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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 547/98, Beschluss v. 01.12.1998, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 547/98 - Beschluß vom 1. Dezember 1998 (LG Bielefeld)

Tatsächliche Gewalt über Munition; Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Bewertungseinheit; Tateinheit

§ 52 StGB; § 29 BtMG; § 29a BtMG; § 53 WaffG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Tatsache, daß Munition im Herrschaftsbereich des Angeklagten aufgefunden wurde, vermag zwar die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Munition zu belegen, besagt aber nichts für den Erwerbsakt (vgl. BGHR WaffG § 53 Abs. 3 Munition 1). Die bloße Ausübung der tatsächlichen Gewalt wird jedoch von der Strafvorschrift des § 53 Abs. 3 Nr. 1 a i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 1 WaffG nicht erfaßt.

2. Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen, weil bereits der Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zweck gewinnbringender Weiterveräußerung bereitgehalten werden, den Tatbestand des Handeltreibens in bezug auf die Gesamtmenge erfüllen. Zu dieser Tat gehören als unselbständige Teilakte im Sinne einer Bewertungseinheit auch die späteren Veräußerungsgeschäfte, soweit sie dasselbe Rauschgift betreffen (vgl. BGHSt 30, 28, 31).

3. Zwar ist es nicht geboten, festgestellte Einzelverkäufe zur Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, daß sie ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat stammen. Jedoch ist es rechtsfehlerhaft, allein auf die Anzahl der Veräußerungsgeschäfte abzustellen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß an sich selbständige Rauschgiftverkäufe aus derselben Erwerbsmenge getätigt wurden (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 13, 15)

4. Auch bei Betäubungsmittelabsatzdelikten ist eine Tat anzunehmen, soweit ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist (vgl. BGH NStZ 1996, 93, 94; 1997, 243; BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 15).

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 2. März 1998

1. mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Erwerbs von Munition verurteilt worden ist;

2. im übrigen im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen, und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in acht Fällen schuldig ist;

3. in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen C I bis X der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten "des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, der unerlaubten gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen in sechzehn Fällen, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in einhundertvierundsechzig Fällen und des unerlaubten Erwerbs von Munition" schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Schuldspruchs wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall C XI 3 der Urteilsgründe (500 g Haschisch) und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in acht Fällen (C XI 1, 2 und C XII der Urteilsgründe; Haschisch) sowie der Aussprüche über die wegen dieser Taten verhängten Einzelstrafen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Die Verurteilung wegen unerlaubten Erwerbs von Munition ( C X III der Urteilsgründe) hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da der Erwerbsakt - Erlangung der tatsächlichen Gewalt (§ 4 Abs. 1 WaffG) - durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt ist. Die Tatsache, daß die Munition im "Herrschaftsbereich" des Angeklagten "in der Nähe der von ihm zum Portionieren des Rauschgifts verwandten Klemmtütchen aufgefunden wurde", vermag zwar die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Munition, die jedoch von der Strafvorschrift des § 53 Abs. 3 Nr. 1 a i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 1 WaffG nicht erfaßt wird, zu belegen, besagt aber nichts für den Erwerbsakt (vgl. BGHR WaffG § 53 Abs. 3 Munition 1). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Prüfung und Entscheidung.

3. Soweit der Angeklagte wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei weiteren Fällen (C IX 2, 3 und C X der Urteilsgründe), wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 156 Fällen (C I, II, IV bis VIII und IX 1 der Urteilsgründe) und wegen unerlaubter gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen in 16 Fällen (C III der Urteilsgründe) verurteilt worden ist, begegnet die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den einzelnen auf den Vertrieb ausschließlich von Kokain gerichteten Tathandlungen durchgreifenden Bedenken:

a) Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen, weil bereits der Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zweck gewinnbringender Weiterveräußerung bereitgehalten werden, den Tatbestand des Handeltreibens in bezug auf die Gesamtmenge erfüllen; zu dieser Tat gehören als unselbständige Teilakte im Sinne einer Bewertungseinheit auch die späteren Veräußerungsgeschäfte, soweit sie dasselbe Rauschgift betreffen (vgl. BGHSt 30, 28, 31; BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 15 m.w.N.).

Zwar ist es nicht geboten, festgestellte Einzelverkäufe zur Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, daß sie ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat stammen. Jedoch ist es rechtsfehlerhaft, allein auf die Anzahl der Veräußerungsgeschäfte abzustellen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß an sich selbständige Rauschgiftverkäufe aus derselben Erwerbsmenge getätigt wurden (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 13, 15). So liegt es hier:

In dem Tatzeitraum von Anfang 1997 bis zum 26. Mai 1997 verkaufte der Angeklagte in der Mehrzahl der Fälle jeweils zwischen 0,5 und 2,5 g Kokain. In einigen der Fälle verkaufte er größere Mengen von bis zu 60 g Kokain (Telefonverkäufe, C VIII der Urteilsgründe, und Geschäfte mit einer Vertrauensperson, C IX 2, 3 der Urteilsgründe). Zur Portionierung des Kokains verwendete der Angeklagte eine Elektronikfeinwaage. "Zum Teil hatte er kleine Portionen Kokain darauf bereits vorab abgewogen und verpackt (in Papierbriefchen oder in kleine Plastikklemmtütchen), zum Teil wog er die gewünschte Rauschgiftmenge mit einer Waage ab, wobei er das noch zu portionierende Kokain vielfach in einem Kunststoffbeutel oder in einer kleinen schwarzen Tasche am Körper trug und im übrigen das Rauschgift aus Depots im Hinterhof herbeiholte." Am Tage seiner Festnahme, dem 26. Mai 1997, hielt der Angeklagte neben bereits abgepackten Kleinmengen einen Kokain-Stein (rund 100 g) und rund 200 g Kokain in Pulverform vorrätig, das er zusammen mit anderweitig beschafftem Kokain an die Vertrauensperson liefern wollte, der er eine Lieferung von insgesamt 700 g Kokain zugesagt hatte (Fall C IX 3 der Urteilsgründe). Danach liegt es, insbesondere im Hinblick auf den engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang - die Geschäfte wurden überwiegend auf dem Anwesen abgewickelt, auf dem der Angeklagte das Kokain vorrätig hielt - und die zeitliche Überschneidung einiger der Verkaufsakte, nahe, daß der Angeklagte über einen größeren Vorrat an Kokain verfügte, aus dem heraus er möglicherweise insgesamt die abgeurteilten Verkäufe tätigte.

b) Dies gilt auch für die als 16 Einzeltaten gewerteten Fälle der Abgabe von Kokain in Kleinmengen von 0,5 bis 1,5 g an einen damals 17jährigen Abnehmer (C III der Urteilsgründe). Auch bei Absatzdelikten ist eine Tat anzunehmen, soweit ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist (vgl. BGH NStZ 1996, 93, 94; 1997, 243; BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 15). Insbesondere wegen der zeitlichen Überschneidung liegt es nahe, daß die Abgabe von Kokain an den 17jährigen Abnehmer in der Zeit von März bis zum 20. April 1997 aus derselben Erwerbsmenge erfolgte, aus der der Angeklagte Kokain an erwachsene Abnehmer verkaufte. Beziehen sich die nur als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu wertenden Verkäufe an Erwachsene und die - hier gewerbsmäßige - Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige, die zugleich auch den Tatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erfüllt (BGH StV 1996, 664), auf dieselbe (nicht geringe) Erwerbsmenge, ist wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige zu verurteilen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 15).

c) Da insbesondere im Hinblick darauf, daß der hinsichtlich der Haschischgeschäfte geständige Angeklagte die ihm zur Last gelegten Kokaingeschäfte bestritten hat, auszuschließen ist, daß noch Feststellungen getroffen werden können, die der Annahme nur einer Bewertungseinheit hinsichtlich aller Kokaingeschäfte (C I bis X der Urteilsgründe) entgegenstehen können, ändert der Senat den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht nicht entgegen.

3. Wegen der Schuldspruchänderung können die Einzelstrafaussprüche in den Fällen C I bis X der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben. Dies und die Aufhebung der Verurteilung wegen des Waffendelikts führt zur Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

Bearbeiter: Ulf Buermeyer