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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 575/00, Beschluss v. 09.01.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 575/00 - Beschluß v. 9. Januar 2001 (LG Bremen)

Vergewaltigung

§ 177 Abs. 2 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 8. Juni 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Angeklagte hat die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

1. Der Schuldspruch hält sachlichrechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere hat das Landgericht hinreichend klar festgestellt, daß der Angeklagte durch Auseinanderreißen der Beine der Nebenklägerin zur Durchsetzung des Beischlafs bewußt Gewalt einsetzte, wenngleich "vergleichsweise nur auf eher geringem Niveau" (UA S. 28). Der Tatrichter hat bei seiner vollständigen Beweiswürdigung den Umstand, daß die Nebenklägerin sich teilweise selbst entkleidet hatte, und die Besonderheit, daß sie erst in der Hauptverhandlung, der entsprechenden Einlassung des Angeklagten folgend, die anfängliche Vornahme des Oralverkehrs an ihm mitgeteilt hat, berücksichtigt und in einer aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Weise bewertet.

2. Ohne daß dies den Schuldspruch in Frage stellt, belegen indes - namentlich aufgrund jener Besonderheit - die Feststellungen des Tatrichters nicht hinreichend, daß der Angeklagte bereits den Oralverkehr durch bewußten Einsatz eines Nötigungsmittels im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB erzwungen hat. Damit ist dem Angeklagten ein zu weit gehender Schuldumfang angelastet worden.

a) Trotz geringer Konkretisierung in diesem Zusammenhang (vgl. UA S. 8, 12, 15, 24, 26) ist zwar noch hinreichend deutlich festgestellt, daß die Nebenklägerin auch diese Sexualpraktik aus ihrer Sicht widerwillig und letztlich aus Angst vor Gewalttätigkeiten des Angeklagten vornahm, die sie in der Tatsituation aufgrund seines Drängens insbesondere vor dem Hintergrund früherer Erlebnisse gewaltsamer Übergriffe eines anderen Partners empfand. Daß der Angeklagte bereits hierbei billigend in Kauf genommen hätte, daß die Nebenklägerin mit sexuellen Handlungen nicht einverstanden war und nur aus Angst vor möglichen Gewalttätigkeiten nachgab, wird hingegen - auch durch die Gesamtschau der tatrichterlichen Feststellungen - nicht ausreichend belegt. Bei seiner abweichenden Sicht des Vortatgeschehens mußte dem Angeklagten dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht zweifelsfrei klar sein; eindeutig belegt ist dies erst durch die spätere deutlich abwehrende Reaktion der Nebenklägerin auf als schmerzhaft empfundene Manipulationen und durch ihr letztlich gewaltsam gebrochenes Sträuben gegen den Beischlaf.

b) Daher durfte der Tatrichter nicht strafschärfend berücksichtigen, daß der Angeklagte den Regelfall des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB in mehrfacher Hinsicht erfüllt hat, insbesondere auch durch Erzwingung des Oralverkehrs (UA S. 28). Dies entzieht dem Strafausspruch die Grundlage.

3. Da nach Ausschöpfung der Beweismittel insoweit auch keine weitergehenden tragfähigen Feststellungen eines neuen Tatrichters zu erwarten sind, ist der Strafausspruch wegen einer Fehlbewertung der bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen aufzuheben, die ihrerseits keiner Aufhebung bedürfen. Der neue Tatrichter hat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen, die allenfalls - nicht notwendig - durch neue nicht widersprechende Feststellungen ergänzbar sind, Strafrahmenwahl und Strafzumessung neu vorzunehmen.

Bei der Strafrahmenwahl wird zu beachten sein, daß der bisherige Begründungsaufwand angesichts der Besonderheiten des Falles allzu knapp erscheint. Das Landgericht hat bereits die Unbestraftheit des Angeklagten, seine verständliche Fehlinterpretation der Einstellung der Nebenklägerin zu ihm (vgl. UA S. 27 f.) und ein eher geringes Maß an Gewalt strafmildernd bewertet. Daneben darf der Umstand nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Angeklagte von einer weiteren gewaltsamen Durchsetzung seiner sexuellen Ziele, die ihm ersichtlich möglich gewesen wäre, letztlich alsbald freiwillig Abstand genommen hat, als die Nebenklägerin sich stärker wehrte und laut protestierte. Bei dieser Sachlage erscheint trotz Erfüllung eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 StGB jedenfalls die Anwendung des Normalstrafrahmens (§ 177 Abs. 1 StGB) nicht ausgeschlossen, wenn nicht sogar die Annahme eines minder schweren Falles (§ 177 Abs. 5 StGB).

Bearbeiter: Karsten Gaede