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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 202/96, Urteil v. 25.07.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 202/96 - Urteil vom 25. Juli 1996 (LG Halle)

BGHSt 42, 196; Merkmal des "Sich-Verschaffens" beim Straftatbestand der Hehlerei (Ausschluß bei Nötigung des Vortäters; einverständliches Zusammenwirken).

§ 259 StGB

Leitsätze

1. Wer sich durch Nötigung des Vortäters eine Sache verschafft, die dieser gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, begeht keine Hehlerei. (BGHSt)

2. Das "Sich-Verschaffen" im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB setzt das Erfordernis einverständlichen Zusammenwirkens voraus. Hieran fehlt es insbesondere, wenn der Täter dem Vortäter die Sache wegnimmt oder gegen dessen Willen weiter über sie verfügt. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 19. Dezember 1995

1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der Nötigung schuldig ist;

2. im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hehlerei zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 210 Tagessätzen zu je 200 DM verurteilt.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts; ferner beanstandet er das Verfahren.

1. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

a) Soweit die Revision die unterbliebene Vereidigung des Zeugen P. beanstandet, ist sie unzulässig. Der Revisionsbegründung läßt sich nicht entnehmen, ob der Zeuge bei seiner zweiten Vernehmung vom 9. Oktober 1995, nach der er auf allseitigen Verzicht gemäß § 61 Nr. 5 StPO unvereidigt blieb, etwas anderes ausgesagt hat als bei seiner ersten Vernehmung vom 9. September 1995. War dies aber nicht der Fall, hatte der Zeuge also bei seiner zweiten Vernehmung lediglich seine frühere Aussage wiederholt, so brauchte er ungeachtet der Vereidigungsanordnung, die der Vorsitzende im Anschluß an die erste Vernehmung vor der vorläufigen Entlassung des Zeugen getroffen hatte, nicht vereidigt zu werden. Das nicht näher mit Tatsachen belegte Revisionsvorbringen, der am Ende der zweiten Vernehmung erklärte Verzicht auf die Vereidigung des Zeugen habe sich nur auf seine an diesem Tage gemachten Angaben bezogen, nicht hingegen auf diejenigen anläßlich seiner früheren Vernehmung, reicht als Grundlage für die revisionsrechtliche Überprüfung nicht aus.

b) Soweit die Revision rügt, der Zeuge L. sei unter Verstoß gegen § 60 Nr. 2 StPO vereidigt worden, kann sie, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, keinen Erfolg haben, weil das Urteil auf den den Angeklagten belastenden Angaben des Zeugen nicht beruht (vgl. UA 13).

2. Der Überprüfung aufgrund der Sachrüge hält das Urteil dagegen nicht stand.

a) Nach den Feststellungen schuldete L. dem Angeklagten 500.000 DM. Der Angeklagte forderte L. mehrfach vergeblich zur Zahlung auf. L. war Mitglied einer Gruppe von Betrügern, die nach der Wiedervereinigung Deutschlands Geldinstitute in den neuen Bundesländern um mehrere Millionen DM schädigten, indem sie Geschäftskonten errichteten, auf diese ungedeckte Schecks einreichten und die entstandenen Scheinguthaben zu Barabhebungen nutzten. Am 18. Oktober 1990 verlangte der Angeklagte, der wußte, daß L. am selben Tag unmittelbar zuvor auf die geschilderte Art eine Sparkasse geschädigt und 865.000 DM ausgezahlt erhalten hatte, erneut die Begleichung der Schuld. L. erklärte, daß er zur Zahlung nicht mehr bereit sei. Daraufhin drohte der Angeklagte L. an, daß er ihn und andere Mitglieder der Gruppe wegen der Scheckbetrügereien bei der Polizei anzeigen werde, falls er - der Angeklagte - nicht sofort sein Geld erhalte. Aufgrund dieser Drohung ließ L. dem Angeklagten den geschuldeten Betrag übergeben. Die Zahlung erfolgte, wie dem Angeklagten bekannt war, mit den zuvor von der Sparkasse betrügerisch erlangten Zahlungsmitteln.

b) Bei diesem - rechtsfehlerfrei festgestellten - Sachverhalt hat sich der Angeklagte nicht der Hehlerei schuldig gemacht.

Allerdings handelt es sich bei den Geldscheinen, die L. dem Angeklagten übergab, um Sachen, die ein anderer durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat, nämlich einen Betrug, erlangt hatte; auch Geld kann Gegenstand einer Hehlerei sein (BGHSt 9, 137, 138). Der Angeklagte hat die ihm von L. überlassenen Scheine aber nicht im Sinne des 5 259 Abs. 1 StGB "sich verschafft".

aa) Ein tatbestandsmäßiges "Sich-Verschaffen" ist nur dann gegeben, wenn der Täter die eigene Verfügungsgewalt an der Sache im Einverständnis mit dem Vortäter herstellt.

Zwar setzt das Merkmal des "Sich-Verschaffens" begrifflich ein solches einverständliches Zusammenwirken nicht voraus; dementsprechend ist es in anderen Tatbeständen, etwa in den §§ 96, 146, 152a StGB auch weiter zu verstehen. In jenen Bestimmungen schließt es ein Handeln gegen oder ohne Willen des früheren Inhabers der Verfügungsgewalt ein (Stree in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 96 Rdn. 5, § 146 Rdn. 15, 5 152a Rdn. 5).

Für das "Sich-Verschaffen" im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB folgt das Erfordernis einverständlichen Zusammenwirkens aber aus mehreren Gründen:

Die Vorschrift stellt als typischen Fall des hehlerischen Sich-Verschaffens einer Sache zunächst ihr Ankaufen unter Strafandrohung und erstreckt diese dann, wie die Wendung "oder sonst" belegt, auf vergleichbare Fälle abgeleiteten Erwerbs. Dem "Ankaufen" vergleichbar ist das sonstige Verschaffen aber nur dann, wenn es nicht gegen den Willen des Vortäters erfolgt. Auch das weitere Tatbestandsmerkmal der Absatzhilfe legt eine enge Auslegung des "Sich-Verschaffens" nahe.

Für eine Auslegung des § 259 Abs. 1 StGB dahin, daß alle Tatmodalitäten ein einverständliches Zusammenwirken mit dem Täter voraussetzen, spricht -unter systematischen Erwägungen - auch das Nebeneinander von Hehlerei, Begünstigung und Strafvereitelung im 21. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs. Es verdeutlicht, daß die Hehlerei, mag auch ihr Wesen damit nicht abschließend erklärt werden können, Hilfeleistung zugunsten des Täters nach der Tat ist. Allein diese Betrachtung entspricht im übrigen auch dem historisch gewachsenen Bild der Hehlerei (vgl. Maurach/ Schroeder/Maiwald Strafrecht Besonderer Teil Teilband I 7. Aufl. § 39 I Rdn. 3; Hruschka JR 1980, 221, 222 f.).

Nur die enge Auslegung wird schließlich dem Sinn und Zweck des § 259 StGB gerecht. Hehlerei ist Aufrechterhaltung des durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Vermögenszustandes durch einverständliches Zusammenwirken mit dem Vortäter. In dem Zusammenwirken von Vortäter und Hehler besteht der innere Zusammenhang mit der Vortat, der nach ständiger Rechtsprechung (BGHSt 33, 50, 52; 27, 45 f.; 10, 151, 152; 7, 134, 137; RGSt 57, 203, 204; 55, 58 ; 54, 280, 281; 52, 203; 35, 278, 281; 20, 209, 210; 1e, 303) und herrschender Ansicht im Schrifttum (vgl. - jeweils m.w.N. Ruß in LK StGB 11. Aufl. § 259 Rdn. 17; Stree aaO 5 259 Rdn. 42; Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. 5 259 Rdn. 16; Lackner StGB 21. Aufl. § 259 Rdn. 10) für die Hehlerei in allen ihren Begehungsformen - auch für das Sich-Verschaffen - erforderlich ist (a.A. Samson in SK-StGB 5 259 Rdn. 33; Roth JA 1988, 193, 206; RGSt 44, 249, 251 [für das Mitwirken zum Absatz]; Hruschka JR 1980, 221 [für das Sich-Verschaffen]).

bb) An dem erforderlichen einverständlichen Zusammenwirken fehlt es, wie unstreitig ist (vgl. nur BGHSt 10, 151; 13, 43; RGSt 54, 280; Ruß aaO m.w.N.; Dreher/Tröndle aaO; Stree aaO; Lackner aaO), wenn der Täter dem Vortäter die Sache wegnimmt oder gegen dessen Willen weiter über sie verfügt. Es ist - entgegen verbreiteter Auffassung (RGSt 35, 279, 281 f.; Ruß aaO; Stree aaO; Dreher/Tröndle aaO; Eser Strafrecht IV 4. Aufl. S. 197, Wessels Strafrecht Besonderer Teil/2 17. Aufl. S. 201; Waider GA 1963, 321, 324; zweifelnd Berz Jura 1980, 57, 61) - auch dann nicht gegeben, wenn der Täter, wie hier der Angeklagte, den Vortäter durch Drohungen zur Übertragung der Verfügungsmacht veranlaßt (so auch -wenngleich ohne nährere Ausführungen BGH wistra 1984, 22, 23; ferner Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. S. 397; Rudolphi JA 1981, 1, 5; Otto Jura 1988, 606; Seelmann JuS 1988, 39, 40; ebenso, mit der Forderung eines kollusiven Zusammenwirkens: OLG Hamburg NJW 1966, 226, 228; Bockelmann Strafrecht Besonderer Teil/1, 2. Aufl. 162; ders. NJW 1950, 850, 852; Maurach Deutsches Strafrecht Besonderer Teil 5. Aufl. S. 370; Geerds GA 1958, 129, 135). In diesem Fall macht er sich der Nötigung oder Erpressung, nicht aber der Hehlerei (in Tateinheit mit diesen Delikten) schuldig.

Die zwischen eigenmächtiger Wegnahme und Drohung differenzierende Auffassung kann schon wegen ihrer Konsequenzen nicht überzeugen: Es wäre - zumal der Raub ein Spezialfall der räuberischen Erpressung ist (BGHSt 14, 386, 390) - ein merkwürdiges Ergebnis, wenn die räuberische Erpressung einer deliktisch erworbenen Sache gleichzeitig eine Hehlerei darstellte, der Raub derselben Sache dagegen nicht (Hruschka aaO S. 222; Otto aaO S. 60).

Es ist auch kein Grund ersichtlich, der eine solche Differenzierung rechtfertigen könnte. Das Reichsgericht hat sie damit begründet, daß die Hergabe der Sache durch den dazu genötigten Vortäter "trotz des auf ihn ausgeübten Willenszwanges" nicht aufhöre, eine "gewol1te zu sein (§ 123 BGB)" (RGSt 35, 279, 281). In dieselbe Richtung zielen die Erläuterungen, die betonen, daß das erforderliche Einverständnis über sein tatsächliches Bestehen hinaus nicht noch frei von Willensmängeln sein müsse (Ruß aaO; Waider aaO).

Der Hinweis auf § 123 BGB (oder die Unbeachtlichkeit von Willensmängeln) wird indes dem Sinn und Zweck, der dem Erfordernis einverständlichen Zusammenwirkens zwischen Vortäter und Hehler im Rahmen des § 259 StGB zukommt, nicht gerecht und besagt deshalb für die hier in Rede stehende Frage nichts. § 123 BGB schützt die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit dessen, der zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Die Vorschrift stellt es in seine Entscheidung, ob er es bei dieser Erklärung beläßt oder ihre Wirksamkeit durch Anfechtung vernichtet.

Demgegenüber bezweckt das Erfordernis einverständlichen Zusammenwirkens zwischen Vortäter und Hehler nicht den Ausgleich rechtsgeschäftlicher Interessen. Es dient auch nicht dem Schutz des Vortäters. Vielmehr hat es seinen Grund darin, daß gerade aus diesem Zusammenwirken den allgemeinen Sicherheitsinteressen, die § 259 StGB - neben dem durch die Vortat bereits verletzten Eigentum oder Vermögen - schützt, Gefahren erwachsen: Gefährlich wird der Hehler für die vom Recht geschützten Vermögensinteressen nicht erst mit der einzelnen hehlerischen Verletzung fremden Vermögens. Er ist es schon durch seine Vermögensdelikte generell fördernde Bereitschaft, bei der Abnahme der Beute mitzuhelfen. Der Hehler enthebt den Dieb der Sorge um die gefahrlose Verwertung seiner Beute und schafft so durch sein Vorhandensein einen ständigen Anreiz für die Begehung von Diebstählen und anderen Vermögensstraftaten (BGHSt 7, 134, 142).

Davon ausgehend setzt das erforderliche Einverständnis zwischen Vortäter und Hehler voraus, daß die Überlassung der Sache dem freien - von nötigendem Zwang nicht beeinflußten - Willen des Vortäters entspricht. Wer dem Vortäter die Tatbeute durch erpresserische Drohungen abnötigt, ist -ebenso wie derjenige, der sie ihm entwendet - nicht der Helfer, dem § 259 StGB Strafe androht, weil er durch sein einverständliches Zusammenwirken mit dem Vortäter die Bereitschaft zur Begehung von Vermögensstraftaten fördert und dadurch die allgemeinen Sicherheitsinteressen gefährdet. Die Aussicht, die erhoffte Beute durch Erpressung oder Nötigung zu verlieren, schafft keinen Anreiz zu Vermögensstraftaten. Insofern unterscheidet sie sich nicht von der Aussicht, die Tatbeute durch Diebstahl zu verlieren.

3. Der Rechtsfehler führt zur Änderung des Schuldspruchs. Der Angeklagte hat keine Hehlerei und - wie die Strafkammer zutreffend ausgeführt hat - mangels Absicht, sich zu Unrecht zu bereichern, auch keine Erpressung begangen. Er hat sich aber einer Nötigung gemäß § 240 StGB schuldig gemacht. Die Androhung der Strafanzeige zur Durchsetzung des aus einem anderen Sachverhalt begründeten Zahlungsanspruchs stellt sich unter den gegebenen Umständen als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar (vgl. BGHSt 5, 254).

§ 265 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen. Es ist ausgeschlossen, daß der Angeklagte sich gegen den geänderten Schuldspruch anders als geschehen hätte verteidigen können.

Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge. Angesichts der unterschiedlichen Strafrahmen des § 259 StGB und des Normalfalles des § 240 StGB kann der Senat nicht sicher ausschließen, daß die Strafkammer bei einer Verurteilung wegen Nötigung auf eine mildere Strafe erkannt hätte.

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 196; NJW 1996, 2877; NStZ 1996, 599; StV 1997, 530

Bearbeiter: Rocco Beck