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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 580/00, Beschluss v. 11.01.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 580/00 - Beschluß v. 11. Januar 2001 (LG Nürnberg-Fürth)

Steuerhinterziehung; Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung; Sozialprognose; Verteidigung der Rechtsordnung

§ 370 AO; § 56 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu einem Jahr ist zur Verteidigung der Rechtsordnung nur dann geboten, wenn eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müßte und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert werden könnte (vgl. BGHSt 24, 40, 46; BGH wistra 2000, 96, 97). Generalpräventive Erwägungen dürfen demgemäß nicht dazu führen, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen unter diesem Gesichtspunkt von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen. Erforderlich ist vielmehr stets eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung, bei der Tat und Täter umfassend zu würdigen sind (BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 5, 6 und 16). Hierbei ist die in der Sache erlittene Untersuchungshaft bei einer Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB stets zu berücksichtigen (vgl. BGHR § 56 Abs. 3 - Verteidigung 7 m.w.N.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. September 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist. Die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt (§ 56 Abs. 1 StGB).

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen, es wird jedoch die Gebühr um ein Fünftel ermäßigt. Von den durch dieses Rechtsmittel entstandenen gerichtlichen Auslagen und notwendigen Auslagen des Angeklagten fällt der Staatskasse ein Fünftel zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat insoweit Erfolg, als die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte am 3. Februar 1997 24.200 Liter eines 96-prozentigen Alkohols, den er im Rahmen eines Steueraussetzungsverfahrens aus Italien über Deutschland zur Ausfuhr aus der Europäischen Union nach Tschechien beförderte, etwa einen Kilometer vor dem deutsch/tschechischen Grenzübergang Waidhaus der zollamtlichen Überwachung entzogen, indem er mit einem unbekannten Mittäter die von den Zollbehörden in Italien angelegten Zollschnüre und Zollplomben entfernte und die begleitenden Zolldokumente durch gefälschte Zollpapiere für die angebliche Ausfuhr von Fliesen nach Tschechien ersetzte. Durch die Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren ist Branntweinsteuer in Höhe von mehr als 592.000 DM entstanden (vgl. § 143 BranntwMonG).

Nach Abfertigung an der deutschen Grenzkontrollstelle wurde der Alkohol bei der Einfuhr nach Tschechien entdeckt und beschlagnahmt. Der Angeklagte wurde in der Tschechischen Republik wegen versuchter Einfuhr nichtdeklarierten Alkohols zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, die ihm im Jahr 1999 erlassen wurde.

2. Die Nachprüfung des Urteils hat weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt (§ 56 Abs. 1 StGB), eine Strafaussetzung zur Bewährung indes nach § 56 Abs. 3 StGB versagt. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu einem Jahr ist zur Verteidigung der Rechtsordnung allerdings nur dann geboten, wenn eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müßte und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert werden könnte (vgl. BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 15; BGH wistra 2000, 96, 97). Generalpräventive Erwägungen dürfen demgemäß nicht dazu führen, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen unter diesem Gesichtspunkt von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen. Erforderlich ist vielmehr stets eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung, bei der Tat und Täter umfassend zu würdigen sind (BGHSt 24, 40, 46; BGHR StGB § 56 Abs. 3 - Verteidigung 5, 6 und 16; NStZ-RR 1998, 7, 8).

Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Landgerichts zu § 56 Abs. 3 StGB nicht gerecht. Bei der Gesamtwürdigung hat das Landgericht nicht ausreichend berücksichtigt, daß der nicht vorbestrafte, geständige Angeklagte nur wegen einer einzigen Tat verurteilt wurde, die in zeitlichem, örtlichem und situativem Zusammenhang mit dem Einfuhrschmuggel nach Tschechien stand und ausschließlich der Vorbereitung der in Tschechien begangenen Tat diente. Für die dort begangene Tat wurde der Angeklagte bereits zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Zudem hat das Landgericht nicht bedacht, daß der Alkohol nicht im Verbrauchsteuergebiet der Europäischen Union verblieben und damit dem Fiskus im Vergleich mit der vorgesehenen Ausfuhr im Versandverfahren im Ergebnis kein Nachteil entstanden ist. Denn die dem Steueraussetzungsverfahren entzogenen Waren wurden alsbald nach Tschechien ausgeführt. Bei legaler Ausfuhr in diesem Verfahren wären die Eingangsabgaben nicht entstanden (§ 142 BranntwMonG). Schließlich hat der Tatrichter nicht in die Erwägung eingestellt, daß der Angeklagte zum Urteilszeitpunkt bereits fünf Monate - also fast die Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe durch die erlittene Untersuchungshaft verbüßt hat. Nach der Rechtsprechung ist aber die in der Sache erlittene Untersuchungshaft bei einer Entscheidung nach § 56 Abs. 3 StGB stets zu berücksichtigen (vgl. BGHR § 56 Abs. 3 - Verteidigung 7 m.w.N.; BGH wistra 1989, 305, 306).

Da die verhängte Freiheitsstrafe ein Jahr nicht übersteigt und das Landgericht dem Angeklagten bereits eine günstige Sozialprognose gestellt hat, ist die Strafaussetzung zur Bewährung geboten. Diese kann der Senat selbst vornehmen, weil aufgrund der ansonsten umfassenden Ausführungen des Landgerichts zu § 56 Abs. 3 StGB ausgeschlossen werden kann, daß das Landgericht bei einer neuen Würdigung der Umstände unter Berücksichtigung der aufgezeigten Erwägungen zu einer abweichenden Entscheidung gelangen könnte. Die nach § 268a StPO noch erforderlichen Nebenentscheidungen hat allerdings das Landgericht zu treffen.

Externe Fundstellen: NStZ 2001, 319

Bearbeiter: Karsten Gaede