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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 110/99, Beschluss v. 11.05.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 110/99 - Beschluß v. 11. Mai 1999 (LG Magdeburg)

Untreue; GmbH-Geschäftsführer; Vermögensschaden und Vermögensgefährdung bei einer GmbH;

§ 263 StGB; § 266 StGB; § 35 GmbHG;

Leitsätze des Bearbeiters

1. Einzelfall eines wegen überschätzter Vermögensgefährdung überhöhten Strafmaßes (Urteil gegen GmbH-Geschäftsführer).

2. Bei der Ermittlung des Vermögensschadens, der einer GmbH durch einseitige Belastung mit Verbindlichkeiten entsteht, kann nicht allein auf deren Nominalwert abgestellt werden, sondern muß der wirtschaftliche Wert der Forderungen gegen die GmbH insbesondere im Fall ihrer Überschuldung und fehlender Aussicht auf Gesundung beachtet werden. Bei der Untreue durch Belastung mit Verbindlichkeiten bzw. einer konkreten Gefahr der Begründung solcher Verbindlichkeiten kann ein Vermögensnachteil nur in Höhe des Betrages angenommen werden, in dem die GmbH noch über unbelastetes Vermögen verfügt.

3. Bei der Bemessung des Vermögensnachteils zuungunsten der GmbH ist deren beschränkte Haftung zu beachten.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 17. November 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er - mit konkreten "Einwendungen gegen die Bestimmung des Schuldumfangs und damit gegen den Strafausspruch" - die generell erhobene Rüge der Verletzung sachlichen Rechts näher begründet, führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.

1. Die Revision beanstandet zu Recht, daß das Landgericht der Zumessung der Strafe wegen Untreue einen überhöhten Schuldumfang zugrunde gelegt hat.

a) Nach den Feststellungen war der Angeklagte alleiniger Geschäftsführer einer im November 1990 gegründeten GmbH, die nach anfänglich erfolgreicher Geschäftstätigkeit ab Mitte 1993 in finanzielle Schwierigkeiten geriet, aus denen bis zum Frühjahr 1994, als die Banken die für die Fortführung des Unternehmens erforderliche Erweiterung ihres Kreditengagements ablehnten, sichtbar ernsthafte Liquiditätsprobleme erwuchsen. In dieser Situation ging dem Angeklagten über die Vermittlung Dritter ein Angebot des gesondert Verfolgten M. zu, der sich bereit erklärte, für die GmbH "Finanzierungen und Liquiditätszuflüsse zu organisieren."

Dem Angeklagten wurde eine mögliche Rendite von 8 % im Monat in Aussicht gestellt, wenn er "Eigentümergrundschuldbriefe über möglichst hohe Beträge beschaffen könne". Dem Geschäft sollte der sogenannte freie Wert, d.h. die Differenz zwischen dem Verkehrswert des Grundstücks und der bereits bestehenden Belastung, zugrunde gelegt werden. Über diesen Wert solle der Anleger ein abstraktes Anerkenntnis geben und sodann eine Eigentümergrundschuld in entsprechender Höhe bestellen. Die Eigentümergrundschuldbriefe würden dann zusammen mit weiteren in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 500 Mio. DM von den anonym bleibenden Geschäftspartnern bei einer Bank deponiert. Mit dem Anerkenntnis und der Depotbescheinigung sollte dann ein Handel stattfinden." In den folgenden Verhandlungen wurde dem Angeklagten mitgeteilt, daß der durch Gutachten zu belegende Verkehrswert der Grundstücke "allerdings entsprechend hoch sein müsse", was indes durch einen bestimmten Sachverständigen, "den man an der Hand habe", sichergestellt sei.

Im weiteren wurden zwei Grundstücke, die im Eigentum der GmbH standen, von einem - ebenfalls gesondert verfolgten - Sachverständigen bewertet. Dieser stellte für das Grundstück in D. einen Wert von mehr als 97,6 Mio. DM fest (realistischer Wert: ca 1,1 Mio. DM; Belastung: 450 TDM) für das Grundstück in H. einen solchen von mehr als 6,6 Mio. DM (realistischer Wert: 300 TDM, Belastung: 200 TDM). Über den Betrag der freien Werte (97.224.701 DM und 6.428.348, DM), die er als fiktiv erkannte, unterzeichnete der Angeklagte sodann unter bewußter Überschreitung seiner Kompetenzen als Vertreter der GmbH zwei notarielle Urkunden, in denen sich diese unter der Überschrift "II abstraktes Schuldanerkenntnis mit Unterwerfungsklausel und Vollmacht" unter anderem "gegenüber dem vorweisenden Inhaber dieses Originaldokuments" zur Zahlung verpflichtete und der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen unterwarf. Am 7. Dezember 1994 beauftragte der Angeklagte den Notar, die Anerkenntnisse an ein von M. zu benennendes Finanzinstitut zu versenden, was der Notar "weisungsgemäß veranlaßte. Entsprechend einer von dem Angeklagten am 6. Dezember 994 unterzeichneten Zusatzerklärung wurden die Anerkenntnisse in ein Bankdepot, über das nur M. jederzeit verfügen konnte, gelegt."

Der Angeklagte "wußte, daß er mit Abgabe der Anerkenntnisse eine selbständige Verpflichtung schaffte, für die es keinen Rechtsgrund gab, und daß mit Freigabe der Anerkenntnisse jederzeit die Gefahr einer Inanspruchnahme aus den Urkunden in Höhe von zusammen DM 103.653.049,00 bestand. "In der Erkenntnis, daß die in Aussicht gestellte Rendite von 8 %, die er von vornherein nicht für wahrscheinlich gehalten hatte, nicht erzielbar sein würde, und aus verstärkter Furcht vor Verlusten entschied er sich später - abweichend von seinen ursprünglichen Vorstellungen - dazu, nur bezüglich des Grundstücks in D. "zur Absicherung des für die GmbH abgegebenen Schuldanerkenntnisses eine Eigentümergrundschuld zu bestellen." Nach Eintragung der Grundschuld und Errichtung des Grundschuldbriefs übersandte das Grundbuchamt diesen auf Antrag des Angeklagten an einen Notar, der ihn entsprechend den Weisungen des M. weiterleitete.

Im Oktober 1995 wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet; der Angeklagte war bereits im August 1995 als Geschäftsführer abberufen worden. Ob die GmbH aus den vom Angeklagten abgegebenen Schuldanerkenntnissen in Anspruch genommen wurde, teilen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht mit.

b) Bei dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte schon durch die Unterzeichnung der vom Landgericht rechtlich als abstrakte Schuldanerkenntnisse gewerteten notariellen Erklärungen, bei denen es sich um Schuldverschreibungen auf den Inhaber gemäß § 793 BGB handeln wird, einer Untreue zum Nachteil der GmbH schuldig gemacht. Insoweit sind der Schuldspruch und - in ihrem Ergebnis - die zugrundeliegende rechtliche Würdigung nicht zu beanstanden. Mit der Unterzeichnung der Urkunden hat der Angeklagte die ihm kraft Gesetzes (§ 35 GmbHG) eingeräumte Befugnis, die GmbH zu verpflichten, mißbraucht und dieser dadurch Nachteil zugefügt. Einen Vermögensnachteil in Form einer schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung hat die GmbH schon im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Erklärungen dadurch erlitten, daß ihr die jederzeitige Inanspruchnahme aus den Urkunden durch den berechtigten Inhaber drohte, ohne daß ihr zum Ausgleich dieser Belastung ihres Vermögens eine entsprechende Gegenleistung zugeflossen wäre oder sie jedenfalls eine realistische Aussicht auf eine Gegenleistung erworben hätte. Für die Prüfung, ob der Angeklagte der GmbH durch die Übernahme von Verpflichtungen einen die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals erfüllenden Vermögensnachteil zugefügt hat, ist es ohne Belang, ob und in welchem Maße die GmbH zur Tatzeit bereits überschuldet war. Jedenfalls mit Blick auf die nicht belasteten Grundstückswerte ist dem Vermögen der GmbH durch die abgeurteilten Handlungen des Angeklagten ein tatbestandsmäßiger Nachteil entstanden.

c) Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat strafschärfend "insbesondere die bei DM 103.653.049 nicht unbeträchtlich hohe Schadensgefährdung" berücksichtigt. Mit der Orientierung des Schuldumfangs an diesem - der Summe der "Schuldanerkenntnisse" entsprechenden - Betrag wird die Strafzumessung indes dem tatsächlichen Ausmaß der Vermögensgefährdung nicht gerecht.

Bei der Ermittlung des Umfangs des Vermögensschadens, der einer GmbH durch einseitige Belastung mit Verbindlichkeiten entsteht, kann nicht allein auf deren Nominalwert abgestellt werden, mit der Folge, daß der Schadensumfang mit zunehmendem Gesamt(nominal)betrag der Verbindlichkeiten unbeschränkt zunimmt. Ebenso wie der Wert der Forderungen gegen eine GmbH für die wirtschaftliche Betrachtung abnimmt, wenn das Unternehmen überschuldet ist und keine Aussicht auf Gesundung besteht, kann umgekehrt auch bei der Bemessung des Vermögensnachteils die Beschränkung der Haftung der GmbH auf ihr Vermögen nicht außer Betracht bleiben. Dementsprechend kann in Fällen, in denen - wie hier - die Untreue nicht durch eine Verminderung des Aktivvermögens der GmbH begangen wird, die schädigende Handlung vielmehr in der Belastung mit Verbindlichkeiten (bzw. einer entsprechenden konkreten Gefahr der Begründung solcher Verbindlichkeiten) besteht, bei der Bestimmung des Schuldumfangs ein Vermögensnachteil nur in Höhe des Betrages angenommen werden, in dem die GmbH noch über unbelastetes Vermögen - einschließlich konkreter Erwerbsaussichten - verfügt. Damit ist der Vermögensnachteil hier jedenfalls begrenzt durch den tatsächlichen (freien) Wert der beiden Grundstücke, der sich zur Tatzeit auf 795.000 DM belief. Ob die vom Angeklagten abgegebenen Schuldanerkenntniserklärungen sich über einen Betrag von 10 Millionen oder 100 Millionen beliefen, ist für die Bewertung der Vermögenssituation des ohnehin überschuldeten Unternehmens ohne Belang und kein für die Strafzumessung relevanter Umstand.

2. Auch wenn danach nicht zu beanstanden ist, daß das Landgericht den Angeklagten der Untreue schuldig gesprochen hat, und lediglich die Strafzumessungserwägungen rechtlicher Überprüfung nicht standhalten, führt seine Revision doch zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Bei dem festgestellten Sachverhalt drängt sich die Prüfung auf, ob sich der Angeklagte tateinheitlich mit Untreue des gemeinschaftlichen (vollendeten oder versuchten) Betruges oder der Beihilfe dazu schuldig gemacht hat. Bei der nach den Feststellungen von M. beabsichtigten wirtschaftlichen Verwertung der Anerkenntniserklärungen und Grundschuldbriefe, sollten - wie immer im einzelnen man sich die geplanten Geschäfte vorzustellen hat, was das Urteil im Dunkeln läßt - den Geschäftspartnern durch die Vorlage der Grundschuldbriefe und Gutachten über fiktive Grundstückswerte tatsächlich nicht vorhandene Sicherheiten vorgetäuscht werden. Dem Angeklagten war - wie das Landgericht im Rahmen seiner Strafzumessungserwägungen ausführt - bewußt, "daß die erhofften Geldzahlungen einzig aus der vorsätzlichen Schädigung gutgläubiger Anleger stammen könnten". Mit der danach nahe liegenden Möglichkeit, daß der Angeklagte sich -mittäterschaftlich oder als Gehilfe - an (vollendeten oder versuchten) Betrugstaten M. s beteiligt hat, hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Das wird der neue Tatrichter nachzuholen haben. Bei der gebotenen Würdigung der Tat auch unter dem Gesichtspunkt des Betrugs könnte sich herausstellen, daß der betrügerisch bewirkte oder - im Falle versuchter Taten -vorgestellte Schaden in seinem Gesamtbetrag über den Vermögensnachteil hinausgeht, den der Angeklagte durch die von ihm begangene Untreue der GmbH zugefügt hat.

Externe Fundstellen: NStZ 1999, 557; StV 2000, 485

Bearbeiter: Karsten Gaede