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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 361/96, Beschluss v. 20.08.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 361/96 - Beschluß vom 20. August 1996 (LG Saarbrücken)

BGHSt 42, 226; Feststellung der besonderen Schwere der Schuld bei Mord aus niedrigen Beweggründen; entsprechende Anwendung des § 46 Abs. 3 StGB (Verbot der Doppelverwertung).

§ 57 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB; § 211 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

Leitsätze

1. Bei der Feststellung, daß die Schuld des Täters besonders schwer wiegt, findet § 46 Abs. 3 StGB entsprechende Anwendung. (BGHSt)

2. Bei einem Mord aus niedrigen Beweggründen genügt es nicht, bei der Feststellung der besonderen Schuldschwere auf die besondere Verwerflichkeit der Tatmotive zu verweisen. Vielmehr muß der Tatrichter in einem solchen Fall, wenn er auch die Tatmotive heranzieht, darlegen, worin er deren gegenüber der Tatbestandserfüllung gesteigerte Verwerflichkeit erblickt. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22. Dezember 1995 im Ausspruch über die besondere Schwere der Schuld aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und ausgesprochen, daß die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt (§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat nur zum Ausspruch über die besondere Schuldschwere Erfolg. Im übrigen ist es, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 15. Juli 1996 im einzelnen ausgeführt hat, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Angeklagte tötete seine ehemalige Lebensgefährtin, die sich von ihm getrennt und einem anderen Mann zugewendet hatte. Er führte die seit längerer Zeit geplante Tat aus, indem er, als der PKW, in dem sie, ihr neuer Lebensgefährte und ihr Sohn saßen, an einer Kreuzung halten mußte, auf sie aus nächster Nähe vier Schüsse aus einer Pistole abfeuerte, wobei ein Schuß auch ihren neuen Lebensgefährten traf. Das Landgericht hat Mord aus niedrigen Beweggründen angenommen. Hierzu hat es im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausgeführt: "Der Entschluß des Angeklagten, Anne H. zu töten, ist Ausdruck unduldsamer Selbstgerechtigkeit und verletzter Eitelkeit. Der Angeklagte glaubte sich zur Tötung von Frau H. berechtigt, weil diese es gewagt hatte, vor dem formalen Vollzug der bereits vereinbarten Trennung, Kontakte zum Nebenkläger K. aufzunehmen. Hierdurch sah der Angeklagte, der es gewohnt war, den Zeitpunkt und die Begleitumstände von Trennungen selbst zu bestimmen, seine Mannesehre verletzt. [...] Er forderte Ehrlichkeit ein, obwohl er deren Grundlage ... zuvor selbst zerstört hatte. Hinzu kommt, daß der Angeklagte Anne H. nicht als gleichberechtigte Partnerin, sondern als "Objekt" betrachtete. Sie hatte nach seinen Vorstellungen "zu funktionieren". [...] Übersteigertes Besitzdenken war mitursächlich dafür, daß der Angeklagte glaubte beschließen zu können, daß Anne H. ihr Lebensrecht verwirkt hatte" (UA 39).

2. Der Schuld- und der Strafausspruch sind frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten. Dagegen erweist sich die Revision zu der Feststellung, daß die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiege, aufgrund der Sachrüge als begründet.

a) Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 22. November 1994 - GSSt 2/94 - (BGHSt 40, 360) hat der Tatrichter die Entscheidung über die Frage, ob die Schuld des Täters im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB besonders schwer wiegt, ohne Bindung an begriffliche Vorgaben im Wege einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zu treffen, wobei die besondere Schwere der Schuld nur dann festgestellt werden kann, wenn Umstände vorliegen, die Gewicht haben (BGHSt aaO S. 370). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Entscheidung grundsätzlich hinzunehmen; ihm ist eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt; es hat nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat, darf seine Wertung aber nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (BGHSt aaO; BGHR StGB § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 18). Doch hält die Feststellung des Landgerichts, daß die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiege, auch gemessen an einem solch eingeschränkten Prüfungsmaßstab sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

b) Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung darauf abgestellt, "sowohl die Tatausführung als auch die den Angeklagten leitenden Motive (seien) im besonderen Maße verwerflich" (UA 50). Die Heranziehung der "den Angeklagten leitenden Motive" zur Begründung der besonderen Schuldschwere begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Allerdings hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in der zitierten Entscheidung als möglichen Umstand von Gewicht, der die Annahme besonderer Schuldschwere tragen kann, beispielhaft auch eine besondere Verwerflichkeit der Motive angeführt (BGHSt 40, 360, 370). Doch hat es das Schwurgericht unterlassen, das "Besondere" der Verwerflichkeit der Tatmotivation des Angeklagten in diesem Zusammenhang näher darzulegen. Darauf kam es hier aber an.

Daß die Motive des Angeklagten "besonders verwerflich" waren, war schon Voraussetzung für die Annahme des vom Schwurgericht allein bejahten mordqualifizierenden Merkmals niedriger Beweggründe; denn niedrig in diesem Sinne ist nach ständiger Rechtsprechung nur ein Tötungsbeweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich ist (BGHSt 3, 132). Die besondere Verwerflichkeit der Tatmotive, die sie als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB qualifizieren, vermag als solche die "besondere" Schwere der Schuld im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB nicht zu begründen. Diese setzt vielmehr schon begrifflich gegenüber der tatbestandsbegründenden Schuld eine qualitative oder quantitative Steigerung der Schuld voraus. Deshalb dürfen als schuldsteigernd nicht solche Merkmale herangezogen werden, die überhaupt erst die Mordqualifikation ergeben und deshalb die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe begründen (Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 57 a Rdn. 7 c).

c) Der Sache nach gewinnt daher der Rechtsgedanke aus § 46 Abs. 3 StGB auch bei der Feststellung der besonderen Schuldschwere nach § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB Bedeutung. Dies knüpft daran an, daß Schuld im Sinne der Schuldschwereklausel nicht Strafbegründungsschuld, sondern Strafzumessungsschuld ist (Lackner StGB 21. Aufl. § 57 a Rdn. 3a a.E.; Stree in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 57 a Rdn. 5). Der Gesetzgeber hat in § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB dem Prinzip der Schuldangemessenheit der Strafe über seine Geltung für die Zumessung zeitiger Strafen (§ 46 StGB) hinaus auch für die Aussetzung des Strafrests bei lebenslanger Freiheitsstrafe Geltung verschafft. Das Bundesverfassungsgericht hat demgemäß als Grundlage für die Entscheidung über die individuelle Schuldschwere auf die Regeln verwiesen, die der Richter bei der Bemessung der Strafe anwendet (BVerfGE 86, 288, 312/313). Wegen der Besonderheiten der Schuldbemessung bei lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes kann es sich zwar nur um eine entsprechende Anwendung des § 46 StGB handeln (BGHSt 40, 360, 367). Doch ist kein Grund dafür ersichtlich, das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB bei der Entscheidung nach § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB von der entsprechenden Anwendung auszunehmen.

d) Die entsprechende Anwendung des § 46 Abs. 3 StGB schließt es zwar nicht aus, beim Mord auch die Mordmerkmale selbst der Bewertung daraufhin zu unterziehen, ob sich aus den sie begründenden Tatsachen eine besondere Schuldschwere ergibt (Stree NStZ 1992, 464, 465). Doch muß es sich jeweils um Umstände handeln, die die Grenze zu den Merkmalen überschreiten; denn nur dann sind sie Umstände von Gewicht, welche den Vollzug eines fünfzehn Jahre überschreitenden Freiheitsentzuges gebieten können.

In Fällen, in denen Mord wegen Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen wird, genügt es deshalb nicht, für die Feststellung der besonderen Schuldschwere auf die besondere Verwerflichkeit der Tatmotive zu verweisen. Vielmehr muß in einem solchen Fall der Tatrichter, wenn er auch die Tatmotive heranzieht, darlegen, worin er deren gegenüber der Tatbestandserfüllung gesteigerte Verwerflichkeit erblickt. Daran fehlt es hier.

3. Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht der Ausspruch über die besondere Schuldschwere; denn der Senat kann nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß das Landgericht die besondere Schwere der Schuld bereits allein aufgrund der Umstände der Tatausführung bejaht hätte und es deshalb auf die Tatmotive nicht ankommt. Auch versteht es sich nicht von selbst, daß die vom Landgericht zur Begründung des Vorliegens niedriger Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB herangezogenen Umstände auch die für die Feststellung der besonderen Schuldschwere - wie aufgezeigt - vorausgesetzte gesteigerte Verwerflichkeit ergeben. Die Tatmotive unter diesem Gesichtspunkt in einem gesonderten Zumessungsakt zu werten, ist Aufgabe des Tatrichters. An diesen wird die Sache deshalb zurückverwiesen.

Im Hinblick darauf, daß der aufgezeigte Rechtsfehler lediglich einen Mangel bei der rechtlichen Bewertung des festgestellten Sachverhalts darstellt, bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen; ergänzende Feststellungen bleiben zulässig.

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 226; NJW 1996, 3425; StV 1996, 661

Bearbeiter: Rocco Beck