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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 551/00, Beschluss v. 14.12.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 551/00 - Beschluß v. 14. Dezember 2000 (LG Görlitz)

Sexueller Mißbrauch von Kindern; Sexueller Mißbrauch eines Schutzbefohlenen; Verjährung; Strafzumessung

§ 174 StGB; § 176 StGB; § 148 StGB-DDR; Art. 315a EGStGB; § 46 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 13. Juli 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes gemäß § 148 Abs. 1 StGB-DDR (Taten zum Nachteil von D) in mehr als 134 Fällen verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren im übrigen (52 weitere Fälle) - auf Kosten der Staatskasse, die auch die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt - eingestellt;

b) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Schutzbefohlenen (Taten zum Nachteil von Di) in mehr als 240 Fällen verurteilt worden ist; auch insoweit wird der Angeklagte im übrigen (54 weitere Fälle) - auf Kosten der Staatskasse, die auch seine hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt - freigesprochen;

c) im gesamten Strafausspruch.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Angeklagte hat den Nebenklägern die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen im Umfang der verbleibenden Schuldsprüche zu tragen.

3. Zu neuer Verhandlung und Entscheidung zum Strafausspruch, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, wird die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im übrigen - wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach § 148 Abs. 1 StGB-DDR in 186 Fällen (von Oktober 1982 bis April 1986 wöchentlich begangene Taten zum Nachteil von D) und wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Schutzbefohlenen in 294 Fällen (je dreimal an insgesamt 98 Wochenenden von Anfang 1992 bis April 1996 begangene Taten zum Nachteil von Di) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Verfahrenseinstellung in den 52 ersten Fällen der ersten Serie wegen Verjährung, zum weitergehenden Teilfreispruch auch wegen der abgeurteilten ersten 54 Fälle der zweiten Serie und zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet.

1. Grundsätzlich nimmt der Senat die Feststellung der Anzahl der einzelnen Taten, die in Fällen von Serientaten der hier vorliegenden Art methodisch unbedenklich ist (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 6 und 7), im Ergebnis - bis auf eine teilweise eingetretene Verjährung der ersten Tatserie (unten 2) und auf einen Fehler des Tatrichters bei der Bestimmung des Beginns der zweiten Tatserie (unten 3) - hin. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, liegt ein offensichtliches Fassungsversehen vor, soweit das Landgericht beim Beleg der Einzelfälle zum Nachteil von D auf UA S. 26 ein Jahr unerwähnt gelassen hat; jener Geschädigte war auch ein Jahr jünger, als auf UA S. 10 offensichtlich versehentlich angegeben worden ist.

2. Die bis Ende September 1983 begangenen Fälle der ersten Tatserie sind vor Inkrafttreten des 2. Verjährungsgesetzes am 30. September 1993 absolut verjährt (vgl. BGHR EGStGB Art. 315a - Verjährungsfrist 2). Wegen dieser ersten 52 Fälle zum Nachteil von D ist das Verfahren einzustellen. Dies entzieht der für die erste Tatserie - prinzipiell zutreffend (vgl. BGHR StGB § 2 Abs. 3 - DDR-StGB 12 und 13) - verhängten Hauptstrafe die Grundlage.

3. Die Tatserie zum Nachteil von Di begann nicht, wie das Landgericht bei der Berechnung der Tatfrequenz angenommen hat (UA S. 30 ff.), sogleich mit Beginn des Jahres 1992; zu jener Zeit setzten erst die regelmäßigen Besuche des Kindes beim Angeklagten ein, die Sexualhandlungen begannen hingegen erst nach Aufbau eines "Vertrauensverhältnisses" zu dem Jungen (vgl. UA S. 13, 17 f., 29, 41).

Der Senat geht davon aus, daß der Tatrichter, wenn er dies bedacht hätte, auf der Basis seiner sonst aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Erwägungen zur Tatfrequenz einen Tatbeginn vor Mitte 1992 nicht hätte feststellen können. Zur hieraus folgenden Durchentscheidung auf Teilfreispruch gelangt der Senat namentlich mit Rücksicht auf Anliegen des Opferschutzes, die in Fällen dieser Art - zumal noch nach der hier bereits eingetretenen Verfahrensverzögerung - einer wiederholten Aufklärung der für die Schuldbemessung ohnehin eher nachrangigen Frage der Tatfrequenz widerstreiten (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 - Mindestfestellungen 7 m. w. N.).

Die Feststellung von jeweils drei Tatbegehungen an 18 Wochenenden in der ersten Jahreshälfte 1992 ist mithin nicht hinreichend fundiert, so daß auch hierauf - betreffend die ersten 54 abgeurteilten Taten zum Nachteil von Di - der Teilfreispruch zu erstrecken ist.

4. Dem Gesamtstrafausspruch ist danach die Grundlage entzogen. Der Senat hebt auch die verbleibenden Einzelstrafen (jeweils acht Monate Freiheitsstrafe für noch 24 Taten, jeweils ein Jahr für weitere 216 Taten) auf, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu umfassender neuer Straffestsetzung zu geben.

Den Rechtsfolgenausspruch etwa teilweise aufrechtzuerhalten, verbietet sich - vor dem Hintergrund gewichtiger Milderungsgründe (insbesondere Zeitablauf, Krankheit des Angeklagten, selbst begonnene Therapierung der Pädophilie, verhältnismäßig geringe Intensität der gänzlich gewaltfreien Einzeltaten, letztlich jeweils freiwilliger Abbruch der Serien) - namentlich auch im Blick auf zwei bedenkliche Wertungen des Tatrichters: Weitgehend hat er zunächst psychische Schäden der Opfer, insbesondere bei Di , als möglicherweise allein durch die soziale Schädigung im Elternhaus und durch die Heimunterbringungen eingetretene Folgen gewertet (UA S. 17, 21, 37 f.); konsequent sind sie dem Angeklagten dann aber gar nicht, nicht nur "nicht im Übermaß" (UA S. 44), anzulasten. Die Annahme, der Angeklagte habe dem D nach Beendigung der Tatserie erhebliche materielle Zuwendungen (UA S. 17, 28) auch in der Absicht zukommen lassen, sich seines Schweigens zu versichern (UA S. 45), erweist sich hier letztlich als nicht hinreichend fundierte negative Vermutung.

Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nach Aufhebung des gesamten Strafausspruchs im wesentlichen als Konsequenz einer Durchentscheidung auf Teileinstellung und Teilfreispruch nicht. Der neue Tatrichter wird - unter Vermeidung der genannten Wertungsfehler - die Hauptstrafe für die erste Serie, die Einzelstrafen für die zweite Serie und die Gesamtstrafe auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen - einschließlich insbesondere auch derjenigen zum Ausschluß der Voraussetzungen des § 21 StGB - neu zu bestimmen haben. Jene bisherigen Feststellungen sind allenfalls - nicht notwendig - durch neue, nicht widersprüchliche Feststellungen ergänzbar.

Bearbeiter: Karsten Gaede