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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 495/00, Urteil v. 05.04.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 495/00 - Urteil v. 5. April 2001 (LG Zwickau)

Lebenslange Freiheitsstrafe; Besondere Schwere der Schuld; Verfahrensrügen anhand von Fehlern der Verteidigung; Tatrichterliche Beweiswürdigung; Überzeugungsbildung; Aufklärungspflicht; Aufklärungsrüge; Anhörung eines weiteren (psychiatrischen oder psychologischen) Sachverständigen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten; Steuerungsfähigkeit; Zweifelsgrundsatz

§ 211 StGB; §§ 57a StGB; § 57b StGB; § 337 StPO; § 137 StPO; § 261 StPO; § 244 Abs. 2 StPO; § 244 Abs. 3 StPO; § 20 StGB; § 21 StGB; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Gerichte müssen sich abgesehen von einem etwaigen Extremfall eine inhaltliche Kontrolle der Führung einer Strafverteidigung grundsätzlich versagen (vgl. dazu nur BGHSt 39, 310, 314).

2. Soweit Aufklärungsrügen an einer ausführlichen Auswertung des Akteninhalts aufgrund veränderter Verteidigungstaktik orientiert sind, unterliegen sie von vornherein Vorbehalten.

3. Hinsichtlich der Einholung von Sachverständigengutachten muß nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO durch eine Benennung von Wertungen oder Umschreibung von Beweisthemenkreisen nicht erfüllte präzise Bezeichnung der Tatsachen erfolgen, die mit der vermißten Beweiserhebung hätten bewiesen werden sollen (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 - Aufklärungsrüge 1, 4, 6, 9).

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 30. Mai 2000 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Schwurgericht hat gegen den Angeklagten wegen Totschlags zum Nachteil seiner Ehefrau 13 Jahre Freiheitsstrafe, wegen Mordes (zur Ermöglichung dieses Totschlags) zum Nachteil ihres Geliebten lebenslange Freiheitsstrafe verhängt und den Angeklagten, ohne besondere Schwere der Schuld (§§ 57a, 57b StGB) festzustellen, zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil hat keinen Erfolg.

I.

Das Schwurgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Hintergrund der Taten war ein Beziehungskonflikt zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau im Vorfeld einer in Aussicht genommenen Ehescheidung. Die Frau war etwa ein halbes Jahr zuvor aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Sie hatte eine intime Beziehung zu einem wesentlich jüngeren Ausländer begonnen. Der Angeklagte mißbilligte dies, wenngleich er seinerseits seit Jahren ein ehewidriges Verhältnis hatte. Wiederholt mißhandelte er seine Frau erheblich; er drohte ihr auch an, sie zu töten.

Spätestens am Tattag, dem 3. Oktober 1999, faßte der Angeklagte den festen Entschluß, seine Ehefrau zu töten. Als Tatwaffe benutzte er eine Dienstpistole seiner Freundin, die Beamtin beim Bundesgrenzschutz war. Nach einem Streit mit ihr hatte er die Waffe nebst Munition an sich genommen. Er fuhr damit zur Wohnung der Ehefrau, die er nicht antraf. Daraufhin lauerte er ihr bewaffnet zwei Stunden lang auf der Straße vor dem Haus auf. Als sie - für ihn überraschend gemeinsam mit ihrem Geliebten - eintraf und dieser sich beschützend vor die Frau stellte, entwickelte sich ein Handgemenge zwischen den Männern, in dessen Verlauf der Angeklagte den Geliebten seiner Frau zu Boden brachte. Sodann erschoß er den am Boden Liegenden mit fünf Schüssen, um ihn als Beschützer seiner Ehefrau auszuschalten. Anschließend setzte er der flüchtenden Frau nach; er gab von hinten zwei Schüsse auf sie ab, wodurch er auch sie tötete. Darauf entfernte er sich mit seinem Fahrzeug, in dem er am folgenden Tag in der Situation eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuchs aufgefunden wurde, den das Schwurgericht als nicht ernstgemeint bewertet hat.

II.

Die Verfahrensrügen versagen. Das angefochtene Urteil hält auch sachlichrechtlicher Prüfung stand.

1. Die Revision verfolgt den Ansatz, angebliche Verteidigungsfehler der in der Hauptverhandlung tätigen Verteidiger - nämlich eines Pflichtverteidigers, dessen Beiordnung dem eigenen Wunsch des Angeklagten entsprochen hatte, und eines weiteren gewählten Verteidigers - zur Grundlage inhaltsbezogener Revisionsrügen zu machen. Dieser Ansatz begegnet grundlegenden Bedenken.

Die Gerichte müssen sich eine inhaltliche Kontrolle der Führung einer Strafverteidigung grundsätzlich versagen (vgl. dazu nur BGHSt 39, 310, 314; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers 6. Aufl. Rdn. 29; jeweils m.w.N.), abgesehen von einem etwaigen Extremfall, wie er hier offensichtlich nicht vorgelegen hat, geschweige denn gegenüber dem Landgericht hinreichend belegt worden ist. Mit zutreffenden Erwägungen hat der Schwurgerichtsvorsitzende nach einem vorübergehenden offengelegten Konflikt des Angeklagten mit seinen Verteidigern, als er auch seinem Wahlverteidiger zeitweilig das Mandat entzogen hatte, die beantragte Abberufung des Pflichtverteidigers abgelehnt.

2. Soweit die Aufklärungsrügen an einer ausführlichen Auswertung des Akteninhalts aufgrund veränderter Verteidigungstaktik orientiert sind, unterliegen sie demnach von vornherein Vorbehalten. Sämtliche Aufklärungsrügen haben aber auch ganz unabhängig davon keinen Erfolg. Im einzelnen gilt hierzu, zu den erhobenen Rügen verfahrensrechtlicher Verstöße gegen § 261 StPO und zu den mit den Rügen zusammenhängenden sachlichrechtlichen Einwänden der Revision, insbesondere gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung, folgendes:

a) Es ist offen, ob der Umstand, daß der Angeklagte kurz vor der Tat nach längerer Vorbereitung mit anwaltlicher Hilfe selbst einen Scheidungsantrag hatte stellen lassen, entgegen dem Revisionsvorbringen doch in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Der Angeklagte hat sich zur Sache eingelassen und kann dies, zumal auf Vorhalt, bestätigt haben. Dieser Umstand mußte im übrigen weder für den Fall seiner Einführung in die Hauptverhandlung unbedingt im Urteil erörtert noch andernfalls unerläßlich aufgeklärt werden. Jene Feststellung erscheint für die Bewertung der Tat und des Beziehungskonflikts, auf dem sie beruhte, nicht besonders wesentlich. Im Urteil ist zudem festgestellt, dem Angeklagten sei vor der Tat bewußt geworden, daß er eine Scheidung nicht werde verhindern können (UA S. 8, 13).

Bei der sonstigen Beweislage zum Vortatgeschehen, die davon geprägt ist, daß aus mehreren Beweisquellen Erkenntnisse über Mißhandlungen der Ehefrau durch den Angeklagten und über Tötungsdrohungen vorlagen, mußte sich das Schwurgericht nicht gedrängt sehen, frühere eigene Darstellungen des Angeklagten zu seiner Sicht des Beziehungskonflikts ohne entsprechenden Antrag zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Ob der Vortrag zu der in diesem Zusammenhang erhobenen Aufklärungsrüge ohne den gleichzeitigen Vortrag der gegen den Angeklagten damals aktenkundigen Belastungsindizien, insbesondere der seiner Vernehmung vom 16. Juni 1999 unmittelbar vorangegangenen, ihm darin vorgehaltenen Angaben seiner später getöteten Ehefrau, überhaupt vollständig ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), bedarf danach keiner abschließenden Beurteilung. Es läßt sich zudem nicht einmal ausschließen, daß die früheren Angaben des Angeklagten, deren Verwertung die Revision vermißt, nach Vorhalt durch seine Einlassung in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Eine nähere Erörterung in den Urteilsgründen wäre im Blick auf die sonstige Beweislage nicht unerläßlich gewesen.

b) Zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten, insbesondere im Blick auf eine etwaige tiefgreifende Bewußtseinsstörung, sind die Erkenntnisse des psychologischen Ergänzungsgutachtens naheliegend in zulässiger und ausreichender Weise durch die Vernehmung des psychiatrischen Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt worden (vgl. BGHSt 22, 268; BGH NStZ 1997, 610); ein näherer Beleg hierfür war weder im Urteil noch sonst geboten. Das Schwurgericht hat Zweifel an der Sachkunde des psychiatrischen Sachverständigen rechtsfehlerfrei verneint; die Sachkunde war bei der gegebenen Sachlage auch im Blick auf erforderliche psychologische Erfahrungen nicht näher zu belegen. Etwaige wesentliche Ungereimtheiten zwischen dem vorbereitenden psychologischen Ergänzungsgutachten und der abschließenden Beurteilung durch den psychiatrischen Sachverständigen sind zudem nicht ersichtlich. Das Schwurgericht war nach alldem nicht zur Anhörung eines weiteren (psychiatrischen oder psychologischen) Sachverständigen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten verpflichtet (vgl. auch BGHSt 34, 355).

In der Sache hat das Schwurgericht eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung im Sinne einer starken affektiven Belastung verneint. Die verhältnismäßig knapp unter maßgeblicher Berücksichtigung des Tatablaufs erfolgte Begründung erweist sich, zumal vor dem Hintergrund vorangegangener Tötungsdrohungen und unter Berücksichtigung des festgestellten unmittelbaren Vor- und Nachtatgeschehens, mindestens als vertretbar und ist damit sachlichrechtlich unbedenklich. Daß bei dem Angeklagten infolge der lange andauernden Beziehungskrise eine beträchtliche psychische Dauerbelastung vorhanden war, ohne daß' damit bereits die Schwelle des § 21 StGB erreicht war, hat das Schwurgericht ersichtlich nicht übersehen.

Hinsichtlich der Einholung von Sachverständigengutachten zur Tauglichkeit des Selbsttötungsversuchs des Angeklagten fehlt es schon an der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unerläßlichen, durch Benennung von Wertungen oder Umschreibung von Beweisthemenkreisen nicht erfüllten präzisen Bezeichnung der Tatsachen, die mit der vermißten Beweiserhebung hätten bewiesen werden sollen (vgl, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 - Aufklärungsrüge 1, 4, 6, 9). Sachlichrechtlich ist das Schwurgericht aufgrund einer Mehrzahl aussagekräftiger, auch ausreichend festgestellter und im Urteil beschriebener Indizien (UA S. 38 ff.) mit mindestens vertretbarer Beweiswürdigung zur Annahme eines lediglich demonstrativen Selbsttötungsversuchs gelangt. Vor dem Hintergrund jener Indizien ist im übrigen nicht ersichtlich, daß das Schwurgericht sich hätte gedrängt sehen müssen, über die Tauglichkeit der Abgaseinleitung zur Selbsttötung bzw. zur Vorstellung des Angeklagten hierzu Sachverständigenbeweis zu erheben. Es liegt nicht fern, daß sogar ein entsprechender Beweisantrag wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit hätte abgelehnt werden können. Ganz abgesehen davon hätte angesichts der Vorgeschichte und der Begleitumstände der Tat eine abweichende Beurteilung der Frage der Schuldfähigkeit nicht einmal besonders nahe gelegen, wenn das Schwurgericht zur Feststellung eines nicht sehr konsequent verfolgten, aber letztlich doch ernstgemeinten Selbsttötungsversuchs gelangt wäre.

c) Das Schwurgericht hat den Umstand, daß der getötete Geliebte der Ehefrau des Angeklagten schon bei früherer Gelegenheit als deren Beschützer aufgetreten war, maßgeblich auf Beobachtungen zweier Zeugen gestützt. Daß der später Getötete jenen Vorgang selbst bei einer Zeugenvernehmung nicht so dargestellt hatte, zog diese Erkenntnis nicht notwendig in Zweifel. Da ein Erinnerungs- oder Darstellungsmangel bei jener Vernehmung auf der Hand liegt, war das Schwurgericht insoweit auch nicht zu näheren Erörterungen verpflichtet. Die Formulierung der Beweiswürdigung in diesem Zusammenhang (UA S. 23) kann nur bei oberflächlicher Betrachtung als Kreisschluß mißverstanden werden.

Der Senat entnimmt dem angefochtenen Urteil, daß sich das Schwurgericht von einem Versuch des getöteten Geliebten, den Angeklagten von einem tätlichen Angriff auf seine Ehefrau abzuhalten, sicher überzeugt hat. Die Beweiswürdigung ist insoweit rechtsfehlerfrei auf Rückschlüsse aus Spuren am Tatort und an der Person des Angeklagten, aus Obduktionsergebnissen und aus Zeugenwahrnehmungen zum Tatablauf gestützt. Das Schwurgericht hat zusätzlich darauf abgestellt, daß der Angeklagte nach seiner insoweit unwiderlegten Einlassung nicht mit einer Begleitung seiner Ehefrau durch ihren Geliebten gerechnet hatte.

Hierin liegt letztlich kein Verstoß gegen den Zweifelsgrundsatz, auf dem der Schuldspruch gegen den Angeklagten wegen Mordes beruhen würde. Das Schwurgericht war nicht etwa gehalten, zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, er habe - wie sich aus den sonst rechtsfehlerfrei ausgewerteten Begleitumständen ergab, in Tötungsabsicht - nicht nur seiner Frau, sondern auch deren Geliebtem aufgelauert. Selbst diese Variante würde angesichts der zunächst erfolgten Tötung des Geliebten nach vorangegangenem Handgemenge das mindestens begleitende Tötungsmotiv, ihn - auch - als Beschützer der Ehefrau auszuschalten, nicht einmal unbedingt in Frage stellen. Insbesondere wäre die Tat bei dieser Variante als Tötung aus Vernichtungswillen wegen Verachtung der von den Getöteten aufgenommenen Beziehung zu bewerten gewesen. Dies hätte ungeachtet der psychischen Belastung des Angeklagten den Schluß auf niedrige Beweggründe nahegelegt, und zwar möglicherweise nicht einmal nur die Tötung des Geliebten betreffend, sondern auch die der Ehefrau; mindestens hätte dies aber die Anwendung des § 212 Abs. 2 StGB veranlaßt. Eine solche Tatkonstellation mußte das Schwurgericht nicht zugunsten des Angeklagten unterstellen. Auch nähere Erörterungen in diesem Zusammenhang waren daher letztlich entbehrlich.

3. Danach hat der Angeklagte mit der festgestellten Tötung des Geliebten der Ehefrau, um ihn zunächst als deren Beschützer auszuschalten, das Mordmerkmal der Tötung, um eine andere Straftat - die Tötung der Ehefrau - zu ermöglichen, verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1979 - 3 StR 427/79 -; insoweit in NJW 1980, 792 nicht abgedruckt; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 211 Rdn. 27).

Bearbeiter: Karsten Gaede