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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 ARs 21/95, Beschluss v. 17.09.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 ARs 21/95 - Beschluß vom 17. September 1996 (OLG Frankfurt/Main)

BGHSt 42, 243; Auslieferung an die USA aufgrund begangener Insiderstraftaten (Zeitpunkt der beiderseitigen Strafbarkeit; Auslieferungshindernis; Geltung des IRG im Verhältnis zu völkerrechtlichen Vereinbarungen bei Umsetzung in nationales Recht; Primärinsider).

Art. 31 Auslieferungsvertrag USA; § 38 WpHG; § 14 WpHG; § 1 IRG

Leitsätze

1. Wegen einer vor dem 11. März 1993 (Inkrafttreten des Zusatzvertrages zum Auslieferungsvertrag) begangenen Straftat darf die Auslieferung von der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinigten Staaten von Amerika nur bewilligt werden, wenn die Tat nach dem Recht beider Staaten auch zur Tatzeit strafbar war. (BGHSt)

2. Für den deutschen Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten gilt grundsätzlich das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG). Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, gehen jedoch den Vorschriften des IRG vor (§ 1 Abs. 1 und 3 IRG; vgl. BGHSt 33, 310, 315). Die Bestimmungen des IRG sind daneben nur insoweit anwendbar, als vertraglich über eine bestimmte Frage weder ausdrücklich noch stillschweigend etwas ausgesagt ist. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Wegen einer vor dem 11. März 1993 (Inkrafttreten des Zusatzvertrages zum Auslieferungsvertrag) begangenen Straftat darf die Auslieferung von der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinigten Staaten von Amerika nur bewilligt werden, wenn die Tat nach dem Recht beider Staaten auch zur Tatzeit strafbar war.

Gründe

I.

1. Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland hat um Auslieferung des Verfolgten, des schwedischen Staatsangehörigen Christian N., zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Dem Ersuchen sind unter anderem eine Anklageschrift und ein Haftbefehl des United States District Court, Southern District of New York, vom 13. Januar 1995 beigefügt. Danach wird dem Verfolgten folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

Der Verfolgte war Mitglied des "Aufsichtsrats" (Verwaltungsrats) der Firma Asea Brown Boveri (ABB), einer Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz. Das Unternehmen beabsichtigte, die gesamten an der amerikanischen Börse notierten Stammaktien der Firma Combustion Engineering Inc. (CE) zu übernehmen. In der Zeit vom 5. bis zum 8. November 1989 setzte die Geschäftsleitung der ABB die Mitglieder des Aufsichtsorgans des Unternehmens, darunter auch den Verfolgten, von der beabsichtigten Übernahme der CE-Stammaktien in Kenntnis, holte deren Zustimmung ein und verpflichtete sie zur Verschwiegenheit bis zum Zeitpunkt der offiziellen Bekanntgabe des Übernahmeangebots, die am 13. November 1989 erfolgte; den Mitgliedern des Aufsichtsorgans wurde auch verboten, bis dahin mit CE-Wertpapieren zu handeln.

Noch vor dem 13. November 1989 setzte sich der Verfolgte in New York mit zwei Geschäftspartnern in Verbindung, teilte ihnen die vertrauliche Information über die beabsichtigte Aktienübernahme mit und veranlaßte sie zum Kauf von Aktien der CE bzw. Call-Optionen, die zum Erwerb von Stammaktien der CE zu einem feststehenden Preis bis zu einem festgelegten Termin berechtigten. Den Gewinn, der aus dem vorherzusehenden Kursanstieg der Wertpapiere nach dem Bekanntwerden des Übernahmeangebots zu erwarten war, wollte sich der Verfolgte mit seinen Partnern teilen. Außerdem erwarb er selbst über die von ihm beherrschte liechtensteinische Firma Finacor Aktien der CE und Call-Optionen für CE-Stammaktien.

Erwartungsgemäß stiegen an der Börse von New York und an der Pazifik-Börse die Kurse für CE-Aktien und Call-Optionen für CE-Stammaktien nach Bekanntgabe des Übernahmeangebots, so daß für den Verfolgten bzw. die Firma Finacor ein Gewinn von über 2,5 Millionen US-Dollar zu erwarten war, der allerdings nicht realisiert werden konnte.

Das Verhalten des Verfolgten war und ist nach US-amerikanischem Recht nach den Bestimmungen der Titel 15 §§ 78 j (b), 78 n (e), 78 ff., Titel 18 § 2 des United States Code; Titel 17 § 240.10 b-5, § 240.14 e-3(a) des Code of Federal Regulations strafbar.

2. Das für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zuständige Oberlandesgericht Frankfurt ist der Auffassung, die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten seien zum Zeitpunkt der Tatbegehung in der Bundesrepublik Deutschland nicht mit Strafe bedroht gewesen. Derartige "Insidergeschäfte" seien vielmehr erst durch das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) vom 26. Juli 1994 (BGBl I 1749) unter Strafe gestellt worden. Hieraus ergebe sich die grundsätzliche - auch in anderen Verfahren im Auslieferungsverkehr mit den Vereinigten Staaten von Amerika bedeutsame - Rechtsfrage, ob es für die Prüfung, ob eine Tat nach dem Recht beider Staaten als strafbar - und damit als auslieferungsfähig - anzusehen ist, auf den Zeitpunkt der Tatbegehung oder auf den der Bewilligung der Auslieferung ankommt. In dem deutsch-amerikanischen Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 und in dem hierzu abgeschlossenen Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986 sei für diesen Fall keine Regelung getroffen worden. Über die Zulässigkeit der Auslieferung könne deswegen nur unter Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der hier zur Anwendung kommenden Auslieferungsbestimmungen entschieden werden. Das Oberlandesgericht hat die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 42 Abs. 1 IRG daher zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:

"Ist eine Straftat (hier: verbotene Insidergeschäfte) als auslieferungsfähig i. S. des Art. 2 Abs. 1 Buchstabe a) des deutsch-amerikanischen Auslieferungsvertrages vom 20.06.1978 anzusehen, wenn die Tat im Zeitpunkt ihrer Begehung nur nach US-amerikanischem Recht - nicht aber auch nach deutschem Recht - strafbar war, eine Strafbarkeit auch nach deutschem Recht aber im Zeitpunkt der Auslieferung gegeben ist?"

3. Der Generalbundesanwalt vertritt die Auffassung, die Vorlage sei unzulässig, weil es für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung auf die vorgelegte Rechtsfrage nicht ankomme; denn das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten sei bei einer sinngemäßen Umstellung des Sachverhalts zur Tatzeit auch nach deutschem Recht, nämlich nach § 404 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AktG, strafbar gewesen. Der Generalbundesanwalt hat daher beantragt zu beschließen, die Sache an das Oberlandesgericht zurückzugeben.

Hilfsweise hat er beantragt wie folgt zu erkennen:

"Eine Straftat ist nur dann als auslieferungsfähig i. S. des Art. 2 Abs. 1 des deutsch-amerikanischen Auslieferungsvertrages vom 20. Juni 1978 anzusehen, wenn die Tat im Zeitpunkt ihrer Begehung nach US-amerikanischem und deutschem Recht strafbar war."

Zur Begründung hat er auf folgende Stellungnahme des Bundesministers der Justiz zu der Vorlegungsfrage Bezug genommen:

"Die Bundesregierung hat für den vertraglosen (IRG) und grundsätzlich auch für den vertraglichen Auslieferungsverkehr stets die Ansicht vertreten, daß für die Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht der Zeitpunkt der Begehung der Tat, sondern der Zeitpunkt der Auslieferung maßgeblich ist. Diese grundsätzliche Haltung schließt indessen Abweichungen in solchen Fällen nicht aus, in denen der jeweilige Partner in Vertragsverhandlungen eine unterschiedliche Auffassung vertritt. Eine derartige Situation ergab sich bei den Verhandlungen mit den USA über den deutsch-amerikanischen Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 sowie über den Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986. Die regierungsamtliche und in Wissenschaft und Rechtsprechung vertretene US-Doktrin geht nämlich, anders als die deutsche Haltung, davon aus, daß Regelungen der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht dem Rückwirkungsverbot unterliegen und daher das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit nicht erst im Zeitpunkt der Auslieferung, sondern bereits zur Zeit der Tatbegehung gegeben sein muß. Anderes könne nur dann gelten, wenn es im Vertrag ausdrücklich festgelegt sei. Ausgehend von dieser Doktrin legte die US-Regierung in den Verhandlungen über den Auslieferungsvertrag und den Zusatzvertrag von Anfang an großen Wert auf die Aufnahme einer Vorschrift über das Verhältnis zwischen Rückwirkungsverbot und beiderseitiger Strafbarkeit. Dies führte zur Aufnahme des Artikels 31 Satz 2 in den Vertrag vom 20. Juni 1978 und später des gleichlautenden Artikels 4/2. Halbsatz in den Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986. Beide Vorschriften sind in ihrem ausdrücklichen Regelungsgehalt allerdings auf diejenigen Taten beschränkt, hinsichtlich derer zur Zeit der Auslieferung, nicht aber zur Zeit ihrer Begehung beiderseitige Strafbarkeit gegeben war und die vor Inkrafttreten des Vertrages begangen wurden. Zur Zeit des Vertragsschlusses deckte sich der Kreis der von dieser Klausel erfaßten Fälle naturgemäß mit dem Kreis aller Fälle, in denen die Tat zwar zur Zeit der Auslieferung, nicht aber zur Zeit der Tatbegehung die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit erfüllt. Daß diese Taten insgesamt erfaßt werden sollten, d. h. ganz allgemein nicht vom US-Grundsatz des Verbotes der Rückwirkung auslieferungsrechtlicher Regelungen abgegangen werden sollte, kann zwar aus den mir zugänglichen schriftlichen Vertragsmaterialien nicht eindeutig belegt werden; es entspricht jedoch der Erinnerung der an den Vertragsverhandlungen beteiligten Beamten. Einen Beleg für diese Auslegung bildet auch der Umstand, daß in dem Memorandum des US-Außenministeriums vom 4. März 1970, mit dem die Vertragsvorstellungen der US-Regierung erstmals dargelegt wurden, der dem späteren Artikel 31 des Vertrages wörtlich entsprechende Artikel XXIX des US-Vertragsentwurfs wie folgt erläutert wurde: 'This provision establishes the retroactive effect of the treaty with the caveat that the offense must have been an offense under the laws of both countries at the time of its commission.'"

II.

Die Vorlegung ist gemäß § 42 Abs. 1 IRG zulässig.

1. Die vorgelegte Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung; denn sie kann sich im deutsch-amerikanischen Auslieferungsverkehr über den vorgelegten Einzelfall hinaus wieder stellen (vgl. BGHSt 34, 256, 258, 259). Dies ergibt sich schon daraus, daß es nach Auffassung der Bundesregierung im Auslieferungsverkehr für die Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit grundsätzlich nicht auf den Zeitpunkt der Begehung der Tat, sondern auf den der Auslieferung ankommt, während die US-amerikanische Rechtsansicht dahin gehe, daß, falls vertraglich nichts anderes vereinbart sei, das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit nicht erst im Zeitpunkt der Auslieferung, sondern bereits zur Zeit der Tatbegehung gegeben sein müsse. Gleichwohl werden nach der durch den Senat vom Bundesministerium der Justiz erholten Auskunft von den USA auch in Fällen, in denen die Tat zur Tatzeit nicht nach dem Recht beider Staaten strafbar war, Auslieferungsersuchen gestellt.

2. Die Vorlegungsfrage ist auch - wie es die Vorlegung wegen grundsätzlicher Bedeutung ferner erfordert (vgl. BGHSt 33, 310, 314; 34, 256, 259; 35, 67, 69) - für das anhängige Auslieferungsverfahren von Bedeutung, da von ihrer Beantwortung die vom Oberlandesgericht zu treffende Entscheidung abhängt.

a) Zu Recht geht das vorlegende Gericht davon aus, daß die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten zur Zeit ihrer Begehung - im Jahre 1989 - nach deutschem Recht nicht mit Strafe bedroht waren.

Zur Tatzeit galten die Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes vom 26. Juli 1994, die Verstöße gegen das Verbot von Insidergeschäften mit Strafe bedrohen (§ 38 i.V.m. § 14 WpHG), noch nicht; sie sind erst am 1. August 1994 in Kraft getreten (BGBl I 1749, 1784). Eine unmittelbare Anwendung des bereits zur Tatzeit geltenden § 404 AktG, der u. a. die Verletzung der Geheimhaltungspflicht eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft unter Strafe stellt, kommt nicht in Betracht, da die Regelungen des Aktiengesetzes nur für inländische Aktiengesellschaften, d. h. für Gesellschaften mit Sitz im Inland, gelten (vgl. RGSt 68, 210, 211; RGZ 159, 33, 42; Baumbach/Hueck AktG 13. Aufl. Einl. Rdn. 15; Fuhrmann in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff AktG Bd. VI vor § 399 Rdn. 3; kritisch Geilen in Kölner Kommentar zum AktG Bd. 3 vor § 399 Rdn. 15; Klug in Großkommentar zum AktG 3. Aufl. 4. Bd. vor § 399 Anm. 6 m.w.N.). Da die Fa. ABB ihren Sitz in der Schweiz hatte, wurde sie von § 404 AktG nicht erfaßt.

Auch bei einer sinngemäßen Umstellung des Sachverhalts, die nach § 3 Abs. 1 letzter Halbsatz IRG geboten ist, wären die Taten nicht nach § 404 AktG mit Strafe bedroht gewesen. Sinngemäße Umstellung bedeutet, daß der Tatort als im Inland (d. h. in der Bundesrepublik Deutschland) gelegen und als mit dem Ergreifungsort identisch angesehen wird (OLG Karlsruhe NJW 1985, 2096; Lagodny in Uhlig/Schomburg/Lagodny IRG 2. Aufl. § 3 Rdn. 5 ff. jeweils m.w.N.). Wenn - wie hier bei § 404 AktG - der Tatbestand eine Unterscheidung der verletzten Rechtsgüter in inländische und ausländische verlangt, ist der Sachverhalt so umzudenken, wie er sich vom ersuchenden Staat aus darstellt, und eine Tat zugrundezulegen, die sich entsprechend gegen deutsche oder außerdeutsche Rechtsgüter gerichtet hätte (BGHSt 7, 265, 268; Mettgenberg/Doerner Deutsches Auslieferungsgesetz 2. Aufl. 1953 S. 203). Danach wäre der Sachverhalt so anzusehen, als ob der Verfolgte in der Bundesrepublik Deutschland gehandelt hätte und von der in Deutschland begangenen Verletzung der Geheimhaltungspflicht die Fa. ABB in der Schweiz betroffen gewesen wäre. Auch dann kommt aber eine Strafbarkeit nach § 404 AktG nicht in Betracht; denn eine ausländische Aktiengesellschaft ist - wie ausgeführt - vom deutschen Aktiengesetz nicht geschützt. Die sinngemäße Umstellung des Sachverhalts kann hingegen - wie der Verfolgte zutreffend ausgeführt hat - nicht dazu führen, daß die tatsächlich betroffene schweizerische Aktiengesellschaft als deutsche oder amerikanische Aktiengesellschaft gedacht wird; denn wenn die Tat vom ersuchenden Staat aus gesehen eine Aktiengesellschaft in einem dritten Staat betrifft, muß es auch bei der sinngemäßen Umstellung des Sachverhalts hierbei verbleiben (vgl. Oehler ZStW 81 1969 , 142, 146 f.).

b) Zutreffend nimmt das Oberlandesgericht auch an, daß sich der Verfolgte - bei einer sinngemäßen Umstellung des Sachverhalts - nach den §§ 38, 14 WpHG strafbar gemacht hätte.

Als Mitglied des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft, der der vertraulich zu behandelnden Abgabe eines Aktien-Übernahmeangebots zugestimmt hatte (vgl. §§ 90, 111 AktG), war der Verfolgte tätigkeitsbedingter "Primärinsider" im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG (vgl. Assmann in Assmann/Schneider, Wertpapierhandelsgesetz 1995 § 13 Rdn. 5, 29 für den Vorstand , 36, § 14 Rdn. 87 Assmann/Cramer; ders. AG 1994, 237, 240; Caspari ZGR 1994, 530, 537 f.; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht 1995 Rdn. 14.161 ff.; Schröder NJW 1994, 2879, 2880; Weber BB 1995, 157, 160 ff.). Die Kenntnis von der beabsichtigten Aktien-Übernahme bezog sich auf den Emittenten von Insiderpapieren (§ 12 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 WpHG); diese Tatsache war geeignet, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs der Papiere erheblich zu beeinflussen (Insidertatsache). Durch das unbefugte Erwerben der Insiderpapiere, das unbefugte Mitteilen der Insidertatsache an Dritte und das unbefugte Empfehlen, Insiderpapiere zu erwerben, hätte sich der Verfolgte nach § 38 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 3 WpHG strafbar gemacht.

c) Das Oberlandesgericht stellt auch zutreffend darauf ab, daß sich die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten nach den Auslieferungsverträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika richtet.

Für den deutschen Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten gilt zwar grundsätzlich das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) vom 23. Dezember 1982 (BGBl I 2071). Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, gehen jedoch den Vorschriften des IRG vor (§ 1 Abs. 1 und 3 IRG; vgl. BGHSt 33, 310, 315). Die Bestimmungen des IRG sind daneben nur insoweit anwendbar, als vertraglich über eine bestimmte Frage weder ausdrücklich noch stillschweigend etwas ausgesagt ist (vgl. Vogler in Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen 2. Aufl. IRG-Kommentar § 1 Rdn. 8). Solche völkerrechtlichen Vereinbarungen, die dem IRG vorgehen, enthalten der Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1978 (BGBl 1980 II 646) - in Kraft seit dem 29. August 1980 (BGBl II 1300) - sowie der Zusatzvertrag zu diesem Vertrag vom 21. Oktober 1986 (BGBl 1988 II 1086) - in Kraft seit dem 11. März 1993 (BGBl II 846).

Für die vom Oberlandesgericht zu treffende Entscheidung kommt es sonach maßgeblich darauf an, ob die vom Verfolgten in Amerika begangenen Taten nach den deutsch-amerikanischen Auslieferungsverträgen auslieferungsfähig sind, obwohl sie zur Tatzeit in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht mit Strafe bedroht waren.

III.

In der Sache ist die vorgelegte Rechtsfrage dahin zu beantworten, daß wegen einer vor dem 11. März 1993 (Inkrafttreten des Zusatzvertrages zum Auslieferungsvertrag) begangenen Straftat die Auslieferung von der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinigten Staaten von Amerika nur bewilligt werden darf, wenn die Tat nach dem Recht beider Staaten auch zur Tatzeit strafbar war.

1. Nach Art. 2 Abs. 1 des Auslieferungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1978 - sowohl in der Ursprungsfassung (Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b)) als auch in der Fassung des Art. 1 Buchstabe a) des Zusatzvertrages vom 21. Oktober 1986 - sind die dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten nur dann auslieferungsfähig, wenn sie nach dem Recht beider Vertragsparteien strafbar sind. Ob die beiderseitige Strafbarkeit im Tatzeitpunkt und/oder im Zeitpunkt der Auslieferung gegeben sein muß, ist in den Verträgen nicht allgemein geregelt. Der Auslieferungsvertrag enthält jedoch folgende Rückwirkungsklausel (Art. 31):

Dieser Vertrag findet auf die vor und nach seinem Inkrafttreten begangenen und von Artikel 2 erfaßten Straftaten Anwendung. Die Auslieferung wird jedoch nicht wegen einer Straftat bewilligt, die vor dem Inkrafttreten dieses Vertrags begangen worden ist und zur Zeit ihrer Begehung nach dem Recht beider Vertragsparteien nicht mit Strafe bedroht war ("... which was not an offense under the laws of both Contracting Parties at the time of its commission.").

Danach ist zur "Klarstellung" (BT-Drucks. 8/3107 S. 29) bestimmt, daß Straftaten, wegen derer die Auslieferung beantragt wird, die vor Inkrafttreten des Vertrages (29. August 1980) begangen worden sind, im Zeitpunkt ihrer Begehung nach dem Recht beider Vertragsparteien strafbar gewesen sein mußten.

Eine ähnliche Regelung findet sich in dem Zusatzvertrag vom 21. Oktober 1986, in dem im wesentlichen der Begriff der auslieferungsfähigen Straftaten neu bestimmt wurde (vgl. Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 9. Mai 1988, BT-Drucks. 11/2289). Dessen Art. 4 bestimmt:

Dieser Zusatzvertrag findet auf die vor oder nach seinem Inkrafttreten begangenen Straftaten, die vor oder nach seinem Inkrafttreten gestellten Ersuchen und die vor oder nach seinem Inkrafttreten für auslieferungsfähig erklärten Personen Anwendung; er findet jedoch nicht Anwendung auf eine vor seinem Inkrafttreten 11. März 1993 begangene Straftat, die zur Zeit ihrer Begehung nach dem Recht beider Vertragsparteien nicht mit Strafe bedroht war ("... which was not an offense under the laws of both Contracting Parties at the time of its commission.").

2. Da die dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten im Jahre 1989, also nach Inkrafttreten des Auslieferungsvertrages, aber vor Inkrafttreten des Zusatzvertrages begangen wurden, ist der Sinngehalt der Formulierung in Art. 4 zweiter Halbsatz des Zusatzvertrages "..; er findet jedoch nicht Anwendung ..." für die auslieferungsrechtliche Beurteilung der Taten des Verfolgten von entscheidender Bedeutung.

a) Nach dem Wortlaut der Bestimmung könnte damit gemeint sein, daß in solchen Fällen der Ursprungsvertrag gilt. Da dieser eine Regelung der Frage, ob für nach Inkrafttreten dieses Vertrags begangene Straftaten für die Auslieferungsfähigkeit auf die beiderseitige Strafbarkeit im Zeitpunkt der Begehung der Tat und/oder im Zeitpunkt der Auslieferung abzustellen ist, nicht enthält, könnte - vertragsausfüllend und ergänzend - innerstaatliches deutsches Recht (§ 1 Abs. 1, 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 IRG) anzuwenden sein. Im IRG ist die Frage des Zeitpunkts für die Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit ebenfalls nicht geregelt. In Rechtsprechung und Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß als maßgeblicher Zeitpunkt der der Auslieferung anzusehen ist (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1985, 2096; Lagodny aaO § 3 Rdn. 21 m.w.N.). Danach wären die zwar zum Zeitpunkt der Tatbegehung in Deutschland nicht mit Strafe bedrohten, zum Zeitpunkt der Auslieferung aber unter Strafe gestellten Handlungen des Verfolgten auslieferungsfähig.

b) Diese Auslegung wird jedoch Inhalt, Sinn und Zweck des Art. 4 zweiter Halbsatz des Zusatzvertrages nicht gerecht. Die Regelung entspricht vielmehr inhaltlich der Bestimmung des Art. 31 Satz 2 des Auslieferungsvertrages.

aa) Wenn der maßgebliche Zeitpunkt für die Strafbarkeit von vor Inkrafttreten des Zusatzvertrages begangenen Straftaten im Zusatzvertrag so hätte geregelt werden sollen, wie oben unter III 2 a dargelegt, so wäre der zweite Halbsatz in Art. 4 des Zusatzvertrages überflüssig. Es hätte dann der erste Halbsatz genügt, der die Rückwirkung des Vertrages vorsieht. Da für den maßgeblichen Zeitpunkt der beiderseitigen Strafbarkeit ausdrücklich nichts vereinbart wäre, gälte insoweit der Ursprungsvertrag. Aus dem Vorhandensein des zweiten Halbsatzes in Art. 4 ist daher zu schließen, daß für diese Frage im Zusatzvertrag eine Art. 31 Satz 2 des Auslieferungsvertrages entsprechende Sonderregelung getroffen werden sollte.

bb) Aus dem so verstandenen Art. 4 zweiter Halbsatz des Zusatzvertrages folgt, daß ein Umkehrschluß aus Art. 31 Satz 2 des Auslieferungsvertrags dahingehend, die Auslieferung sei trotz fehlender Strafbarkeit in einem der beiden Staaten zur Zeit der Begehung der Straftat zulässig, wenn die Tat nach Inkrafttreten des Auslieferungsvertrags begangen worden ist, nicht möglich ist. Gäbe es nur die Regelung in Art. 31, so läge ein solcher Umkehrschluß zwar nahe; weil aber Art. 4 zweiter Halbsatz gerade die Auslieferung für vor Inkrafttreten des Zusatzvertrages begangene, in einem der beiden Staaten zur Tatzeit nicht strafbare Taten verbietet, ist es unzweifelhaft, daß der genannte Umkehrschluß aus Art. 31 Satz 2 des Auslieferungsvertrags - jedenfalls für vor Inkrafttreten des Zusatzvertrags begangene Straftaten - nicht zulässig ist.

cc) Dafür, daß die Rückwirkungsklausel in Art. 4 zweiter Halbsatz des Zusatzvertrages nur für Straftaten gelten sollte, die möglicherweise erst aufgrund des Art. 1 Buchstabe a dieses Vertrages auslieferungsfähig geworden sind (etwa Straftaten nach den §§ 129, 129 a StGB oder nach vergleichbaren amerikanischen Vorschriften, vgl. BT-Drucks. 11/1610 S.9), gibt es keine Anhaltspunkte. Der Wortlaut des Art. 4 zweiter Halbsatz des Zusatzvertrages legt eine solche Auslegung auch nicht nahe. Nach der Stellungnahme des Bundesministers der Justiz (oben I 3) gingen die Vertragsparteien vielmehr davon aus, daß sich zur Zeit des Vertragsschlusses der Kreis der von dieser Klausel erfaßten Fälle mit dem Kreis aller Fälle deckte, in denen die Tat zwar zur Zeit der Auslieferung nach dem Recht beider Staaten strafbar sein würde, die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit zur Zeit der Tatbegehung aber nicht vorlag.

dd) Außer der vertraglichen Regelung selbst sprechen noch folgende Gesichtspunkte dafür, daß in Art. 4 zweiter Halbsatz des Zusatzvertrages ein Auslieferungshindernis wie in Art. 31 Satz 2 des Auslieferungsvertrages vereinbart werden sollte:

(1) In der Denkschrift der Bundesregierung zum Zusatzvertrag heißt es zu Art. 4 (BT-Drucks. 11/1610 S. 10):

"Diese Regelung entspricht Artikel 31 des Auslieferungsvertrags. Sie wurde auf amerikanischen Wunsch zur Klarstellung in den Zusatzvertrag aufgenommen. ..."

Der deutsche Vertragspartner ist somit davon ausgegangen, daß Straftaten, die vor Inkrafttreten des Zusatzvertrages begangen wurden, nur dann auslieferungsfähig sind, wenn sie zur Tatzeit nach dem Recht beider Staaten strafbar waren.

(2) Diese Auffassung entspricht nach der Stellungnahme des Bundesministers der Justiz zu der Vorlegungsfrage (oben I 3) dem - zur Vertragsauslegung heranzuziehenden (vgl. BGHSt 22, 318, 320) - Willen beider Vertragsparteien. Ein entsprechender Wille kam bereits in dem dem Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 vorausgegangenen deutsch-amerikanischen Auslieferungsvertrag vom 12. Juli 1930 (RGBl 1931 II 402; BGBl 1956 II 900) zum Ausdruck; denn hier mußte die Tat, wegen derer die Auslieferung begehrt wurde, nach dem Recht beider Staaten strafbar und verfolgbar (vgl. Art. I, III und VI dieses Vertrages), also grundsätzlich in beiden Staaten zur Tatzeit mit Strafe bedroht (vgl. Art. 116 WRV, 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB), gewesen sein.

(3) Die Tatsache, daß die Vereinigten Staaten von Amerika das vorliegende Auslieferungsersuchen ausdrücklich auf § 38 WpHG als analogen Straftatbestand in der Bundesrepublik Deutschland gestützt haben (Bd. I Bl. 130, 131 der Auslieferungsakten), steht der vorstehenden Vertragsauslegung nicht entgegen. Nach der vom Senat hierzu eingeholten Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz sind nämlich "aus der Praxis des Auslieferungsverkehrs mit den USA ... sogar Fälle bekannt, in denen das zuständige Oberlandesgericht und die Bundesregierung davon ausgingen, daß zu keinem Zeitpunkt beiderseitige Strafbarkeit gegeben war, die USA das Ersuchen jedoch gleichwohl stellten und aufrechterhielten".

c) Das Auslieferungshindernis nach Art. 4 zweiter Halbsatz des Zusatzvertrages in Verbindung mit Art. 31 Satz 2 des Auslieferungsvertrages gilt somit seit dem Inkrafttreten des Zusatzvertrages für alle vor diesem Zeitpunkt begangenen Straftaten. Die dem Verfolgten vorgeworfenen, vor dem 11. März 1993 begangenen und in der Bundesrepublik Deutschland erst seit dem 1. August 1994 mit Strafe bedrohten Insider-Straftaten sind daher nicht auslieferungsfähig (so auch Assmann/Cramer in Assmann/Schneider aaO § 14 Rdn. 103).

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 243; NJW 1997, 533; NStZ 1997, 91; NStZ 1998, 146; StV 1997, 368

Bearbeiter: Rocco Beck