hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 364/93, Urteil v. 26.08.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 364/93 - Urteil vom 26. August 1993 (LG Saarbrücken)

BGHSt 39, 310; gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Wahlverteidiger und Mandant; Bestellung des vom Mandanten nunmehr abgelehnten Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger; Entpflichtung bei Strafantrag des Pflichtverteidigers gegen seinen Mandanten; Recht auf ein faires Verfahren; Recht auf wirksame Verteidigung.

Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK; § 137 StPO; § 142 Abs. 1 StPO; § 143 StPO; § 338 Nr. 5 StPO

Leitsätze

1. Entzieht der Angeklagte in der Hauptverhandlung seinem Verteidiger unter Berufung auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis das Mandat, so hindert dies die Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger jedenfalls dann nicht, wenn die von dem Angeklagten vorgetragenen Behauptungen zwar erheblich, aber ersichtlich unzutreffend sind. (BGHSt)

2. Erstattet der in einem solchen Fall beigeordnete Verteidiger gegen den Angeklagten wegen dessen Äußerungen Strafanzeige, so liegt darin in der Regel ein wichtiger Grund, der Anlaß gibt, einem Antrag des Verteidigers auf Entpflichtung stattzugeben. (BGHSt)

3. Der von der Verfassung verbürgte Anspruch auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren umfasst das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. In den Fällen der Pflichtverteidigung erfährt dieses Recht gemäß § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO jedoch insoweit eine Einschränkung, als der Beschuldigte keinen unbedingten Anspruch auf Bestellung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger hat. Im Übrigen bleibt jedoch der Anspruch des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen Anwalt seines Vertrauens unberührt. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Dezember 1992 wird das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Ankauf von insgesamt 10 kg Haschisch von Michael F. im Sommer 1988) verurteilt worden ist.

Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.

II. Im übrigen wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten P. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit solchen und mit Erwerb von solchen (jeweils Haschisch)" zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es den Pkw Daimler Benz 300 D des Angeklagten eingezogen und den Verfall von DM 20.900 angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Der Angeklagte erwarb von 1987 bis August 1991 mehr als 220 kg Haschisch. Das überwiegend aus den Niederlanden stammende Rauschgift brachte der Angeklagte teilweise selbst nach Deutschland, teilweise übernahmen den Transport auch der Verkäufer oder Kuriere. Von dem Haschisch konsumierte der Angeklagte nahezu 6,8 kg selbst; im übrigen verkaufte er es gewinnbringend weiter. Im einzelnen hat die Strafkammer festgestellt:

1. Mit Ausnahme des Sommers 1988 kaufte der Angeklagte von 1987 bis 1989 bei Michel F. insgesamt 2,5 kg Haschisch, das dieser in Teilmengen von je 250 g aus den Niederlanden nach Saarbrücken brachte.

2. Im Sommer 1988 erwarb der Angeklagte von Michel F. insgesamt 10 kg Haschisch besserer Qualität in Teilmengen von 1 bis 2 kg, die von einem Kurier nach Deutschland eingeführt wurden.

3. Zwischen Herbst 1990 und Februar 1991 bezog der Angeklagte von Michael M. insgesamt 30 kg Haschisch in Teilmengen von 3 bis 7 kg.

4. Zwischen dem 1. März 1991 und August 1991 kaufte der Angeklagte bei Michel F. insgesamt 180 kg Haschisch in Teilmengen zwischen 10 und 18 kg. Diese brachte er teilweise selbst von den Niederlanden nach Deutschland, teilweise wurden für die Einfuhren verschiedene Kuriere eingesetzt.

II.

Die Revision führt in dem unter I. 2. bezeichneten Fall (II. 2 der Urteilsgründe) zur Verfahrenseinstellung (§ 260 Abs. 3 StPO); insoweit fehlt es an der Prozeßvoraussetzung einer erhobenen Anklage. Dieser Vorgang, der weder in der unverändert zugelassenen Anklage erwähnt wird noch im Wege einer Nachtragsanklage zur gerichtlichen Prüfung gestellt worden ist, durfte nur dann Gegenstand des Urteils sein, wenn er mindestens mit einem der angeklagten Fälle eine fortgesetzte Tat bildete (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Fortsetzungszusammenhang 10). Dies ist indes nicht der Fall. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich einer einzigen fortgesetzten Handlung schuldig gemacht, findet in den Urteilsfeststellungen keine ausreichende Grundlage. Nach der ständigen Rechtsprechung reicht der allgemeine Entschluß, eine Reihe gleichartiger Taten zu begehen, nicht aus, den für die Annahme einer Fortsetzungstat erforderlichen Gesamtvorsatz zu begründen. Ein solcher liegt vielmehr nur dann vor, wenn der - spätestens vor Beendigung des ersten Teilaktes gefaßte - Tatentschluß sämtliche Teile der Handlungsreihe in den wesentlichen Grundzügen ihrer künftigen Gestaltung nach Ort, Zeit und ungefährer Ausführungsart umfaßt (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Fortsetzungszusammenhang 5, 10). Der nur vage Entschluß des Angeklagten, Haschisch in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen anzukaufen, dieses zum größten Teil von den Niederlanden nach Deutschland verbringen zu lassen, um es hier zum Teil selbst zu konsumieren und zum Teil gewinnbringend weiterzuverkaufen, genügt diesen Anforderungen nicht.

Soweit es den strafbaren Umgang mit Betäubungsmitteln betrifft, läßt es die Rechtsprechung allerdings ausreichen, daß ein eingespieltes Bezugs- und Vertriebssystem vorhanden ist, dessen sich der Täter bedient, ohne für jedes Einzelgeschäft einen neuen Tatentschluß zu fassen (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Fortsetzungszusammenhang 2 bis 5, 7, 8). Aber auch ein solches System ist hier nicht dargetan. Schon die Länge des Tatzeitraums, die "etwa einjährige Lieferpause" (UA 12) des niederländischen Lieferanten im Zeitraum 1989/90 und der Wechsel in der Person des Lieferanten (Fall II. 4.), lassen es auch fernliegend erscheinen, der Angeklagte könne einen auf einen sämtliche Einzelakte umfassenden Gesamterfolg gerichteten Gesamtvorsatz gefaßt haben (vgl. BGHR StGB vor § 1/fH Gesamtvorsatz 19 bis 24; BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Fortsetzungszusammenhang 9). Auch sind die Änderung der Art und Qualität des von dem Angeklagten bezogenen Haschischs, die mit Beginn der zweiten Handlungsreihe erhebliche Ausweitung seiner Bestellungen und die unterschiedliche Art und Weise, in der das in den Niederlanden bezogene Haschisch nach Deutschland verbracht wurde, nicht ohne weiteres mit der Annahme vereinbar, daß der Haschischbezug im Fall II. 2. der Urteilsgründe auf einem einheitlichen, von vornherein gefaßten Entschluß beruht. Da weitere Feststellungen, welche die Annahme eines sämtliche Handlungsreihen umfassenden Fortsetzungszusammenhangs rechtfertigen könnten, nicht zu erwarten sind und auch nichts dafür spricht, daß der Haschischbezug im Fall II. 2. der Urteilsgründe mit Fall II. 1. eine fortgesetzte Tat bildet, stellt der Senat das Verfahren insoweit wegen eines Verfahrenshindernisses ein.

III.

Im übrigen hat die Revision mit der Verfahrensrüge Erfolg.

1. Der Angeklagte hatte im Verlauf des Ermittlungsverfahrens Rechtsanwalt J. zum Verteidiger gewählt. Am fünften Tag der Hauptverhandlung legte der Angeklagte dem Gericht ein Schreiben vor, das verlesen wurde und in dem er seinem Wahlverteidiger das Mandat entzog, weil das "nötige Vertrauensverhältnis unwiderruflich gestört" sei. Dies begründete er unter anderem damit, Rechtsanwalt J. weigere sich seit dem ersten Verhandlungstag, den von ihm gewünschten Beweisantrag auf Einholung eines graphologischen Gutachtens zu stellen, mit dem bewiesen werden solle, daß wesentliche Teile der Niederschrift seiner Vernehmung vor der Kriminalpolizei "unter Fälschung seiner Unterschrift" verändert worden seien. Zugleich benannte der Angeklagte Rechtsanwalt E. als neuen Wahlverteidiger. Nachdem darauf Rechtsanwalt J. erklärt hatte, er habe "wegen der Frage einer solchen Fälschung eigens Akteneinsicht genommen", bestellte der Vorsitzende der Strafkammer Rechtsanwalt J. zum Pflichtverteidiger. Mit einem am folgenden Verhandlungstag verlesenen Schriftsatz beantragte Rechtsanwalt J., ihn von der Verteidigung des Angeklagten zu entpflichten. Zur Begründung führte er aus, der Angeklagte unterstelle ihm in der "Gerichtsöffentlichkeit" Parteiverrat. Dies sei ein "derart massiver Angriff auf seine berufliche Position und seine Berufsehre", daß er gegen den Angeklagten Strafanzeige erstattet habe. Objektiv sei er zwar in der Lage, den Angeklagten weiterhin sachgerecht zu verteidigen; es sei ihm jedoch nicht zuzumuten, zur Verteidigung eines Angeklagten verpflichtet zu sein, der im Verdacht stehe, ihm gegenüber eine Straftat begangen zu haben. Nach Vorhalt der Antragsbegründung stellte der Vorsitzende dem Angeklagten die Frage, ob er behaupten wolle, sein Verteidiger habe ihm wissentlich ein gefälschtes Protokoll vorgelegt. Dies bejahte der Angeklagte ausdrücklich. Der Vorsitzende stellte die Entscheidung über den Antrag des Verteidigers zunächst zurück und lehnte ihn mit am nächsten Verhandlungstag verkündetem Beschluß mit der Begründung ab, Umstände, die eine ernsthafte Störung des Vertrauens des Angeklagten zu seinem Verteidiger nachvollziehbar erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich. Auch die erstattete Strafanzeige vermöge - vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Angeklagten aus gesehen - dieses Vertrauen nicht zu erschüttern, da sie eine naheliegende und zu erwartende Folge der Vorwürfe gewesen sei.

2. Der Beschwerdeführer macht mit der Verfahrensrüge geltend, der Vorsitzende habe unter den hier gegebenen Umständen dem Angeklagten nicht seinen bisherigen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger beiordnen dürfen; jedenfalls aber habe er dem Antrag auf Abberufung des Pflichtverteidigers zu Unrecht nicht entsprochen. Die Rüge ist zulässig und im Ergebnis begründet.

a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß die Verfügung des Vorsitzenden, durch die ein Verteidiger bestellt wird, als Vorentscheidung gemäß § 336 StPO unmittelbar der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, weil das Urteil auf ihr beruhen kann (BGH NStZ 1992, 292; BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 3; Pikart in KK StPO 2. Aufl. § 336 Rdn. 4). Die Statthaftigkeit einer solchen Rüge hängt nicht davon ab, daß der Angeklagte zuvor eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 1960 - 5 StR 255/60; BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2 und 3; Laufhütte in KK aaO § 140 Rdn. 28; Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. § 141 Rdn. 10; Wagner Anm. zu OLG Hamburg JR 1986, 257, 259). Dies gilt in gleicher Weise für einen Beschluß des Vorsitzenden, mit dem die Aufhebung der Beiordnung des Pflichtverteidigers abgelehnt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 453/78).

Der von der Verfassung verbürgte Anspruch auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren umfaßt das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfGE 39, 238, 243; 68, 237, 255; Kleinknecht/Meyer aaO § 137 Rdn. 2 m.w.N.). In den Fällen der Pflichtverteidigung erfährt dieses Recht gemäß § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO jedoch insoweit eine Einschränkung, als der Beschuldigte keinen unbedingten Anspruch auf Bestellung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger hat. Im übrigen bleibt jedoch der Anspruch des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen Anwalt seines Vertrauens unberührt (BGH NStZ 1992, 247).

b) In diesem Anspruch ist der Angeklagte allerdings noch nicht dadurch verletzt worden, daß das Gericht den bisherigen Wahlverteidiger Rechtsanwalt J. zum Pflichtverteidiger bestellte.

Diese Entscheidung des Vorsitzenden läßt Ermessensfehler nicht erkennen. Der Umstand allein, daß der Angeklagte unter Hinweis auf das "unwiderruflich gestörte Vertrauensverhältnis" Rechtsanwalt J. das Mandat entzogen hatte, macht dessen Beiordnung noch nicht verfahrensfehlerhaft. Denn ebenso wie die Erklärung des Anwalts, das Vertrauensverhältnis sei entfallen, für sich allein keine Verpflichtung des Vorsitzenden begründet, von seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger abzusehen (BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2), hindert auch eine entsprechende Behauptung des Angeklagten nicht von vornherein die Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger. Andernfalls hätte es der Angeklagte in der Hand, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis zu seinem Verteidiger einen Verteidigerwechsel herbeizuführen und damit das Verfahren zu verzögern (vgl. OLG Düsseldorf JZ 1985, 100).

Zwar hat sich der Angeklagte nicht auf die bloße Behauptung beschränkt, er habe zu Rechtsanwalt J. kein Vertrauen mehr. Die von ihm vorgebrachten Gründe ergaben jedoch bei vernünftiger Betrachtung (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 453/78) für den Angeklagten keinen Anlaß, Rechtsanwalt J. mit Mißtrauen zu begegnen. Denn der Angeklagte wußte, daß sein Verteidiger dem Vorwurf einer solchen Fälschung nachgegangen war und sich für die von ihm behaupteten "Manipulationen" der kriminalpolizeilichen Niederschriften den Verfahrensakten ersichtlich nichts entnehmen ließ. Weigerte sich bei dieser Sachlage der Verteidiger, den von dem Angeklagten gewünschten Beweisantrag zu stellen, (statt daß der Angeklagte ihn - wie er es auch getan hat - selbst stellte), so lag hierin kein wichtiger Grund, der einer Bestellung von Rechtsanwalt J. zum Pflichtverteidiger entgegenstand. Der Verteidiger ist Beistand (§ 137 StPO), nicht Vertreter des Beschuldigten (BGHSt 12, 367, 369). Diese Aufgabe verlangt von ihm, sich allseitig unabhängig zu halten (BGHSt 15, 326, 327) und, wo er durch Anträge oder auf sonstige Weise in das Verfahren eingreift, dies in eigener Verantwortung und unabhängig, d.h. frei von Weisungen auch des Angeklagten, zu tun (BGHSt 13, 337,343; 38, 111, 114). Die aus der Sicht des Gerichts unzutreffenden Behauptungen des Angeklagten drängten den Vorsitzenden danach auch nicht zu der Annahme, der bisherige Wahlverteidiger werde die Verteidigung nicht mehr sachgerecht führen.

c) Auch unter Zugrundelegung des Rechtsgedankens aus § 143 StPO stand hier der Bestellung von Rechtsanwalt J. nichts entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Bestellung zurückzunehmen, wenn demnächst ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt. Zwar hatte der Angeklagte zugleich mit der Erklärung, mit der er Rechtsanwalt J. das Mandat entzog, Rechtsanwalt E. als neuen Wahlverteidiger benannt. Es sprach jedoch nichts dafür, daß das Mandatsverhältnis bereits zustande gekommen war, zumal sich Rechtsanwalt E. nicht als Verteidiger gemeldet hatte. Tatsächlich erteilte der Angeklagte Rechtsanwalt E. die Vollmacht auch erst nach Abschluß des Verfahrens vor der Strafkammer (RB S. 11; Bd. II Bl. 392 der Sachakten). Das berechtigte Interesse an einer angemessenen Förderung des Verfahrens ließ es deshalb zu, ohne Berücksichtigung des von dem Angeklagten benannten - zudem auswärtigen (vgl. § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO) - Anwalts Rechtsanwalt J. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

d) Die Revision kann auch nicht - wie der Beschwerdeführer meint - unter dem Gesichtspunkt des § 338 Nr. 5 StPO durchdringen. Dieser absolute Revisionsgrund liegt nicht vor. Der Angeklagte war zu keiner Zeit der Hauptverhandlung ohne Verteidiger. Der Revision ist zuzugeben, daß die bloße körperliche Anwesenheit des Verteidigers nicht genügt; das ist namentlich dann nicht der Fall, wenn begründete Zweifel an dessen allgemeiner Prozeßfähigkeit bestehen (vgl. Kleinknecht/Meyer aaO Einl. Rdn. 99 m.w.N.). Hingegen kann eine Revision nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, daß der anwesende Verteidiger die Verteidigung nicht ordnungsgemäß geführt hat (BGHR StPO § 338 Nr. 5 Verteidiger 1). Ebensowenig reicht hierfür eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger aus. Ob die Voraussetzungen des § 338 Nr. 5 StPO gegeben sein können, wenn der Verteidiger in der Hauptverhandlung zwar anwesend ist, aber untätig bleibt, obwohl seine Tätigkeit geboten wäre, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn ein Fall wie derjenige, der der Senatsentscheidung in NStZ 1992, 503 zugrunde liegt, auf die sich die Revision stützt, liegt hier nicht vor.

e) War somit die Bestellung von Rechtsanwalt J. zum Pflichtverteidiger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu beanstanden, so verletzte die Ablehnung seines Antrags, die Bestellung zum Pflichtverteidiger aufzuheben, den Angeklagten in seinem Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK) und verstieß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens; nachdem der Verteidiger gegen den Angeklagten Strafanzeige erstattet hatte, lag hier ein wichtiger Grund vor, der zur Entpflichtung Anlaß gab.

aa) Nach den von der Rechtsprechung zur Bestellung eines Pflichtverteidigers entwickelten Grundsätzen ist auch zu verfahren, wenn ein Angeklagter mit der Begründung, er habe kein Vertrauen zu dem ihm bestellten Pflichtverteidiger, dessen Abberufung verlangt (BVerfGE 39, 238, 244; BGH, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 453/78; weitergehend Lüderssen in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 143 Rdn. 9 f). Das gleiche gilt, wenn - wie hier - der Pflichtverteidiger - entsprechend § 48 Abs. 2 BRAO - selbst unter Hinweis auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis einen solchen Antrag stellt (BGH, Urteil vom 7. November 1979 - 2 StR 398/79; Laufhütte in KK aaO § 142 Rdn. 9).

Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers ist in solchen Fällen, daß konkrete Umstände vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, daß eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, aufgrund dessen zu besorgen ist, daß die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (vgl. BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2 = StV 1988, 469 m. Anm. Barton StV 1989, 45; BGH bei Holtz MDR 1979, 108; BGH NStZ 1992, 292, 293; Kleinknecht/Meyer aaO § 143 Rdn. 5; Laufhütte in KK aaO § 142 Rdn. 9 jeweils m.w.N.). Ein wichtiger Grund in diesem Sinne wird eher fern liegen oder gar ausgeschlossen sein, wenn die Störung des Vertrauensverhältnisses vom Beschuldigten schuldhaft herbeigeführt wurde (BGH, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 453/78) oder in erster Linie das Vertrauensverhältnis des Verteidigers zu seinem Mandanten beeinträchtigt ist (OLG Frankfurt NJW 1971, 1851).

Belegen die vorgetragenen Gründe jedoch, daß infolge der Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses eine sachgerechte Verteidigung nicht mehr möglich erscheint, so ist - wegen der Bedeutung des Rechts auf wirksame Verteidigung - im Normalfall ohne Belang, ob der Auswechslung des Pflichtverteidigers andere Gründe, insbesondere die Sicherung der Durchführung einer bereits begonnenen Hauptverhandlung, entgegenstehen (einschränkend OLG Düsseldorf JZ 1985, 100).

bb) Auf dieser Grundlage war die Entscheidung des Vorsitzenden der Strafkammer, die Bestellung von Rechtsanwalt J. als Pflichtverteidiger trotz der von ihm gegen den Angeklagten erstatteten Strafanzeige nicht aufzuheben, rechtsfehlerhaft.

Wie bereits ausgeführt, reichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Verteidiger und Mandanten über die Erforderlichkeit oder Zweckmäßigkeit der Stellung eines Beweisantrags zwar regelmäßig nicht aus, um zu einer so ernsthaften und nicht mehr zu beseitigenden Vertrauenskrise zu führen, daß die Auswechslung des Pflichtverteidigers geboten ist (vgl. BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2; OLG Hamm StV 1982, 510, 511; KG StV 1990, 347). Hier war indes das Vertrauen des Angeklagten zu seinem Verteidiger nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Ansichten über das Verteidigungskonzept gestört. Mit der Erstattung der Strafanzeige durch Rechtsanwalt J. lag vielmehr ein n e u e r Umstand vor, der auch bei objektiver Betrachtung aus Sicht des Angeklagten eine nachhaltige Beeinträchtigung seines Vertrauens in eine sachgerechte Verteidigung besorgen ließ. Denn dadurch begab sich der Verteidiger, von dem der Mandant - anders als vom Richter (vgl. dazu BGH NStZ 1992, 290, 291) - nicht Unvoreingenommenheit, sondern Beistand erwartet, in eine Parteirolle gegen seinen Mandanten; aufgrund dessen konnte bei dem Angeklagten die Sorge entstehen, daß der Rechtsanwalt der Aufgabe, sich für ihn und seine Belange einzusetzen, nicht mehr gerecht werde. Das ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen (Kleinknecht/Meyer aaO § 143 Rdn. 5 m. Rspr. N.). Darauf, daß Rechtsanwalt J. seinerseits es für unzumutbar ansah, weiterhin zur Verteidigung des Angeklagten verpflichtet zu sein, kommt es nicht an. Ebensowenig aber war seine Erklärung, objektiv in der Lage zu sein, den Angeklagten nach wie vor sachgerecht zu verteidigen, geeignet, die Störung des Vertrauensverhältnisses zu beseitigen.

cc) Unter welchen Umständen im Einzelfall die Erstattung einer Strafanzeige durch den Pflichtverteidiger gegen den Angeklagten nicht als Ausdruck einer tiefgreifenden Vertrauenskrise und damit nicht als wichtiger Grund für eine Entpflichtung anzusehen ist, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Ein solcher Fall wird etwa dann anzunehmen sein, wenn Anzeichen dafür vorliegen, daß der Verteidiger die Strafanzeige deshalb erstattet hat, um von seinem Amt als Pflichtverteidiger abberufen zu werden (vgl. OLG Hamm NJW 1975, 1238, 1239), oder er - möglicherweise im Zusammenwirken mit dem Angeklagten - es darauf anlegt, das Verfahren zu verzögern. Dabei wird zu beachten sein, daß die Pflicht des Rechtsanwalts zur Übernahme der Verteidigung (§ 49 Abs. 1 BRAO) sowie seine Stellung als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und als Beistand des Beschuldigten ihm zwar regelmäßig Anlaß geben sollten, sich bei der Erwiderung auf kritische oder gar beleidigende Äußerungen oder Angriffe des Mandanten Zurückhaltung aufzuerlegen (vgl. OLG Hamm NJW 1975, 1238, 1239); eine Verpflichtung, gegen ihn gerichtete strafbare Handlungen seines Mandanten unter allen Umständen hinzunehmen, läßt sich daraus jedoch nicht herleiten. Ebenso wird ein wichtiger Grund zu verneinen sein, wenn der begründete Verdacht besteht, daß der Angeklagte seinen Verteidiger deshalb angreift, damit dieser gegen ihn Strafanzeige erstattet, um darauf gestützt dessen Entpflichtung zu betreiben. Dafür, daß mit der Erstattung der Strafanzeige durch Rechtsanwalt J. in dem zuvor beschriebenen Sinne verfahrensfremde Zwecke verfolgt wurden, ist nichts hervorgetreten. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes kann deshalb hier im Ergebnis nicht verneint werden.

dd) Schließlich scheitert die Verfahrensrüge auch nicht daran, daß, nachdem Rechtsanwalt J. die Erstattung der Strafanzeige bekanntgegeben hatte, der Angeklagte selbst dessen Abberufung als Pflichtverteidiger nicht ausdrücklich beantragt hat. Denn angesichts der von dem Angeklagten zuvor abgegebenen Behauptung, das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt J. sei "unwiderruflich" gestört, und der ausdrücklichen Bekräftigung seiner gegen Rechtsanwalt J. gerichteten Vorwürfe auf den Vorhalt des Entpflichtungsantrages bedurfte es weder einer weiteren Erklärung noch eines Antrages des Angeklagten, um das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Entpflichtung von Rechtsanwalt J. anzunehmen.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 310; NJW 1993, 3275; NStZ 1993, 600; StV 1993, 564

Bearbeiter: Rocco Beck