Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 224/02, Urteil v. 27.02.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 9. August 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Der Angeklagte ist Rechtsanwalt und Notar in Nordrhein-Westfalen. In dieser Eigenschaft wurde er durch den bereits verurteilten U beauftragt, als Treuhänder mehrere Darlehensverträge abzuwickeln. Der Verurteilte U, der Geschäftsführer des Zweckverbandes "A O G " war, hatte aus dem Vermögen des Zweckverbandes zwischen September 1993 und Januar 1994 in fünf Einzelverträgen dem anderweitig verfolgten W insgesamt 25 Millionen DM (in Teilbeträgen von 1 Million DM, 3 Millionen DM, 8 Millionen DM, 3 Millionen DM und 10 Millionen DM) als Darlehen ausgereicht.
Diese Darlehen wurden jeweils durch Grundschulden gesichert. U erteilte dem Angeklagten vorher einen schriftlichen Treuhandauftrag. Darin ermächtigte er den Angeklagten, den auf dessen Anderkonto überwiesenen Betrag auszuzahlen, wenn bestimmte Sicherheiten durch den Darlehensnehmer gestellt wurden. Diese Sicherheiten waren regelmäßig von Dritten abgetretene Grundschulden. Auf Drängen des Angeklagten wurde in den Treuhandauftrag der Passus aufgenommen, wonach "die Echtheit der vorgenannten Urkunden und die Werthaltigkeit der Grundschulden" nicht vom Angeklagten zu prüfen waren. Die Gelder zahlte der Angeklagte gegen die Übergabe der Urkunden bar an den Darlehensnehmer W aus, der sie sogleich an T übergab. Während zwei zunächst ausgereichte Darlehen über 1 Million DM bzw. 2 Millionen DM zurückgeführt wurden, erfolgte keine Rückzahlung der späteren Darlehen, die auch den Gegenstand der Anklage bilden. Die fälligen Zinsen wurden zunächst bis Juni 1994 bedient.
Aus den gestellten Sicherheiten konnten noch etwa 1,2 Millionen DM erlöst werden. Der Verbleib des Geldes war nicht mehr zu ermitteln.
Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten zur Last, Beihilfe zu diesen Taten geleistet zu haben. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf der Beihilfe zur Untreue in fünf Fällen freigesprochen.
Es hat sich nicht davon überzeugen können, daß der Angeklagte in das Gesamtsystem eingebunden gewesen sei und von den Hintergründen Kenntnis erlangt habe. Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Freispruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise nähergelegen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene, wenn auch nur geringe Zweifel nicht überwinden, so kann das Revisionsgericht eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen, insbesondere darauf, ob die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft, Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist oder ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit gestellt hat (ständige Rechtsprechung: vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13 und Überzeugungsbildung 33; BGH NStZ 2000, 48; BGH wistra 2002, 260, 261). Aus den Urteilsgründen muß sich auch ergeben, daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11, 24).
2. Einen derartigen durchgreifenden Rechtsfehler weist das angefochtene Urteil auf. Das Landgericht hat zwar eine sorgfältige und eingehende Prüfung der einzelnen belastenden Indizien vorgenommen, es hat jedoch die belastenden Umstände nur unzureichend in ihrer Gesamtheit gewürdigt.
Es hat sich dabei auf die mehr floskelhafte Bemerkung beschränkt, daß weder aus den Vertragsmodalitäten - einzeln und insgesamt - noch aus der zeitlichen Abfolge der Vertragsschlüsse unmißverständliche Anzeichen für Untreuehandlungen des U sich für den Angeklagten aufdrängten (UA S. 81 f.).
a) Der vorliegende Fall ist gekennzeichnet durch eine Reihe ungewöhnlicher Umstände, die möglicherweise erst in der Zusammenschau zur Bildung der für eine Verurteilung erforderlichen richterlichen Überzeugung führen können. Bei der hier gegebenen Sachverhaltsgestaltung wirkt sich nämlich die Kombination von der Art des Geschäftes, den näheren Umständen seiner Abwicklung, der Absicherung der Risiken und schließlich der Rolle, die in diesem Zusammenhang ein Rechtsanwalt und Notar hätte ausfüllen sollen, zusätzlich als verdachtsbegründend aus und ist deshalb geeignet, mögliche weitere Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten zuzulassen.
aa) Ausgesprochen ungewöhnlich ist schon das Grundgeschäft. Ein Abwasserzweckverband als Körperschaft des öffentlichen Rechts vergibt derartige Darlehen regelmäßig nicht. Abgesehen davon, daß solche Darlehensgewährungen nicht zu dem satzungsmäßigen Aufgabenbereich eines Abwasserzweckverbandes gehören, ist auch mittelbar kein Zusammenhang mit der dort üblicherweise anfallenden Geschäftstätigkeit ersichtlich. Die Besonderheit des Geschäfts legt wiederum eine Prüfung der Vertretungsverhältnisse nahe. Je außergewöhnlicher und riskanter ein Geschäftsabschluß ist, umso mehr Anlaß besteht grundsätzlich zu einer Prüfung der Vertretungsverhältnisse.
Nach § 4 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung setzt sich die Geschäftsleitung aus dem Geschäftsführer und seinem - noch zu benennenden - Stellvertreter zusammen. Damit liegt grundsätzlich eine Gesamtvertretung vor. Das Landgericht verhält sich nicht dazu, daß der Angeklagte geprüft hat, ob ein Stellvertreter benannt wurde und mithin nur eine Gesamtvertretungsberechtigung bestanden hätte. Weiterhin war aufgrund der Größenordnung des Geschäfts offensichtlich, daß im Innenverhältnis nur die Verbandsversammlung ein solches Geschäft beschließen konnte. Wenn der Angeklagte von den rechtlichen Organisationsgrundlagen nach eigenen Angaben Kenntnis gehabt haben will, hätte sich ihm unter Umständen auch die Genehmigungsbedürftigkeit der Geschäfte im Innenverhältnis erschlossen.
bb) Zusätzlich verdachtsbegründend waren weiterhin auch die Umstände der Ausreichung der Darlehen. Der Angeklagte hat diese Beträge bar ausbezahlt. Ohne daß ein sachlich gerechtfertigter Grund für eine auch unter Sicherheitsgesichtspunkten gefährliche Barauszahlung erkennbar war, ist diese Form der Geldhingabe wirtschaftlich besonders risikobehaftet, weil sich die Geldflüsse wesentlich schwieriger nachvollziehen lassen und damit ein zusätzliches Unsicherheitselement geschaffen wurde, das einen späteren Zugriff auf das Geld bzw. auf damit erworbene Wirtschaftsgüter erschwerte.
cc) Auch die Art der Sicherung ist ungewöhnlich. Es fällt auf, daß die Sicherungen durch eine ganze Reihe von Drittpersonen gestellt wurden. Dies ist zwar rechtlich möglich, in der tatsächlichen Praxis werden aber Dritte nicht ohne weiteres bereit sein, jedenfalls werthaltige Grundschulden zu bestellen.
Auch wenn der Angeklagte nicht verpflichtet war, die Werthaltigkeit der Sicherungen zu prüfen, könnte ihm mit der fortschreitenden Zahl der Darlehensverträge die eigentümliche Struktur der Sicherungsgeschäfte deutlich geworden sein.
dd) Schließlich macht die Einschaltung des Angeklagten wenig Sinn.
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist er hier nur anwaltlich tätig geworden, weil eine irgendwie geartete Pflicht auch die Interessen des Darlehnsnehmers zu wahren, nach dem Auftragsverhältnis nicht ersichtlich ist. Gemessen an der Höhe der entstandenen Honoraransprüche, die das Landgericht rechtsfehlerfrei mit 70.000,00 DM netto beziffert hat, kann ein wirtschaftlich sinnvolles Motiv für die Beauftragung des Angeklagten allenfalls darin zu sehen sein, daß die Abwicklung gesichert werden sollte. Da aber der Angeklagte kaum über eine sachliche Prüfungskompetenz verfügte, war der Wert einer anwaltlichen Betreuung der Geschäfte denkbar gering.
Dies war auch dem Angeklagten klar. Vielmehr lag nahe, daß der mit der Einschaltung eines Anwalts verbundene Schein von Legitimation durch U und seine Mittäter gesucht wurde.
b) Der neue Tatrichter wird deshalb zu prüfen haben, ob der Angeklagte, der als Rechtsanwalt und Notar über eine gesteigerte Erfahrung mit grundbuchrechtlich abgesicherten Darlehensgeschäften verfügte, aufgrund der Häufung verdachtsbegründender Umstände - unter Umständen auch erst bei späteren Darlehensverträgen - das kriminelle Gesamtsystem der Darlehensgewährungen erkannt hat. Wenn er dieses System erkannt haben sollte, wird dann zu prüfen sein, ob er sich die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters hat angelegen sein lassen (vgl. BGHSt 46, 107; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20; StGB § 266 Abs. 1 Beihilfe 3).
Bearbeiter: Karsten Gaede