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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 33/95, Urteil v. 30.03.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 33/95 - Urteil vom 30. März 1995 (LG Frankenthal)

BGHSt 41, 119; Möglichkeit der Teilnahme von Jurastudenten, die ein Praktikum bei Gericht absolvieren, an Urteilsberatungen.

§ 193 GVG; § 5a Abs. 3 S. 2 DRiG

Leitsatz

Rechtsstudenten, die bei einem Gericht ein Praktikum ableisten, dürfen nicht an den Urteilsberatungen teilnehmen. (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 31. August 1994, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

Mit Recht beanstandet die Revision, daß an der Urteilsberatung eine Person teilgenommen hat, die nicht hätte zugelassen werden dürfen; das Landgericht hat damit gegen § 193 GVG verstoßen.

Der Studentin der Rechtswissenschaft R. war durch Verfügung des Landgerichtspräsidenten vom 29. Juni 1994 für die Zeit vom 8. August bis 2. September 1994 gemäß § 2 Abs. 3 JAG Rheinland/Pfalz ein Praktikumsplatz bei dem Landgericht Frankenthal zur Verfügung gestellt worden. Mit Genehmigung des Vorsitzenden war sie bei den Beratungen der Strafkammer in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten am 31. August 1994 zugegen.

1. § 193 Abs. 1 GVG bestimmt, daß bei der Beratung und Abstimmung außer den zur Entscheidung berufenen Richtern nur die bei demselben Gericht zu ihrer juristischen Ausbildung beschäftigten Personen und die dort beschäftigten wissenschaftlichen Hilfskräfte zugegen sein dürfen, soweit der Vorsitzende deren Anwesenheit gestattet.

Eine Mindermeinung im Schrifttum vertritt hierzu die Ansicht, die Vorschrift lasse es ihrem Wortlaut nach zu, Studenten, die ihr Ferienpraktikum ableisten, in den Kreis der beim Gericht "zu ihrer juristischen Ausbildung beschäftigten Personen" mit einzubeziehen; die Studenten sollten durch das Praktikum ihren juristischen Erfahrungs- und Wissensstand unter Anleitung eines Ausbilders erweitern und vertiefen, also "ausgebildet" werden, zu diesem Zweck seien sie bei Gericht "beschäftigt" (Kreft NJW 1969, 1784; Kissel GVG 2. Aufl. § 193 Rdn. 22; Roxin, Strafverfahrensrecht, 23. Aufl. S. 338; Rüping, Das Strafverfahren, 2. Aufl. S. 148).

Nach der herrschenden Meinung in der Literatur und nach der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte gehören Studenten der zweistufigen Juristenausbildung im Gegensatz zu Rechtsreferendaren nicht zu dem von der Vorschrift erfaßten Personenkreis, auch wenn sie bei dem Gericht ein vorgeschriebenes Praktikum ableisten (OLG Bremen NJW 1959, 1045; OLG Karlsruhe NJW 1969, 628; Baumbach/Lauterbach ZPO 53. Aufl. § 193 GVG Rdn. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 41. Aufl. § 193 GVG Rdn. 2; Mayr in KK-StPO 3. Aufl. § 193 GVG Rdn. 4; Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. S. 484; Schellhammer ZPO 5. Aufl. Rdn. 726; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. Rdn. 581). Der Senat hält diese Auffassung für zutreffend.

2. a) Die nach § 5 a Abs. 3 Satz 2 DRiG vorgeschriebenen "praktischen Studienzeiten" sind keine der Tätigkeit von Referendaren vergleichbaren Ausbildungsverhältnisse. In den praktischen Studienzeiten soll der Student "Einblick in die Arbeit des Juristen" erhalten. "Ziel ist nicht der Erwerb rechtstechnischer Fähigkeiten; die Studienzeiten sollen vielmehr Anschauung und Information über die Rechtswirklichkeit, die sozialen Bedingungen und die Auswirkungen des Rechts sowie den Zusammenhang von materiellem Recht und Verfahrensrecht vermitteln" (BT-Drucks. 10/1108 S. 8). Nach dem Willen des Gesetzgebers dient das Praktikum daher der Information des Studenten (Schmidt-Räntsch DRiG 4. Aufl. § 5 a Rdn. 20). § 193 Abs. 1 GVG erfaßt aber nach seinem Wortlaut ausdrücklich nur Personen, die bei dem Gericht zur Ausbildung beschäftigt sind, so daß sich aus dem Zusammenwirken der Vorschrift des § 193 Abs. 1 GVG mit § 5 a Abs. 3 DRiG ergibt, daß Studenten bereits deshalb nicht zur Urteilsberatung zugelassen werden können.

b) Die teilweise vertretene weite Auslegung des § 193 GVG, die die Teilnahme von Studenten an der Beratung des Gerichts erlauben will, läßt sich auch mit dem Schutzzweck der Vorschrift nicht vereinbaren: Im Interesse sowohl des Angeklagten als auch der Rechtspflege sollen grundsätzlich in der vertraulichen Beratung nur die zur Entscheidung berufenen Richter im Sinne des § 192 GVG auf das Urteil Einfluß nehmen können. Zum anderen soll § 193 GVG das Beratungsgeheimnis (§§ 43, 45 Abs. 1 Satz 2 DRiG) und damit letztlich die Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 97 Abs. 1 GG, § 1 GVG) wahren; die erkennenden Richter sollen in aller Offenheit gemeinsam über die Entscheidung diskutieren können, ohne daß Außenstehende von ihrem Verhalten Kenntnis erlangen oder es gar beeinflussen können (OLG Karlsruhe NJW 1969, 628; Kissel GVG 2. Aufl. § 193 Rdn. 1; Mayr in KK-StPO 3. Aufl. § 193 GVG Rdn. 1; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rdn. 581). Diesem Anliegen steht die Zulassung von Studenten um so mehr entgegen, als diese zwar zu Beginn ihrer praktischen Studienzeit nach den Landesgesetzen über die juristische Ausbildung förmlich zur Verschwiegenheit verpflichtet werden (z.B. § 2 Abs. 3 Satz 3 JAG Rheinland-Pfalz), Verstöße hiergegen aber, da Studenten im Gegensatz zu Referendaren nicht im Beamtenverhältnis stehen, disziplinarrechtlich nicht geahndet werden können. Um ihren Schutzzweck zu wahren, ist die Vorschrift des § 193 GVG eng auszulegen. Neben den zur Entscheidung berufenen Richtern dürfen daher - mit Ausnahme der ausdrücklich in Absatz 2 genannten - nur solche Personen zur Beratung zugelassen werden, für deren sachgerechte Ausbildung die Teilnahme unerläßlich ist (so schon RGSt 66, 252, 253). Dies trifft für das bloße Informationsinteresse von Studenten nicht zu; diesen gegenüber ist das Bestreben, die Unabhängigkeit der Gerichte zu schützen, höher zu bewerten.

c) Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht für diese Auslegung (vgl. OLG Bremen NJW 1959, 1145, 1146). Daß Studenten an der Beratung nicht teilnehmen sollen, folgt ferner aus der Änderung des § 193 GVG durch Artikel 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze vom 24. Juni 1994 (BGBl I 1374, 1375). Absatz 2 der Vorschrift erlaubt es nunmehr, ausländischen Berufsrichtern, Staatsanwälten und Anwälten sowie ausländischen Juristen, die im Entsendestaat in einem Ausbildungsverhältnis stehen, die Anwesenheit bei der Beratung und Abstimmung zu gestatten, wenn sie dem Gericht zur Ableistung eines Studienaufenthaltes zugewiesen worden sind. Die Rechtsstellung ausländischer Hospitanten ist zwar mit derjenigen der Studenten insofern vergleichbar, als auch hier die Information über die Tätigkeit der deutschen Justiz als Zweck ihres Aufenthalts im Vordergrund steht. Mit der Schaffung der Neuregelung hat der Gesetzgeber aber klargestellt, daß ausländische Juristen nicht bereits nach § 193 Abs. 1 GVG zur Beratung zugelassen werden können; gleiches muß dann aber für Studenten gelten. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/6243 S. 10) ergibt sich zudem, daß die Neuregelung begrenzt ist auf Juristen, die im Entsendestaat in einem Ausbildungsverhältnis stehen; ausländische Studenten fallen nicht unter diese Regelung. Hätte der Gesetzgeber die Zulassung von Studenten ermöglichen wollen, so wäre hierfür ebenfalls eine Ausnahmeregelung erforderlich gewesen.

3. Der Senat vermag nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß das Urteil auf dem Verstoß gegen § 193 GVG beruht (vgl. OLG Bremen aaO; OLG Karlsruhe NJW 1969, 628, 629): Angesichts der großen Bedeutung, die § 193 GVG für die Freiheit und Unabhängigkeit richterlicher Urteilsfindung zukommt, ist bei Verstößen gegen diese Vorschrift ein besonders strenger Maßstab anzulegen, zumal Vorgänge im Beratungszimmer im allgemeinen nicht nachgeprüft werden können (vgl. BGHSt 18, 165, 167; 331, 332; OLG Koblenz VRS 46, 449, 453). Das Urteil muß daher in vollem Umfang aufgehoben werden.

4. Für die neue Hauptverhandlung erscheint zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten die Hinzuziehung eines Sachverständigen geboten. Das Landgericht errechnet für den damals 21jährigen Angeklagten eine Tatzeitblutalkoholkonzentration von 1,6 Promille. Feststellungen zur Alkoholgewöhnung sind nicht getroffen. Insbesondere bei jugendlichen oder heranwachsenden Tätern können auch BAK-Werte unter 2 Promille zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führen (vgl. BGH StV 1984, 30; Beschluß vom 1. September 1992 - 4 StR 385/92); auch bei dem gerade erwachsenen Angeklagten ist dies nicht von vornherein auszuschließen, zumal der Angeklagte - von dem bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Gewalttätigkeiten bekannt waren - in der konkreten Tatsituation mit großer Brutalität vorgegangen ist.

Externe Fundstellen: BGHSt 41, 119; NJW 1995, 2645; NStZ 1995, 462; NStZ 1996, 397; NStZ 1996, 607; StV 1995, 399

Bearbeiter: Rocco Beck