein mit Rücksicht auf die abstrakte Gefahr einer Interessenkollision nicht abgelehnt werden darf, die sich für einen Verteidiger schon daraus ergeben kann, daß er die Verteidigung eines Beschuldigten übernimmt, obgleich er zuvor schon einen anderen derselben Tat Beschuldigten verteidigt hat. Dies ist aus der Gleichwertigkeit von Wahl- und Pflichtverteidigung zu folgern, da der entsprechende Sachverhalt eine Zurückweisung des Verteidigers nach § 146a StPO nicht rechtfertigt (vgl. BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 6).
Dies hindert freilich auch in einem Fall sukzessiver Mehrfachverteidigung nicht etwa schlechthin die Ablehnung der Beiordnung des gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger aus dem wichtigen Grund der konkreten Gefahr eines Interessenkonflikts (vgl. Laufhütte aaO § 142 Rdn. 7 und § 146 Rdn. 1).
d) Zu beachten ist dabei, daß der Rechtsanwalt grundsätzlich allein für die Wahrung seiner Berufspflichten verantwortlich ist (vgl. BGH NStZ 1992, 292; OLG Düsseldorf NStZ 1991, 352; OLG Frankfurt NJW 1999, 1414, 1415), hier speziell bezogen auf das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO). Das wird in Fällen, in denen der Bestellung eines vom Beschuldigten gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger kein anderer wichtiger Grund als die konkrete Gefahr einer Interessenkollision entgegensteht, regelmäßig Anlaß für folgende Verfahrensweise sein: Der für die Verteidigerbestellung zuständige Gerichtsvorsitzende sollte vor einer Ablehnung der gewünschten Pflichtverteidigerbestellung den Rechtsanwalt - gegebenenfalls daneben auch den Beschuldigten selbst - zu dem Sachverhalt anhören, der die Gefahr der Interessenkollision begründen kann.
Liegt ein derartiger Sachverhalt nach Lage des Einzelfalles auf der Hand, wird der Vorsitzende eine derartige Anhörung durchführen müssen und jedenfalls gehindert sein, den gewünschten Pflichtverteidiger ohne weiteres sofort zu bestellen. Entsprechendes wird zu gelten haben in Fällen, in denen wegen nachträglich erkannter konkreter Gefahr eines Interessenkonflikts die Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung aus wichtigem Grund (vgl. Laufhütte aaO § 143 Rdn. 4 f.) zu erwägen oder aufgrund einer entsprechenden Gefahr der Interessenkollision in der Person eines Wahlverteidigers die zusätzliche Bestellung eines Pflichtverteidigers (vgl. Laufhütte aaO § 141 Rdn. 7) in Betracht zu ziehen ist.
e) Bei der Annahme des wichtigen Grundes der konkreten Gefahr einer Interessenkollision, welcher die Ablehnung der Bestellung des vom Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger gemäß § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO rechtfertigt, steht dem zuständigen Gerichtsvorsitzenden ein Beurteilungsspielraum zu, der nicht der umfassenden Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt. So kann in Grenzfällen die Ablehnung der vom Beschuldigten gewünschten Verteidigerbestellung wegen vom Vorsitzenden angenommener Gefahr der Interessenkollision als vertretbare Entscheidung ebenso unbeanstandet bleiben wie die bei gleicher Sachlage gleichwohl - ebenfalls vertretbar - verfügte Bestellung des Verteidigers.
Insbesondere kann sich die Vertretbarkeit der getroffenen Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung auch aus dem Motiv der Verfahrenssicherung ergeben. So kann die Ablehnung der gewünschten Verteidigerbestellung im Einzelfall dann vertretbar sein, wenn die Gefahr einer Interessenkollision aktuell noch nicht übermäßig groß erscheint, indes unbedingt vermieden werden soll, daß sie später doch virulent wird und dann zum Abbruch einer Hauptverhandlung mit beträchtlichem Umfang zur Unzeit nötigen könnte. In Fällen dieser Art mag auch einmal die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers neben dem gewünschten angezeigt sein.
f) Die Verneinung der Gefahr eines Interessenkonflikts und die deshalb dem Wunsch des Beschuldigten gemäß verfügte Pflichtverteidigerbestellung wird umso eher vom Revisionsgericht als vertretbar zu bewerten sein, wenn Gegengründe, die sich im Einzelfall aufdrängen, mit dem benannten Verteidiger, gegebenenfalls auch mit dem Beschuldigten, erörtert und wenn daraufhin in Kenntnis des kritischen Sachverhalts keine Bedenken gegen die Bestellung geäußert oder gar beachtliche Gründe gegen einen möglichen Interessenkonflikt vorgebracht worden sind.
2. Nach diesen Maßstäben war die Bestellung des Rechtsanwalts S zum Pflichtverteidiger des Angeklagten J rechtsfehlerhaft.
a) Der Haupttäter B hatte mit der Offenbarung, daß der Angeklagte J die Ermordung G s als Anstifter veranlaßt - und der Angeklagte D dies durch psychische Beihilfe unterstützt - hatte, Anlaß zu maßgeblicher Intensivierung des gegen beide Angeklagte geführten Ermittlungsverfahrens gegeben. Dieses Verfahren hatte den Vorwurf der Beteiligung an derselben Tat zum Gegenstand, wegen deren Begehung B rechtskräftig verurteilt war und sich zur Zeit seiner Offenbarung noch in Strafhaft befand. Zunächst waren die beiden Angeklagten den Ermittlungsbehörden und Gerichten während des Strafverfahrens gegen B lediglich als "Tatinteressenten" bekanntgeworden, später war ein Ermittlungsverfahren gegen J, in dem B zunächst noch zu seinen Gunsten ausgesagt hatte, nur aufgrund von Angaben Dritter vom Hörensagen eingeleitet worden.
Nachdem Rechtsanwalt S den Haupttäter B verteidigt hatte, verstieß die spätere sukzessive Übernahme der Verteidigung des Anstifters J zwar mangels Gleichzeitigkeit nicht gegen das Verbot des § 146 StPO. Indes bestanden jenseits der generell bei solcher Fallgestaltung gegebenen Gefahr einer Interessenkollision deutliche konkrete Anhaltspunkte für einen möglichen Interessenkonflikt, in den dieser Rechtsanwalt bei der Verteidigung des Angeklagten J im Blick auf seine fortwirkenden Pflichten gegenüber seinem früheren Mandanten B geraten konnte.
Der Angeklagte J war weitestgehend nicht geständig. Für seine Überführung wegen Anstiftung zum Mord war die Zeugenaussage B s - wie von Anfang an erkennbar - von maßgeblicher Bedeutung. Bei dieser Sachlage drängte sich die Aufdeckung möglicher Schwachstellen dieser Aussage als eine zentrale Aufgabe von J s Verteidiger auf. Indes unterlag S einer Verschwiegenheitspflicht gegenüber seinem früheren Mandanten B , zudem traf ihn als Rechtsanwalt naheliegend auch eine gewisse berufsrechtliche Verpflichtung, dem im Strafverfahren Verteidigten während dessen anschließender Strafvollstreckung nicht durch aktive Wahrnehmung eines Mandats mit gegenläufigen Interessen Nachteil zuzufügen.
Rechtsanwalt S war daher gehindert, ihm von seinem früheren Mandanten während dessen Verteidigung etwa anvertrautes Wissen, das seinem jetzigen Mandanten J hätte nützen können, zu offenbaren. Er konnte unter Umständen auch in Konflikt geraten, wenn es sich ihm etwa im Interesse seines jetzigen Mandanten J aufdrängen mußte, entlastende Indizien vorzutragen, über deren Bewertung er indes aufgrund vertraulicher Mitteilungen seines früheren Mandanten B nicht offenbarungsfähige nähere Kenntnisse besaß. Darüber hinaus konnte er in die Situation geraten, durch Vorbringen, mit dem er J gezielt gegen B s jetzige Aussage verteidigte, jedenfalls den Verdacht zu erwecken, sich hierdurch in entsprechender Weise standesrechtlich pflichtwidrig - mindestens aber bedenklich - gegenüber seinem früheren Mandanten zu verhalten, so daß er unter Hintanstellung von J s berechtigten Verteidigungsinteressen leicht hätte motiviert werden können, von solchem Verteidigervorbringen Abstand zu nehmen.
b) Allein diese auf der Hand liegenden Umstände hätten dem ermittelnden Staatsanwalt, bevor er dem Schwurgerichtsvorsitzenden bereits im Ermittlungsverfahren den Antrag auf Bestellung des Rechtsanwalts S zum Pflichtverteidiger des damaligen Beschuldigten J befürwortend zuleitete, Anlaß geben sollen, auf Klärung der auf eine Interessenkollision hindeutenden Anzeichen gegenüber dem Rechtsanwalt und dem Beschuldigten J hinzuwirken. Sofern sich dies dem damals mit dem Verfahren noch nicht näher befaßten Schwurgerichtsvorsitzenden selbst noch nicht hätte aufdrängen müssen, hätte dieser jedenfalls nach Kenntnis von der Anklage entsprechend allen Anlaß gehabt, die verfügte Verteidigerbestellung zu hinterfragen und auf eine derartige Klärung hinzuwirken. Die jetzt im Revisionsverfahren eingeholten dienstlichen Erklärungen, die den Wunsch des Angeklagten J nach Verteidigung durch Rechtsanwalt S in den Mittelpunkt stellen und ein sachlich unauffälliges Verteidigerverhalten betonen, machen es dem Senat nicht verständlich, daß die sich bei der vorliegenden Fallgestaltung aufdrängenden Anhaltspunkte für eine mögliche Interessenkollision in der Person des gewünschten Verteidigers nach außen hin gänzlich unbeachtet geblieben sind.
c) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Bestellung des Rechtsanwalts S zum Pflichtverteidiger allein aufgrund der genannten Umstände bereits als unvertretbar und damit rechtsfehlerhaft zu bewerten wäre. Dies läge jedenfalls in Ermangelung ausdrücklicher Hinterfragung der mit einer möglichen Interessenkollision zusammenhängenden Probleme gegenüber den Beteiligten nicht ganz fern. Andererseits sind vor dem Hintergrund genereller Zulässigkeit sukzessiver Mehrfachverteidigung gemäß § 146 StPO der ausdrückliche Wunsch des Angeklagten J nach Bestellung dieses Verteidigers und das Fehlen eines Vortrags eigener Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit seiner Bestellung durch den zur Prüfung standesrechtlich pflichtgemäßen Verhaltens primär berufenen Rechtsanwalt nicht unbeachtlich. Hier kommen jedoch weitere Fallbesonderheiten hinzu, welche der Annahme einer noch vertretbaren, daher nicht als rechtsfehlerhaft zu qualifizierenden Verteidigerbestellung jedenfalls entgegenstehen.
aa) Zum einen drängten sich Überlegungen über eine mögliche Interessenkollision nicht nur infolge der Verhältnisse zwischen den Beschuldigten vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Rollen bei Tatbegehung und in der Entwicklung der jeweils gegen sie geführten Strafverfahren auf. Darüber hinaus war die Person des Rechtsanwalts S - ohne daß dies etwa für sich dem Rechtsanwalt ohne weiteres zum Vorwurf gereichen müßte - hier schon zeitnah zur Tatbegehung im Gespräch: Nach den Urteilsfeststellungen benannte der Angeklagte J schon im Rahmen seiner Anstiftungshandlungen diesen Rechtsanwalt dem Haupttäter B als potentiellen späteren Verteidiger; J verband so mit der Person dieses Rechtsanwalts die Prognose eines verminderten Sanktionsrisikos, mit deren Benennung er Hemmungen des Haupttäters abzubauen suchte. Diese Urteilsfeststellung gründet auf der entsprechenden Zeugenaussage B s. Dieser hatte schon in seiner ersten polizeilichen Vernehmung Angaben über prozessuale Verhaltensmuster, seine Schuldfähigkeit betreffend, gemacht, die ihm der Angeklagte J - freilich nach der Tat, aber vor seiner Entdeckung und Verhaftung - nahegebracht habe, und hatte dabei auch Angaben zur Vermittlung und Bezahlung von Rechtsanwalt S als Verteidiger durch J gemacht.
Es liegt auf der Hand, daß schon die Angaben seines früheren Mandanten B im Ermittlungsverfahren gegen J, namentlich aber dessen spätestens in der Hauptverhandlung gemachte belastende Angabe, sein jetziger Mandant J habe sich im Rahmen seiner Anstiftungshandlungen in einer derartigen, für die Person des Verteidigers anrüchigen Weise geäußert, für Rechtsanwalt S die gebotene in jeder Beziehung unbefangene Wahrnehmung seiner Verteidigeraufgaben gegenüber dem Angeklagten J nachhaltig zu erschweren geeignet war. Schon B s Aussage bei der Polizei zu diesem Themenkreis hätte mindestens eine kritische Nachfrage an Rechtsanwalt S, die erstrebte Verteidigung J s betreffend, veranlassen sollen. Jedenfalls nach B s entsprechender Zeugenaussage in der Hauptverhandlung war sie unbedingt geboten.
bb) Zu dieser herausgehobenen Sachnähe kam eine weitere maßgebliche Besonderheit hinzu. Ein Brief des Haupttäters B an seinen früheren Verteidiger Rechtsanwalt S war Gegenstand der Ermittlungsakten geworden. Es lag auf der Hand, daß dieses Schreiben wegen der deutlich vor B s Offenbarung gegenüber der Polizei geäußerten, zudem darin nachvollziehbar motivierten Erwägung einer solchen Offenbarung eine nicht unwesentliche indizielle Bedeutung für die Beurteilung der Zuverlässigkeit von B s Angaben gewinnen konnte - die ihm das Schwurgericht später tatsächlich auch zugemessen hat. Hinzu kam, daß im Inhalt dieses Schreibens eigene Erwägungen des Rechtsanwalts S über eine Tatbeteiligung des Angeklagten J behauptet wurden. Rechtsanwalt S wäre danach im Verfahren gegen den Angeklagten J sogar als Zeuge in Betracht gekommen, wobei er sich freilich naheliegend auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, womöglich gar auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO, hätte berufen können.
Diese weitergehende Besonderheit begründete zusätzliche nachhaltige Bedenken dagegen, daß dieser Rechtsanwalt die Verteidigung des Angeklagten J in der gebotenen unabhängigen und distanzierten Weise werde führen können. Jedenfalls danach können seine Bestellung zum Pflichtverteidiger des Angeklagten J und die alleinige Wahrnehmung der Verteidigeraufgaben durch ihn in der gesamten Tatsacheninstanz ohne jede gerichtliche Hinterfragung - ungeachtet des entsprechenden Wunsches des Angeklagten J - nurmehr als verfahrensfehlerhaft bewertet werden. Hätte sich Rechtsanwalt S bei der gegebenen Sachlage ungeachtet geäußerter und nicht etwa zu entkräftender gerichtlicher Bedenken gegen seine Mitwirkung dann als Wahlverteidiger des Angeklagten J gemeldet, hätte er zwar naheliegend nicht zurückgewiesen werden können. Dem Angeklagten J wäre jedoch gleichwohl aus den nämlichen Gründen, die der Beiordnung S s zum Pflichtverteidiger entgegenstanden, ein anderer Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beizuordnen gewesen (vgl. Laufhütte aaO § 141 Rdn. 7).
3. Daß der rechtsfehlerhaft zum Verteidiger bestellte Rechtsanwalt S als einziger Verteidiger des Angeklagten Jahn in diesem Fall notwendiger Verteidigung die danach angezeigte Verfahrensrüge wegen seiner eigenen verfahrensfehlerhaften Mitwirkung nicht erhoben hat, geht auf die verfahrensfehlerhafte Bestellung dieses Verteidigers zurück. Hierin liegt eine auf das Revisionsverfahren fortwirkende Vernachlässigung der dem Angeklagten J gegenüber bestehenden prozessualen Fürsorgepflicht. Deren Folgen sind ihm ungeachtet seines entsprechenden - freilich auf laienhafter Verkennung seiner eigenen Verteidigungsinteressen beruhenden - Wunsches nach Bestellung dieses Verteidigers nicht als verschuldet anzulasten.
Danach liegt ein Ausnahmefall vor, in welchem dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge zu gewähren ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 44 Rdn. 7a m. w. N.). Den entsprechenden Antrag hat der zusätzlich bestellte Verteidiger innerhalb einer Woche (s. § 45 Abs. 1 StPO) nach Zustellung des Urteils und seiner Bestellung unter formgerechter Nachholung der versäumten Verfahrensrüge gestellt.
4. Ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO ist nicht geltend gemacht (vgl. dagegen auch BGHR StPO § 338 Nr. 5 Verteidiger 1 und 5). Indes greift die Rüge wegen Verletzung des § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO durch. Es läßt sich nicht ausschließen, daß der Schuldspruch zum Nachteil des Angeklagten J auf der verfahrensfehlerhaften Gestaltung seiner Verteidigungsverhältnisse beruht (§ 336 Satz 1 StPO). Ungeachtet der letztlich rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und trotz mangelnder konkreter Hinweise auf abweichende Sachaufklärungsmöglichkeiten ist nicht auszuschließen, daß ein anderer Verteidiger, dessen Mitwirkung geboten war, mit zulässigen prozessualen Mitteln auf abweichende, für den Angeklagten J günstigere Tatfeststellungen hätte hinwirken können.
Das Urteil ist daher, soweit es den Angeklagten J betrifft, auf die entsprechende Verfahrensrüge umfassend aufzuheben.
5. Der neue Tatrichter wird für den Fall einer erneuten Verurteilung des Angeklagten J jedenfalls nunmehr nicht mehr gehindert sein, unter Berücksichtigung sämtlicher nach Tatbegehung erfolgter rechtskräftiger Verurteilungen eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach den bei Tröndle/ Fischer, StGB 51. Aufl. § 55 Rdn. 6, 8, 9, 11, 13, 19 genannten Grundsätzen vorzunehmen.
Externe Fundstellen: BGHSt 48, 170; NJW 2003, 1331; NStZ 2003, 378; StV 2003, 210
Bearbeiter: Karsten Gaede