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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 606/98, Beschluss v. 03.12.1998, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 606/98 - Beschluss vom 3. Dezember 1998 (LG Magdeburg)

Natürliche Handlungseinheit (Äußerlicher Anschein eines abgeschlossenen Geschehens; innerer Zusammenhang); Tat im Rechtssinne; Einheitlicher Tatentschluss; Keine Berücksichtigung von Einzelakten einer natürlichen Handlungseinheit bei der Strafzumessung (Vorleben; Vortaten); Berücksichtigung von "Vortaten" ohne frühere Verurteilung; Geständnis (Motivation; Verfahrensfördernde Wirkung); Indizwirkung der BAK; Eingeschliffenes Verhalten; Gesamtbewertung aller Faktoren für die Schuldfähigkeit

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 46 StGB; § 52 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein sowohl räumlich als auch zeitlich unmittelbar zusammenhängendes, dasselbe Tatopfer betreffendes Tatgeschehen kann eine natürliche Handlungseinheit und damit eine Tat im Rechtssinne auch dann darstellen, wenn während des Geschehens eine Zäsur eintritt, die objektiv den Eindruck erweckt, die Handlung sei abgeschlossen. Dafür ist ausschlaggebend, ob der Täter auch im weiteren Verlauf aus derselben Motivation heraus handelt, insbesondere keinen neuen Tatentschluß faßt.

2. Eine Neigung, Straftaten zu begehen, sowie die Kenntnis dieser Neigung kann der Strafzumessung grundsätzlich nicht zugrundegelegt werden, wenn der Täter bisher nicht bestraft ist.

3. Ein Geständnis des Angeklagten ist regelmäßig bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Anders kann es liegen, wenn das Geständnis in erster Linie auf der erdrückenden Beweislage beruht, ersichtlich aber nicht auf einem echten Reue- und Schuldgefühl (BGHSt 43, 195, 209). Kommt dem Geständnis lediglich keine wesentliche verfahrensfördernde Bedeutung zu, so genügt dies allein nicht, um dem Angeklagten die Berücksichtigung zu versagen. Auch bei der Bewertung der Motivation eines Geständnisses ist der Zweifelssatz zu beachten.

4. Eingeschliffenes Verhalten und schlichte Handlungsmuster (hier: Tritte gegen den Kopf des Opfers und Aufsuchen der Wohnung nach der Tat) sind nicht ohne weiteres geeignet sind, die Indizwirkung einer hohen BAK für zumindest verminderte Schuldfähigkeit zu entkräften (BGHSt 43, 66, 70).

5. Die Beurteilung der Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit des Täters zur Tatzeit aufgrund einer Alkoholbeeinflussung läßt sich nicht getrennt von der Prüfung der übrigen Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB aufgrund sonstiger psychiatrischer Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten vornehmen, sondern nur in einer Gesamtschau des Zusammenwirkens aller Faktoren (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 11).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 7. Juli 1998

a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der vorsätzlichen Körperverletzung und der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist,

b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und das Tatwerkzeug eingezogen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben, soweit das Landgericht ihn im Fall II.1 der Urteilsgründe der vorsätzlichen Körperverletzung und im Fall II.2 der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB a.F. § 227 StGB n.F.) für schuldig befunden hat. Dagegen beanstandet die Revision mit Erfolg, daß das Landgericht den Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe darüber hinaus auch wegen tatmehrheitlich begangener Körperverletzung (§ 223 StGB) verurteilt hat (Einzelfreiheitsstrafe sieben Monate).

Nach den zum Fall II.2 getroffenen Urteilsfeststellungen schlug der Angeklagte dem Geschädigten Mirko G. aus "Ärger ... und ... Eifersucht" zunächst zweimal mit der Faust kräftig ins Gesicht. Er wurde daraufhin zwar von seinem Freund gepackt, konnte sich aber aus dessen Festhaltegriff losreißen und trat, "immer noch wütend und eifersüchtig", G. "mit dem beschuhten Fuß ... mindestens zweimal in Richtung des Kopfes, um ihn noch weiter zu bestrafen" (UA 7). G. starb zehn Tage später an den Folgen des durch die Fußtritte verursachten offenen Schädelbruchs. Bei dieser Sachlage stellt sich das von einem einheitlichen Willen, nämlich G. "weiter zu bestrafen", getragene, dasselbe Tatopfer betreffende und sowohl räumlich als auch zeitlich unmittelbar zusammenhängende Tatgeschehen als natürliche Handlungseinheit und damit als eine Tat im Rechtssinne dar (vgl. BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit, Entschluß, einheitlicher 2, 3). Daran ändert entgegen der Auffassung des Landgerichts nichts, daß "der Geschädigte als auch seine Begleiter <nach den Faustschlägen> den Angriff als beendet an(sahen)" (UA 16). Entscheidend mußte das Landgericht hier vielmehr auf die Sicht des Angeklagten abstellen, der "weiter" gegen G. vorging, "weil ihm zur Bestrafung des Geschädigten die bereits ausgeführten Schläge nicht ausreichten" (UA 17), was im übrigen auch mit der Annahme des Landgerichts, in dem Angeklagten sei "ein neuer Tatentschluß (erwacht)", nicht ohne weiteres vereinbar ist.

Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb dahin, daß der Angeklagte im Fall II.2 der Urteilsgründe (nur) der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist, wodurch die (einfache) Körperverletzung verdrängt wird. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Für einen Teilfreispruch vom Vorwurf der Körperverletzung besteht kein Anlaß (Senatsurteil vom 24. September 1998 - 4 StR 272/98, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

2. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der im Fall II.2 der Urteilsgründe erkannten beiden Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im übrigen hält der Strafausspruch aus anderen Gründen insgesamt rechtlicher Prüfung nicht stand:

a) Der Senat kann die wegen Körperverletzung mit Todesfolge verhängte Strafe von acht Jahren Freiheitsstrafe nicht als nunmehr einzige Strafe im Fall II.2 bestehen lassen, weil die fehlerhafte Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses auch die Strafzumessungserwägungen beeinflußt hat. Das Landgericht hat hierbei dem Angeklagten nämlich angelastet, daß er sein Opfer "im Rahmen der vorangegangenen Auseinandersetzung" bereits durch mehrere Faustschläge mißhandelt hatte (UA 18). Damit hat es die rechtsirrtümliche Annahme einer in diesem Fall zuvor als selbständige Tat verwirklichten (einfachen) Körperverletzung strafschärfend gewertet, obwohl der Angeklagte bei zutreffender Beurteilung nur eine Tat begangen hat (s.o. 1.).

Zudem hat das Landgericht bei der Strafrahmenwahl zulasten des Angeklagten berücksichtigt, daß er "die Neigung hatte, unter Alkoholeinfluß Straftaten zu begehen, die in Ausmaß und Intensität mit der ihm jetzt vorgeworfenen Straftat zum Nachteil Mirko G. vergleichbar sind und er sich dieser Neigung bewußt war" (UA 18). Dieser Erwägung könnte schon entgegenstehen, daß der Angeklagte bisher nicht bestraft ist und die Feststellungen zu den "körperlichen Auseinandersetzungen", an denen der Angeklagte früher beteiligt war, eine Würdigung unter dem Gesichtspunkt strafbaren Verhaltens nicht zulassen. Im übrigen war es bei jenen Auseinandersetzungen gerade nicht "zu nennenswerten Verletzungen der so Angegriffenen" gekommen (UA 4). Dazu setzt sich das Landgericht in Widerspruch, wenn es dem Angeklagten entgegenhält, die von ihm schon bei früheren Vorfällen angewandte "Technik" des "gezielten Fußtritt(s) gegen den Kopf des Gegners" sei "in Ausmaß und Intensität" mit dem Vorgehen gegen Mirko G. vergleichbar.

b) Darüber hinaus hat das Landgericht zwar bei der Strafbemessung (ausdrücklich im Fall II.1 der Urteilsgründe sowie bei der Gesamtstrafenbildung) zugunsten des Angeklagten dessen Geständnis gewertet, jedoch gemeint: "Da diesem ... keine wesentliche verfahrensfördernde Wirkung zukam, konnte es sich auch nur in geringem Maße auswirken" (gleichlautend UA 17 und UA 18). Diese Erwägung wäre rechtlich nur dann unbedenklich, wenn die geständige Einlassung in erster Linie auf der "erdrückenden Beweislage"' beruhte, ersichtlich aber nicht auf einem echten Reue- und Schuldgefühl (BGHSt 43, 195, 209; BGH StV 1998, 481; Beschluß vom 30. September 1997 - 4 StR 399/97). Dafür, daß es sich hier so verhält, geben die Urteilsgründe nichts her. Im Zweifel ist aber von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen (BGH, Beschluß vom 7. Dezember 1995 - 4 StR 688/95 - insoweit in StV 1996, 204 nicht mitabgedruckt).

c) Der Senat kann nicht ausschließen, daß sich diese Rechtsfehler auf die Bemessung der angesichts der Vielzahl mildernder Umstände vergleichsweise hohen Einzelstrafen und der Gesamtstrafe ausgewirkt haben. Er hebt deshalb den Strafausspruch insgesamt auf.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß auch die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB erneuter Prüfung bedarf. Das Landgericht hat nach den Tatumständen und dem Leistungsverhalten des Angeklagten in beiden Fällen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) zu Recht ausgeschlossen. Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen aber die gebotene Auseinandersetzung mit allen Umständen, die die Annahme uneingeschränkter Steuerungsfähigkeit trotz "erheblicher alkoholischer Enthemmung" (UA 18) in Frage stellen können, nicht erkennen. Dabei begegnet es keinen Bedenken, daß das - sachverständig beratene - Landgericht im Rahmen seines Beurteilungsspielraums (vgl. BGHSt 43, 66, 77; BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 13 a.E.; Maatz BA 1996, 233, 243 und StV 1998, 279, 282 f.) die motorische Unauffälligkeit und Körperbeherrschung des Angeklagten als Indiz für ein vollständig erhaltenes Hemmungsvermögen herangezogen hat (Senatsurteil vom 26. November 1998 - 4 StR 406/98 m.w.N.). Doch war zu berücksichtigen, daß der Angeklagte nach den zu seinen persönlichen Verhältnissen getroffenen Feststellungen nicht alkoholgewohnt ist und "auch unter dem Einfluß geringer alkoholischer Mengen schon zu einer erhöhten Aggressivität" neigt (UA 4), was auf eine gesteigerte alkoholbedingte Einschränkung der Impulskontrolle schließen lassen könnte. Damit hat sich das Landgericht nicht erkennbar auseinandergesetzt. Im übrigen wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, daß "eingeschliffenes" Verhalten und "schlichte Handlungsmuster" (hier: die Anwendung der Tritt - "Technik" und das Aufsuchen der Wohnung nach der Tat, UA 16) nicht ohne weiteres geeignet sind, die Indizwirkung einer hohen BAK zu entkräften (BGHSt 43, 66, 70; BGH, Beschluß vom 13. November 1997 - 4 StR 539/97 - insoweit in StV 1998, 481 nicht mitabgedruckt). Schließlich wird der Eindruck zu vermeiden sein, daß sich die Beurteilung einer Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit zur Tatzeit aufgrund der Alkoholbeeinflussung getrennt von der Prüfung "der Voraussetzungen der 20, 21 StGB" aufgrund sonstiger psychiatrischer Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten (UA 13, 16) vornehmen läßt anstatt - zutreffend - in einer Gesamtschau des Zusammenwirkens aller Faktoren (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 11).

Bearbeiter: Ulf Buermeyer