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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 521/97, Urteil v. 09.07.1998, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 521/97 - Urteil vom 9. Juli 1998 (LG Rostock)

BGHSt 44, 119; unzulässiger Beweisantrag über Tatsache, die bereits rechtskräftig entschieden ist; Teilaufhebung im Rechtsfolgenausspruch - Bindung an die Feststellungen zum Schuldspruch; Teilrechtskraft.

§ 244 Abs. 3 Satz l StPO; § 353 Abs. 2 StPO

Leitsatz des BGH

Ist der Schuldspruch des Urteils rechtskräftig geworden, ist ein Beweisantrag, der auf Feststellung der Voraussetzungen der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) gerichtet ist, unzulässig. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 22. August 1996 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Landgericht hatte die Angeklagten durch Urteil vom 1. September 1995 jeweils des erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit Geiselnahme, versuchter räuberischer Erpressung und anderem schuldig gesprochen und den Angeklagten L. deswegen zu fünf Jahren und zehn Monaten, den Angeklagten G. zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen hatten beide Angeklagten in der Nacht vor der Tat alkoholische Getränke in nicht mehr feststellbarer Menge konsumiert; darüber hinaus hatte der Angeklagte L. 2 bis 3 g Kokain, der Angeklagte G. gemeinsam mit drei weiteren Personen 5 bis 6 g Kokain in etwa gleichen Teilen geschnupft. Ferner nahmen die Angeklagten während des ca. zehn Stunden dauernden Tatgeschehens Alkohol und Kokain in ebenfalls nicht mehr feststellbarer Menge zu sich. Das Landgericht hat daher - sachverständig beraten - bei beiden Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht auszuschließen vermocht.

Auf die Revisionen der Angeklagten hatte der Senat mit Beschluß vom 14. Mai 1996 die Schuldsprüche wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit Geiselnahme in versuchte Nötigung geändert, die Strafaussprüche mit den Feststellungen aufgehoben und insoweit die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Das Landgericht hat nunmehr mit Urteil vom 22. August 1996 unter Zugrundelegung der rechtskräftigen Schuldsprüche wegen dieser Tat den Angeklagten L. zu vier Jahren und neun Monaten und den Angeklagten G. zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Es ist hierbei bei beiden Angeklagten infolge des vor und während der Tat konsumierten Alkohols und Kokains von einer nicht ausschließbaren erheblich verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen.

Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

II.

Die von den Angeklagten erhobenen Verfahrensbeschwerden dringen nicht durch. Der Erörterung bedarf nur folgendes:

1. Zu Unrecht beanstanden beide Beschwerdeführer die Ablehnung der Anträge ihrer Verteidiger auf Einholung von Sachverständigengutachten, mit denen die Schuldunfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit bewiesen werden sollte.

a) Das Landgericht hat diese Beweisanträge mit der Begründung als unzulässig gemäß § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abgelehnt, daß die Schuldsprüche nach Maßgabe der Senatsentscheidung vom 14. Mai 1996 rechtskräftig sind. Dies läßt Rechtsfehler nicht erkennen:

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden, wenn das Revisionsgericht das Urteil nur im Strafausspruch mit den (dazugehörenden) Feststellungen aufhebt, von der Aufhebung nur die Umstände in der tatrichterlichen Sachverhaltsdarstellung erfaßt, die ausschließlich die Straffrage betreffen (BGHSt 24, 274, 275; 30, 340, 342; BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 4). Hinsichtlich des nicht beanstandeten Schuldspruchs tritt Teilrechtskraft ein. An die Feststellungen, die ausschließlich die Schuldfrage betreffen oder die als doppelrelevante Umstände zugleich für die Schuld- und Straffrage von Bedeutung sind, ist der Tatrichter im weiteren Verfahren gebunden (BGH a.a.O.). Dies gilt auch dann, wenn das Erstgericht einen Vorfall in Wahrheit nicht aufgeklärt hatte oder nicht hatte voll aufklären können und deshalb wegen des Grundsatzes "in dubio pro reo" von bestimmten - dem Angeklagten günstigen -Tatsachen ausgegangen war (BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 4 m.w.N.). Beweiserhebungen, die darauf abzielen, aufrechterhaltene und damit bindende Feststellungen in Zweifel zu ziehen, sind daher unzulässig (BGHSt 30, 340, 342; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 1). Dies gilt auch dann, wenn die beantragte Beweiserhebung dem Nachweis der Schuldunfähigkeit des Angeklagten dienen soll (insoweit noch offen gelassen in BGHSt 30, 340, 347; vgl. auch BGHSt 7, 283, 286/287). Ob der Angeklagte im Gegensatz zu dem im Schuldspruch rechtskräftig gewordenen Ersturteil tatsächlich schuldunfähig war, kann und darf nicht in der neuen Hauptverhandlung überprüft werden; hierfür steht dem Angeklagten gegebenenfalls das Wiederaufnahmeverfahren (§ 359 Nr. 5 StPO) zur Verfügung.

b) Dem steht auch nicht - wie der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluß vom 17. März 1998 auf den Anfragebeschluß des Senats vom 12. Februar 1998 mitgeteilt hat - das von der Revision herangezogene Urteil des 5. Strafsenats vom 10. Oktober 1958 - 5 StR 377/58 (abgedruckt in GA 1959, 305) entgegen. Der 5. Strafsenat hat ausgeführt, diese Entscheidung betreffe nur die Frage, wie bei rechtskräftigem Schuldspruch zu verfahren ist, wenn eine zulässige Beweiserhebung die Schuldunfähigkeit des Angeklagten zutage fördert. Da - wie dargelegt - die beantragte Beweiserhebung unzulässig ist, stellt sich diese Problematik hier jedoch nicht.

2. Aus dem Ausgeführten folgt, daß das Landgericht auch die weiteren Anträge auf Vernehmung von drei "sachverständigen Zeugen" (Antrag der Verteidigung des Angeklagten L.) bzw. des Zeugen Dieter W. (Antrag der Verteidigung des Angeklagten G.) zu Recht als unzulässig abgelehnt hat; denn auch diese Beweisanträge verfolgten nur das Ziel, die Schuldunfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit unter Beweis zu stellen.

III.

Die Strafaussprüche halten im Ergebnis auch der sachlich - rechtlichen Überprüfung stand.

Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts weisen durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht auf. Allerdings ist das Verfahren nach dem Erlaß des tatrichterlichen Urteils dadurch verzögert worden, daß - nachdem das Urteil den Verteidigern am 7. Oktober 1996 zugestellt worden war und die Revisionsbegründungen am 4./6. November 1996 eingegangen waren - die Staatsanwaltschaft erst am 7. August 1997 bzw. am 23. September 1997 eine Revisionsgegenerklärung abgegeben hat (vgl. hierzu BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 8; BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 8). Der aus dieser Verletzung des Beschleunigungsgebotes resultierende eigenständige Strafmilderungsgrund (vgl. auch BVerfG NStZ 1997, 591; BGH, Beschluß vom 23. April 1998 - 5 StR 95/98) rechtfertigt indessen hier nicht die Herabsetzung der vom Landgericht in Anbetracht der Besonderheiten des sich über viele Stunden erstreckenden Tatgeschehens, in dessen Verlauf das Tatopfer in gravierendster Weise gequält und erniedrigt worden ist, verhängten maßvollen Strafen.

Externe Fundstellen: BGHSt 44, 119; NJW 1998, 3212; StV 1999, 81

Bearbeiter: Rocco Beck