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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 217/93, Urteil v. 24.06.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 217/93 - Urteil vom 24. Juni 1993 (LG Konstanz)

BGHSt 39, 249; Verwirklichung des Straftatbestands des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer durch Angriff auf den Fahrer eines Mofas.

§ 316a StGB

Leitsatz

§ 316a StGB erfasst auch den räuberischen Angriff auf den Fahrer eines von Maschinenkraft angetriebenen Fahrrades mit Hilfsmotor mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h (Mofa). (BGHSt)

Entscheidungstenor

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 14. September 1992 wird verworfen.

II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Raub, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines anderen Urteils zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützt ist, hat keinen Erfolg.

1. Der Angeklagte und Jose P.-O. entschlossen sich Ende September 1988, den ihnen bekannten Helmut E. zu überfallen und zu berauben. Sie versteckten sich in der Nähe der Gaststätte, in der E. sich aufhielt, hinter einem VW-Bus. Als sich E. mit seinem Mofa näherte, sprangen beide hinter dem Bus hervor. P.-O. brachte E. verabredungsgemäß zu Fall, indem er mit dem Fuß gegen das fahrende Mofa trat. Während P.-O. den verletzt am Boden liegenden E. festhielt, forderte der Angeklagte die Herausgabe von Geld. Als E. dies verweigerte, versetzte ihm der Angeklagte einen Faustschlag ins Gesicht, durchsuchte ihn und nahm ihm 7.000 DM sowie mehrere Heroinbriefchen weg. Anschließend flüchteten der Angeklagte und sein Mittäter.

In der Folgezeit suchte E. nach den Tätern und setzte ein "Kopfgeld" von 1.000 DM für deren Beibringung aus (UA 9). Als der Angeklagte und P.-O. davon erfuhren, wollten sie E. und dessen Mitbewohner S. "eine Abreibung verpassen" und sie einschüchtern. Im November 1988 drangen sie in deren Wohnung ein. Dort wurde E. vom Angeklagten geschlagen.

2. Die Überprüfung des Urteils hat im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf insoweit nur die Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer.

a) Die Jugendkammer ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Fahrer eines von Maschinenkraft angetriebenen Fahrrades mit Hilfsmotor mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h (Mofa) als Führer eines Kraftfahrzeuges im Sinne des § 316 a StGB anzusehen ist.

Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift können Opfer eines räuberischen Angriffs Führer von Kraftfahrzeugen oder deren Mitfahrer sein (§ 316 a Abs. 1 Satz 1 StGB). Unter Kraftfahrzeugen sind nach den §§ 248 b Abs. 4 StGB, 1 Abs. 2 StVG, 4 Abs. 1 Satz 1 StVZO alle durch Maschinenkraft angetriebenen, nicht an Gleise gebundenen Landfahrzeuge zu verstehen. Dazu gehört, wie die Ausnahme von der Erlaubnispflicht in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVZO belegt, auch das von einem Motor angetriebene Mofa (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1971 - 1 StR 554/71 = StVE Nr. 3 zu § 69 StGB; OLG Zweibrücken VRS 71, 229; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 32. Aufl. § 1 StVG Rdn. 2; Stree in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 69 Rdn. 11; Rüth in LK StGB 10. Aufl. § 69 Rdn. 10 f). Eine Einschränkung des Schutzbereichs der Norm auf die Fahrer oder Beifahrer bestimmter Kraftfahrzeuge ist weder nach der Entstehungsgeschichte noch im Hinblick auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift geboten:

§ 316 a StGB wurde durch das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952 (BGBl I 832, 834) in das Strafgesetzbuch eingefügt. Er folgte dem vom Kontrollrat aufgehobenen "Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen" vom 22. Juni 1938 (RGBl I 651), das Täter, die in räuberischer Absicht eine Autofalle stellten, mit dem Tode bedrohte (vgl. dazu Meurer-Meichsner: Untersuchungen zum Gelegenheitsgesetz im Strafrecht, 1974, S. 21 ff, 33, 35 ff; Günther JZ 1987, 369, 376; Schäfer in LK StGB 10. Aufl. § 316 a Rdn. 1). In den Gesetzesmaterialien ist zwar auch von "Verbrechen der Autofallen" (BT-Drucks. I/3774 S. 6) bzw. von "Autofallen" (Protokoll der 202. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht am 18. September 1952, S. 10; vgl. zum Sprachgebrauch auch BGHSt 13, 27; 24, 320) die Rede; eine der früheren Regelung entsprechende Beschränkung des Anwendungsbereichs auf "Autofallen" war damit jedoch erkennbar nicht verbunden. Geschützt werden sollten vielmehr "jeder Kraftfahrer" und "der Straßenverkehr im allgemeinen" (Protokoll aaO S. 11).

Der Schutz aller Fahrer und Beifahrer von Kraftfahrzeugen entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Bestraft werden soll, wer sich eine Gefahrenlage zunutze macht, die dem fließenden Verkehr eigentümlich ist und gerade deshalb so für den Teilnehmer am Straßenverkehr entsteht (BGHSt 38, 196, 197; Cramer in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 316 a Rdn. 6, jew. m.w.N.). Eine solche Gefahrenlage besteht auch und gerade bei Angriffen gegen die Führer motorisierter Zweiräder. Der mangelnde Schutz vor unmittelbaren körperlichen Angriffen läßt einen Zweiradfahrer eher noch schutzbedürftiger erscheinen als den Führer eines anderen Kraftfahrzeugs.

Allerdings liegt die bauartbedingte und vom Gesetzgeber zugelassene Höchstgeschwindigkeit der Mofas mit 25 km/h erheblich unter der anderer Kraftfahrzeuge (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVZO). Es ist auch nicht zu verkennen, daß es sich bei einem Mofa um ein Fahrzeug handelt, dessen Höchstgeschwindigkeit innerhalb eines Geschwindigkeitsbereichs liegt, der heute von modernen Fahrrädern ohne weiteres erreicht wird und bei dem der Motor nur die Aufgabe hat, die menschliche Tretkraft zu ersetzen (OLG Zweibrücken VRS 71, 229). Das kann aber mit Rücksicht auf den dargestellten Schutzzweck nicht dazu führen, Mofa-Fahrer aus dem Bereich des § 316 a StGB herauszunehmen.

b) Der Angeklagte hat die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs zur Begehung eines Raubes ausgenutzt. Hierzu gehören auch die Fälle, in denen durch das Bereiten von Hindernissen - das wie hier zugleich den Tatbestand des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt - das Anhalten erzwungen wird, um sodann einen Raub zu begehen (Rechtsausschuß aaO S. 10; vgl. auch BGH GA 1965, 150; BGH bei Spiegel DAR 1977, 141; Schäfer in LK § 316 a Rdn. 11; Jagusch/Hentschel § 316 a StGB Rdn. 6).

3. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

Der Jugendrichter, der einen Angeklagten gemäß § 31 Abs. 2 JGG unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu einer einheitlichen Jugendstrafe verurteilt, hat die früher begangenen Straftaten im Rahmen einer Gesamtwürdigung neu zu bewerten und zur Grundlage einer einheitlichen Sanktion zu machen. Erforderlich ist deshalb eine selbständige, von der früheren Beurteilung unabhängige einheitliche Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten Taten (BGHSt 37, 34, 39; BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 1, 2, 3, 7 jew. m.w.N.).

Eine vom Strafausspruch der einbezogenen Entscheidung losgelöste eigene Strafbemessung läßt sich - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - dem Urteil entnehmen. Die Urteilsgründe enthalten eine ausreichende Darstellung der dem einbezogenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen. Sie sind vom Tatrichter auch in noch ausreichendem Maße in seine Erwägungen einbezogen worden. Die Jugendkammer begründet die erheblichen Anlage- und Erziehungsmängel des Angeklagten, die die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich machen, ausdrücklich mit dem Hinweis auf dessen "schädliche Neigungen zu Vermögensdelikten", die auch in den früheren (einbezogenen) Taten hervorgetreten seien (UA 14), und berücksichtigt bei der Strafbemessung allein den Umstand strafschärfend, daß der Angeklagte versuchte, einen Zeugen zu bedrohen, "um eine für ihn genehme Aussage zu erreichen" (UA 15).

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 249; NJW 1993, 2629; NStZ 1993, 540; StV 1993, 526

Bearbeiter: Rocco Beck