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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 579/00, Urteil v. 06.02.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 579/00 - Urteil v. 6. Februar 2001 (LG Leipzig)

Minder schwerer Fall des Totschlages; Extensiver Notwehrexzeß; Furcht; Vermeidbarer Verbotsirrtum; Tatprovokation

§ 212 StGB; § 33 StGB; § 32 StGB; § 17 Satz 2 StGB; § 213 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

Die Angst des Angeklagten muß bei § 33 StGB einen hohen Störungsgrad von Furcht und Schrecken erreichen (BGHR StGB § 33 - Furcht 2, 4).

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 5. Juli 2000 werden verworfen.

Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die jeweils mit der Sachrüge begründeten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft - diese beschränkt auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs und vom Generalbundesanwalt vertreten - bleiben ohne Erfolg.

1. Der Angeklagte und sein Opfer, K, waren beide aus Kasachstan stammende Aussiedler und "Trinkkumpane". Im wesentlichen aufgrund der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten hat das Schwurgericht folgenden Tathergang festgestellt: Am Nachmittag des Tattages suchte der bereits stark alkoholisierte Angeklagte den K in dessen Wohnung auf. Für Reparaturarbeiten, die dann tatsächlich nicht ausgeführt wurden, hatte er einen schweren Zimmermannshammer mitgebracht. Nach dem die Männer eine vom Angeklagten mitgebrachte Flasche Wein geleert hatten, forderte K den Angeklagten auf, weiteren Alkohol zu holen. Über dessen Weigerung kam es zum Streit. Als der Angeklagte gehen wollte, sprang K auf, griff nach der leeren Weinflasche und holte zum Schlag aus. Dabei äußerte er, er werde den Angeklagten abstechen und umbringen. Der Angeklagte, der wegen der Drohung und einer ihm bekannten erheblichen Vorbelastung des K wegen einer Gewalttat um sein Leben fürchtete, ergriff den auf dem Tisch liegenden Hammer. Er versetzte K mit der spitzen Seite drei kräftige Schläge gegen die Stirn, um den unmittelbar bevorstehen Angriff abzuwehren.

K versuchte nunmehr, mit beiden Händen seinen Kopf zu schützen. Der Angeklagte schlug mit dem Hammer mindestens je einmal auf die Hände seines Opfers. Er erkannte, daß von diesem kein Angriff mehr ausging. Dennoch schlug er nunmehr mit der stumpfen Seite des Hammers wuchtig auf den Hinterkopf des K, der handlungsunfähig zusammensackte und mit dem Oberkörper auf eine Couch fiel. In dieser Stellung schlug ihm der Angeklagte noch mindestens siebenmal heftig mit dem Hammer auf den Hinterkopf. Er wollte ihn schwer verletzen, seinen Tod nahm er jedenfalls billigend in Kauf. K starb alsbald an einer Zertrümmerung des Hinterhauptknochens.

2. Der Schuldspruch enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

Das Schwurgericht hat sich von der Schlagfolge und von dem Umstand, daß der Angeklagte den unwiderlegt behaupteten Angriff des Opfers mit den ersten drei Schlägen gegen die Stirn erfolgreich abgewehrt hatte, aufgrund einer Auswertung der Verletzungsspuren im Sachverständigengutachten des Obduzenten überzeugt. Diese Beweiswürdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Damit sind die Einwände der Revision, mit der auf der abweichenden Tatsachengrundlage eines fortdauernden Angriffs Rechtfertigung wegen Notwehr, mindestens aber Entschuldigung wegen intensiven Notwehrexzesses nach § 33 StGB geltend gemacht wird, offensichtlich unbegründet. Da der Angeklagte den Erfolg seiner Abwehr durch die ersten Hammerschläge nach den Feststellungen erkannt hatte, ist auch für eine Putativnotwehr oder einen "Putativnotwehrexzeß" kein Raum.

Soweit auf den festgestellten Sachverhalt, bei dem der Angeklagte nach erfolgreicher Verteidigung auf den Angreifer auch noch unmittelbar nach Beendigung des zur Notwehr berechtigenden Angriffs weiter einwirkte, die Grundsätze des § 33 StGB, mindestens entsprechend, anwendbar sein sollten (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 33 Rdn. 7 m.w.N.), hat das Schwurgericht eine Entschuldigung rechtsfehlerfrei verneint. Angesichts der Tatsituation und des Gesamtverhaltens des Angeklagten hatte dessen Angst den nach dieser Vorschrift unerläßlich zu verlangenden hohen Störungsgrad von Furcht und Schrecken nicht erreicht (BGHR StGB § 33 - Furcht 2, 4).

3. Der Strafausspruch hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand, obgleich seine Begründung Rechtsfehler zum Vorteil und zum Nachteil des Angeklagten enthält.

a) Das Schwurgericht hat, sachverständig beraten, festgestellt, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat wegen seiner Alkoholisierung und eines möglichen hirnorganischen Psychosyndroms erheblich vermindert, seine Einsichtsfähigkeit hingegen "gegeben", d.h. nicht maßgeblich beeinträchtigt war; er habe die Situation am Tatort sowie das Vor- und Nachtatgeschehen ausreichend reflektieren können und sich gedanklich auch damit auseinandergesetzt Vor diesem Hintergrund entbehrt die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums der erforderlichen tatsächlichen Grundlage. Der Tatrichter erwägt, der Angeklagte habe möglicherweise geglaubt, "zur Überschreitung der erforderlichen Abwehrhandlung berechtigt gewesen zu sein"; dabei hätte er "mit nur geringer Überlegung" "erkennen können, daß er trotz des vorangegangenen Angriffs seitens des Opfers nicht berechtigt war, nach der erfolgreichen Abwehr weiter zuzuschlagen". Diese Erwägungen beruhen auf einer tatsächlichen Unterstellung. Auch der Umstand, daß sich der Angeklagte auf Notwehr berufen hat, ist hierfür keine tragfähige Grundlage. Damit wollte sich der Angeklagte ersichtlich auf einen von den Feststellungen abweichenden Tathergang berufen. Zugleich gab er nämlich vor, sich an nähere Umstände der Hammerschläge nicht erinnern zu können. Danach entbehrt die für einen Verbotsirrtum erforderliche Annahme, der Angeklagte könne - trotz gegebener Einsichtsfähigkeit - geglaubt haben, er sei berechtigt, einen erfolgreich, abgewehrten Angreifer unmittelbar anschließend weiter schwer zu verletzen oder gar totzuschlagen, jeder tragfähigen tatsächlichen Grundlage; das Gegenteil ist offensichtlich.

Für eine Strafrahmenverschiebung nach § 17 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB fehlt es damit schon an den rechtlichen Voraussetzungen eines überhaupt vorhandenen Verbotsirrtums. Der von der Staatsanwaltschaft beanstandete Ermessensfehlgebrauch bei der Strafrahmenverschiebung ist demgegenüber eine nachrangige Frage, für die gar kein Raum mehr ist.

b) Gleichwohl hat das Schwurgericht im Ergebnis zutreffend den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 213 StGB zugrunde gelegt.

(1) Es hat ohne jede Begründung eine "Provokationslage im Sinne der 1. Alternative des § 213 StGB" verneint. Hierin liegt ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

Auch ohne den Erfolg der beabsichtigten körperlichen Beeinträchtigung des Angeklagten stellte sich der den Feststellungen in rechtsfehlerfreier Anwendung des Zweifelssatzes zugrunde gelegte Angriff des Opfers mit der Flasche unter ausdrücklicher Todesdrohung, wenn nicht bereits als Mißhandlung, so doch jedenfalls als schwere Beleidigung dar (vgl. BGHR StGB § 213 1. Alternative - Mißhandlung 4 und 5). Anhaltspunkte dafür, daß die tatauslösende Spannungssituation auch dem Angeklagten zuzurechnen gewesen wäre, bestehen aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht; damit kam eine Ablehnung der Voraussetzungen des § 213 1. Alternative StGB wegen fehlender Schuldlosigkeit des Totschlägers (vgl. BGH NStZ 1996, 33; 1998, 191, 192) nicht in Betracht. Auch der Umstand, daß der Angeklagte zunächst berechtigt Notwehr ausgeübt hatte, hindert nicht die Anwendung des § 213 1. Alternative StGB; unmittelbar anschließend hat er das Opfer, ersichtlich nicht nur aus fortwirkender Angst, sondern, wie die Heftigkeit seines Vorgehens belegt, auch aus spontanem Zorn über dessen Angriff, totgeschlagen (vgl. BGH, Beschluß vom 9. Oktober 1998 - 2 StR 442/98 -).

Damit lagen die Voraussetzungen des § 213 1. Alternative StGB entgegen der tatrichterlichen Wertung aufgrund der getroffenen Feststellungen eindeutig vor.

(2) Folglich benötigte das Schwurgericht den gegebenen vertypten Strafmilderungsgrund des § 21 StGB nicht zur Annahme eines "sonst" minder schweren Falles gemäß § 213 2. Alternative StGB. Es war danach nicht durch § 50 StGB an einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gehindert. Es lag auch sonst kein Grund vor, dem Angeklagten eine solche Strafrahmenverschiebung hier zu versagen. Für einen engen Zusammenhang zwischen Provokationsreaktion und § 21 StGB, der dem hätte widerstreiten können (vgl. BGH NStZ 1986, 71), ist nichts ersichtlich.

c) Der Senat schließt aus, daß das Schwurgericht bei in beiderlei Hinsicht zutreffender rechtlicher Würdigung aus demselben Strafrahmen zu einer anderen konkreten Strafe gelangt wäre. Sonstige durchgreifende Rechtsfehler in der konkreten Strafzumessung liegen nicht vor. Sofern das Schwurgericht bei der strafschärfenden Berücksichtigung, daß der Angeklagte "mit mehrfacher ungebremster Brutalität" auf den Hinterkopf des Opfers eingeschlagen habe, nicht bedacht haben sollte, daß die Handlungsintensität auch durch die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bedingt war und damit nur eingeschränkt strafschärfend berücksichtigt werden durfte (vgl. BGHR StGB § 21 - Strafzumessung 11 und 18 m.w.N.), ist auszuschließen, daß sich dies auf die Bemessung der bei dem gegebenen Tatbild sehr milden Strafe ausgewirkt hat.

Externe Fundstellen: NStZ 2001, 477

Bearbeiter: Karsten Gaede